Zeitgenössische Kunst - Saudi Arabien bringt sich in Stellung
Desert X Al Ula 2024
Diriyah Contemporary Art Biennale
Tourismus ist derzeit das wirtschaftspolitische Projekt des arabischen Königshauses und wesentlicher Teil der Vision 2030 des Prinzen Mohammed bin Salman kurz MbS genannt. Nachdem die Einreisebedingungen gelockert wurden, Visas online in Minuten erteit werden, arbeitet die Regierung eifrig an der Attraktivität als Reiseziel. Al Ula ist eines der Vorzeigeprojekte mit seiner atemberaubenden Landschaft und kulturhistorischen Denkmälern aus der Dedan- und Nabatäerzeit. Aber der Ort entwickelt sich auch zu einem Zentrum für moderne Kunst.
Bereits zum dritten Mal findet die Ausstellung Desert X statt, dieses Jahr von Maya El Khalil und Marcello Dante kuratiert. Ein Muss für Anhänger der Landschaftskunst. „Presence of Absence“ lautet zündend das Thema. Die Präsenz der Abwesenheit soll sichtbar machen, was nicht gesehen wird. Der Besucher ist aufgerufen, das Unsichtbare, das Unausdrückliche zu erforschen. 15 Installationen von vorwiegend weiblichen Künstlerinnen aus der vornehmlich arabischen Welt sind dazu an drei Standorten zu erleben. Der überwiegende Teil der Ausstellung ist in einem canyongleichen Tal in der den Ort umgebenden Wüste zu sehen. Der Standort ist fast zu ideal gewählt, die Faszination der Landschaft konkurriert selbstbewusst mit der Aussagekraft der Kunstwerke, die zumeist im Bezug zum Standort stehen.
So werden überlebensgroße Kopien von schwarzen Perlen gezeigt. Moniza al Gadin nimmt in ihrem Werk W.A.B.A.R. Bezug mit hiesegen Funden unbekannter Herkunft vermutlich aus dem All. Anziehend auffällig ist die glanzpolierte verspiegelte Kugel von Faisal Semra, die sich mitten auf einer kleinen Mauer befindet. Die Geräusche des Windes sucht Kader Attia in seiner Skulptur aus blauen Flaschen empfindbar zu machen sowie Karola Braga aus Brasilien die Düfte des Orients in Sfumato, wo sie dem historischen Reichtum der Region durch den Weihrauchhandel ein erlebbares Bild durch den Geruch vermittelt. Grossflächig und ausgesprochen wirkungsvoll ist die Arbeit des Ghanesen Ibrahim Mahama. In Dung Bara - „the Rider does not know the Ground is hot“ zeigt er fühlbar den Schmerz der Bevölkerung seines Landes durch politische Opfer, indem er die für seine Region typische Bestattung in Tontöpfen auf den Kopf stellt.
Der Rundgang führt in angenehmen Distanzen durch die Landschaft von Werk zu Werk, junge Studenten geben jeweils Erklärungen auch in englischer Sprache und falls Müdigkeit eintritt sind elektrisch betriebene Golfcarts überall bereit. Bei einkehrender Dunkelheit unterstützen weitere natürliche Effekte auch die Schönheit und Expressivität einzelner Installationen. So auch die der Koreanerin Kimsoola, die in einer Schnecke aus Glaswänden die Lichtbrechungen als natürliches Schauspiel in Ihre Arbeit integriert.
DesertX ist eine würdige Fortsetzung der ersten ähnlichen Kunstschauen in Utah oder Arizona, die die Landart erst zum Medium machten.
In der Hauptstadt Riyadh findet zeitgleich die Diriyah Contemporary Art Biennale statt. Die bereits etablierte Ausstellung wechselt sich jährlich mit der Islamic Art Biennale in Djedda ab. After Rain lautet das diesjährige Leitmotiv, der von Ute Meta Bauer kuratierten Ausstellung. Sie adressiert in dem Thema - zumeist unpolitisch- die globale Klimakrise und die langfristigen Auswirkungen der Kolonialisierung und neue Formen des Extractivismus, das wirtschaftliche Ausbeuten der Natur. In sechs Hallen wird in unterschiedlichen Ausprägungen hierzu Stellung bezogen.Auch hier in jedem Saal persönliche Erklärungen durch junge Araber und Araberinnen möglich. Insgesamt beeindruckt die großzügige Organisation in beiden besuchten Ausstellungen, das Committment des Königshauses widerspiegelnd.
Die Herkunft der zumeist weiblichen Künstlerinnen konzentriert sich auf den arabischen Raum, Iran inklusive. Wenige Europäer sind vertreten. Anais Tondeur aus Frankreich zeigt in ihrer ansprechenden Installation aus Glas Urban Petrichor destilliertes Regenwasser von den Straßen Paris. Regina Maria Möller aus Deutschland ist mit ihrer großflächigen Raumgestaltung Die Motte vertreten, um dem negativ besetzten Tier einen Anspruch zu geben. Malgorzata Mirga-Tas aus Polen hat sich einen Ruf als erste anerkannte Künstlerin der Minderheit der Roma grmacht. Sie ist mit zwei Porträts aus persönlichen Kleidungsstoffresten vertreten.
Der international gefeierte Ghanese El Anatsui ist mit zwei eindrucksvollen Werken dabei. Er verarbeitet Gegenstände des täglichen Lebens meist Abfälle wie Flaschenbinden oder Kronenverschlüsse, bis zu raumgreifenden Installationen Er kritisiert die kolonialen Importe, den Konsum und den wachsenden Abfall in der Gesellschaft. Er ist für sein Lebenswerk mit dem Goldenen Löwen der Biennale Venedig geehrt worden. 13 Jahre arbeitete er an Logoligi Ligarithm, einem wandelbaren Labyrinth.
Kulturelle ökologische Umweltprobleme spricht Paulo Traveres in Autonoma an und nimmt Bezug zur Vertreibung der indigenen Bevölkerung im Amazonas.
Vielfältig und abwechslungsreich mit unterschiedlichen Techniken und Hilfsmitteln ist die Ausstellung zusammengesetzt. Das künstlerische Engagement in der arabischen Welt bekommmt hier eine ansprechende Bühne mit großer Aufmerksamkeit, wie der rege Besucherstrom zeigt. Auch die lokale sehr junge Bevölkerung zeigt großes Interesse und nimmt aktiv an interaktiven Kunstwerken teil. So wird der klassische Ausstellungsbesuch auch zum wichtigen kulturell verbindenden gesellschaftlichen Studium.
Dr. Helmut PItsch
25. Februar 2024 | Drucken
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