Staatsoper Hannover
John Adams
Nixon in China
Premiere am 3. Juni 2023
Besuchte Aufführung: 6. Juni 2023
Hannover präsentiert die heroische Oper Nixon in China des zeitgenössischen amerikanischen Komponisten John Adams, Text von Alice Goodman, uraufgeführt in Houston im Oktober 1987. Das Interesse an diesem Werk ist gegenwärtig wieder gestiegen. Neben u.a. in Paris und Dortmund in dieser Spielzeit wird es in der kommenden Saison auch an der Deutschen Oper Berlin in einer Neuinszenierung zu sehen sein.
Die Handlung schildert vereinzelte Geschehnisse auf der legendären Reise Richard Nixons zu Mao Tse-tung im Jahre 1972. Dabei wechseln Begegnungen der Politiker bei Staatsakten zum Beispiel am Pekinger Flughafen, in der Großen Halle des Volkes oder bei der Aufführung einer konterrevolutionären Muster-Ballett-Oper mit privaten Momenten der Staatsmänner oder der Gattin Nixons, Pat, beim Gang durch Peking. Das Werk mündet in eine Szenerie innerer Einkehr der Protagonisten mit melancholischen Selbstreflexionen über die eigene, sehr individuelle, private Vergangenheit und die Frage Chou En-Lais: Wieviel von dem, was wir getan haben, war gut?
Wesentlicher inhaltlicher Aspekt ist auch die vom amerikanischen Präsidenten unausgesetzt angestrebte mediale Wirkung von live Fernsehübertragungen bzw. weiterer Berichterstattung zum Ereignis und seiner Person, bzw. die Wirkung auf die Zustimmungsquote seiner Wählerschaft zuhause in den USA. Letztlich wird die Frage nach dem Zusammenhang von Motivation und Wirkungsgehalt politisch verantwortlicher Handlungsträger im Hinblick auf gesellschaftliche Entwicklungen berührt.
Es gibt keine eindimensionalen Erklärungsangebote für persönliches politisches Handeln. Vielmehr wird in der Gegenüberstellung von öffentlich politischem Auftritt und ganz privater Konditionierung der handelnden Personen ein unergründlicher, nachgerade rätselhaft kosmischer Wirkungsmechanismus beleuchtet, der je mehr man ihm nachforscht, desto unergründlicher verbleibt. Ein so in vielerlei Hinsicht schwacher, medienabhängiger, später innenpolitisch skrupelloser Mann wie Richard Nixon führt die Öffnung zwischen den beiden Nationen USA und China, und damit indirekt Chinas Aufstieg zu einer wirtschaftlichen, politischen und militärischen Großmacht herbei? Ein philosophierender, leisetretender Mörder wie Mao Tse-tung erwidert den Handschlag des Vertreters der kapitalistischen, gegnerischen, soeben noch bekämpften Großmacht? Was bewegt diese Politiker im Moment des Handelns und was bewirkt dies für die Glaubwürdigkeit der politischen Systeme?
Die post-minimalistisch geprägte, musikalische Struktur der Partitur tut ihr Übriges: in einer Mischung aus inwendig modulierender Rhythmisierung und changierender melodischer Klangfarbenentwicklung gerät der Zuhörer in eine Art Betäubung, welche die Handlungselemente und Motivationen verschwimmen lassen. Adams ergänzt diese Klangcluster immer wieder mit romantischen z B auf Wagner und Richard Strauss basierenden, wie auch aus dem Jazz stammenden Motiven und Elementen. Man kann sich die Faszination der Musik auf die Zeitzeugen in den achtziger Jahren im damaligen Kosmos vielseitiger Lebensexperimente und politischer Bewegungen gut vorstellen, auch wenn man heute die repetierenden und in Teilen langen musikalische Entwicklungsbögen ermüdend empfinden mag.
Hinsichtlich des inhaltlichen Bedeutungsgehaltes drängen sich Parallelen auf. Handlungsweisen und Rhetorik von amerikanischen, asiatischen oder anderen Politikern werden heute mindestens so unerklärbar und traumwandlerisch empfunden wie in den 80er Jahren. Die unkalkulierbaren Wirkungen der fortgeschrittenen Medien- und Informationsgesellschaft mit einer sich weiter verstärkenden System- und Demokratiemüdigkeit erzwingt geradezu eine erneute Hinterfragung des Werkes.
Der amerikanische Regisseur Daniel Kramer zusammen mit Lizzie Clachan für die Bühne, Esther Bialas für die Kortüme sowie Elana Siberski für die Lichtregie bewegt die Figuren der Oper in einem unwirklichen Kosmos, den sie durch eigene Handlungsanstöße bewegen, ohne die weiteren, langfristigen Wirkungen absehen zu können. Aktuelle Politik vertagt zunächst die Frage der Verantwortung.
Während in den ersten beiden Akten äußerlich eine starke Abgrenzung im Gestus der amerikanischen und asiatischen Protagonisten vorherrscht, versiegt die Handlung ins fast nur noch Private im dritten Akt. Momente der höchsten Selbstverzückung der Politiker angesichts Ihrer Großtaten wechseln in intime, kindliche Erinnerungen an ihre Vergangenheit und Herkunft.
Kramer fokussiert auf die Frage, was das Individuum – und sei es auch noch so mächtig – im Fluss der Geschichte wirklich bewirken kann und welche Verantwortung es trägt. Das grün-lastige Bühnenbild sowie auch die grün-dominierte Maske des Chores und der Statisten beziehen sich auf die 1972 entwickelte technische Komponente des sogenannten Green-Screens, die für die Fernsehaufzeichnungen in jener Zeit üblich waren.
In einem Vergleich zwischen 1972 und heute sehen wir: das Spiel geht weiter und wird rätselhaft bleiben. Es besteht die Notwendigkeit, das Rätsel nicht für sich stehen zu lassen, sondern Erkenntnisse zu den Mechanismen des Geschehens und den handelnden Individuen sowie die Wirkung politischen Handelns unausgesetzt zu hinterfragen. Gerade weil sie sich uns zunehmend weiter zu entziehen scheinen. Die Frage Chou En-Lais: Wieviel von dem, was wir getan haben, war gut? und damit nach der Verantwortung politischen Handelns muss immer wieder neu gestellt werden. Dazu braucht es nicht einmal den aktuellen Krieg Russlands gegen die Ukraine zum Anlass.
Das herausragende Sängerensemble mit überwiegend großen gesanglichen Aufgaben wird angeführt von Daniel Norman, der die anspruchsvolle und kräftezehrende Partie Mao Tse-tungs mit Verve und einer nachgerade tiefgründigen Freude am mephistophelischen Gestus des großen Führers gibt. Mercedes Arcuri weiß den teilweise aberwitzigen stimmlichen und darstellerischen Anforderungen der Partie von Maos Frau Chiang Ch’ing Durchschlagskraft zu geben.
Mark Stone als Richard Nixon, Eliza Boom als seine Frau Pat gestalten überzeugend das amerikanische Präsidentenpaar. Als Henry Kissinger weiß Michael Kupfer-Radecky seine stimmliche und darstellerische Wandlungsfähigkeit und die Beherrschung auch skurriler Verhaltensweisen unter Beweis zu stellen.
Glanzvoll und mit großer Wirkungskraft die Gesamtleistung von Darwin Prakash als so noblen, zurückhaltenden wie undurchschaubaren Chou En-Lai. Henry Kissinger hat einmal gesagt, dass er in sechzig-jähriger Erfahrung keine Persönlichkeit erlebt habe, die so faszinierend war wie dieser Politiker. Der junge Sänger Darwin Prakash vermag diese Faszination auf der Hannoveraner Bühne lebendig zu machen.
Der Chor der Staatsoper Hannover unter der Leitung von Lorenzo da Rio überzeugt als Volk und Parteisoldaten in mannigfachen Bildern und umfangreichen Aufgaben, die mit großem Engagement bestens erfüllt werden.
Das Niedersächsische Staatsorchester Hannover unter der Leitung des australischen Dirigenten Daniel Carter bewältigt mit Spielfreude die intrikaten rhythmischen und farblichen Vexierspiele der Partitur. Das spezielle Klangbild wird wirkungsvoll von einem Quartett professioneller Saxophonisten ergänzt: Kirstin Niederstrasser, Regina Reiter, Alexander Doroshkevich sowie Christoph Enzel, die ansonsten alle als Solisten, Mitglieder verschiedener Saxophon-Ensembles, als Komponisten oder als Hochschullehrer wirken.
Langer Beifall für alle Solisten, den Dirigenten mit vielen Bravo-Rufen für die Protagonisten.
Achim Dombrowski
Copyright Fotos: Sandra Then
09. Juni 2023 | Drucken
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