Berlin: Trilogie der System-Sprengerinnen

Xl_848675b6-feca-4ffb-ac05-d3ec01f4ea29 © Monika Rittershaus

Deutsche Oper Berlin

Der Schatzgräber

Franz Schreker

Premiere am  1. Mai 2022

Die Deutsche Oper Berlin kann mit ihrer Produktion der Oper Der Schatzgräber von Franz Schreker ihre Trilogie der System-Sprengerinnen erfolgreich abschließen. So bezeichnet der Regisseur Christoph Loy die schillernden Frauengestalten eines Opern-Zyklus aus Korngolds Wunder der Heliane (Premiere 2018), Zandonais Francesca da Rimini (Premiere digital März 2021 ) und nunmehr Schrekers Der Schatzgräber.  Der Schatzgräber wird an der Deutschen Oper über hundert Jahre nach der Uraufführung am Hause zum ersten Mal gezeigt.  

Die irreale, verschachtelte und wiederholt durch märchenhafte Wendungen gekennzeichnete Handlung um Königin, Narr, Kindfrau und Schatzgräber ist charakterisiert durch vielerlei, vor allem erotische Symbolelemente, in deren Mittelpunkt das Kindweib Els steht. Els hat es verstanden, immer wieder Männer in ihren  Bann zu ziehen, die ihr wertvollen Schmuck durch Raub oder Mord verschafft haben. Auch ihr in diesem Sinne bedeutendster Schatzgräber Elis soll ihr einen weiteren Schatz als Sinnbild der Sehnsucht auf Erlösung besorgen. Die Handlung kann in mannigfaltiger Weise – und je nach Belieben des Betrachters – tiefenpsychologisch gedeutet werden.  

Zunächst konnte das Werk nach der Uraufführung 1920 in Frankfurt bis ca. 1924 große Erfolg verzeichnen. Bis 1932 sind 385 Aufführungen in über 50 Städten dokumentiert, davon 354 bis zur Spielzeit 1924/25. Schreker gehörte zu den meistgespielten Opern-Komponisten der Weimarer Republik. Ab etwa 1925 gab es in der kulturgeschichtlichen Entwicklung eine Epochenzäsur. Schreker selbst wurde spätestens seit 1932 auch Opfer antisemitischer Angriffe. Heute ist Der Schatzgräber nur äußerst selten auf den Spielplänen zu finden. Umso verdienstvoller die Initiative der Deutschen Oper. 

Der Regisseur Christof Loy, sein Bühnenbildner Johannes Leiacker sowie die Kostümbildnerin Barbara Drosihn versuchen gar nicht erst, die irrealen Inhalte auch noch auf die in der Handlung vorgesehenen, verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen herunterzubrechen. Vielmehr schaffen sie den Einheitsraum eines schwarz-marmornen, kalten gesellschaftlichen Machtzentrums, in dem die Auswirkungen der in der Handlung existenten, oft erotisch motivierten Ereignisse zusammenfließen. Die Männer tragen in den Kostümen die Insignien der Macht, oft auch militärische Uniformen, die Frauen sind tendenziell in einer Art Dienstmädchen-Kleidung präsent.  

Viele der Charaktere sind vornehmlich nicht als die Figuren einer konkreten Handlung dargestellt, sondern eher Ausprägungen menschlicher Sehnsüchte, unterdrückter Empfindungen oder Charaktere auf einer unbestimmten Suche.   

Über weite Strecken deklamieren die Sänger - neben diversen balladenhaften Anteilen - den überaus langen, ausufernden, von Schreker selbst geschriebenen Text immer wieder mehr als dass sie singen.  

Spätestens angesichts der in Teilen schwülstigen, die musikalische Struktur noch steigernden, sehr umfangreichen Textmassen sind sich Regisseur und Dirigent einig, dass sie den Sängern zur Umsetzung ihrer textreichen Passagen Freiraum in der Weise geben müssen, dass sie oft deklamatorisch frei und spielerisch weniger eingebunden - zum Publikum gewandt - deklamieren. Das erfolgt in szenisch geschickter Form und in der Personenführung so gekonnt, dass der Eindruck des frontalen Singens über weite Teile doch vermieden werden kann.  

Dreh- und Angelpunkt des Geschehens ist die erotische Eruption in der Szenerie des 3. Aktes. Die aggressiv-sexuelle Begegnung aller Anwesenden versinnbildlicht wie in einem potentiell tödlichen Sommernachtstraum den Ausbruch unterdrückter Empfindungen in surrealer Übersteigerung von Eros und Tod und der Gefährdung daraus. Hierin kommt auch eine Gruppe von 12 oft choreographisch geführten stummen Darstellern zum Einsatz. Die rauschhafte Suche nach dem Glück mündet in keiner Weise in Harmonie. In dieser Szene erreicht die Musik in vielfältigen Tristan-Bezügen ihren expressiven, klangberauschenden Höhepunkt.            

Ein begeisterndes Rollenportrait leistet Michael Laurenz als Narr. In anrührender Weise vermag der Sängerdarsteller die vielfältigen Facetten dieser mehrdeutigen Partie mit den leidvollen Sehnsüchten eines Narren am Hofe der Mächtigen auszuprägen. Seine Darstellung bleibt lange im Gedächtnis.

Elisabet Strid singt die Kindfrau der Els mit nicht nachlassendem Einsatz. Die nicht zu überschätzenden stimmlichen Anforderungen der Partie gehen einher mit der nicht einfachen darstellerischen Umsetzung dieser heute kaum mehr vermittelbaren, geheimnisvollen Frauenfigur. 

Der Elis und Schatzgräber des schwedischen Tenors Daniel Johansson überzeugt in seiner mörderischen Partie vollkommen. Bei jedem Sänger wird man den unglaublichen Anspruch und die höchsten Anforderungen hinter dieser gesanglichen und deklamatorischen Riesenrolle spüren.  

Thomas Johannes Mayer gibt einen überzeugenden, umsetzungsstarken und gewaltbereiten Vogt, der König wird von Tuomas Pursio mit dem notwendigen Schuss eitler Herrschaftsgeste verkörpert. 

Viele weitere Solisten haben ihren nicht geringen Anteil am gelungenen Gesamtbild der Produktion am Premierenabend. 

Opernchor und Extra-Chor der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Jeremy Bines tragen in gewohnt zuverlässiger Weise zum Gesamterlebnis bei.  

Der Dirigent Marc Albrecht ist ausgewiesener Fachmann der Musik dieser Stilrichtung und insbesondere auch für Der Schatzgräber. Er war schon bei einer der wenigen Nachkriegsproduktionen des Werkes in Hamburg 1989 unter dem Dirigenten GERD Albrecht als Assistent dabei und hat 2013 eine Einspielung auf Tonträger vorgelegt. Mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin gelingt ihm ein nicht enden-wollender Klangrausch feinster Art und in überzeugendem Detail.   

Langanhaltende Publikumszustimmung für alle Beteiligten. inklusive des Regieteams, standing ovation für die Protagonisten der Hauptpartien Michael Laurenz, Elisabet Strid und Daniel Johansson. 

Achim Dombrowski

Copyright: Monika Rittershaus

| Drucken

Mehr

Kommentare

Loading