In einer weiteren Zusammenarbeit von Daniel Barenboim mit Andrea Breth zeigt die Staatsoper Unter den Linden Berlin als erste Spielzeitpremiere Luigi Cherubinis Medea.
Die Regisseurin hat zusammen mit dem Dramaturgen der Produktion, Sergio Morabito eine stark gekürzte, jeden Pathos vermeidende Neufassung des französisch gesprochenen Textes erarbeitet. Anders als die sonst in der Opéra Comique üblicherweise vorhandenen Prosatexte, verwendet der Textdichter Francois-Benoit Hoffmann im Original Alexandrinerverse. Sie werden in der Neufassung massiv gekürzt und möglichst nah an einen psychologisch begründeten Prosaduktus herangeführt.
Die vom Bühnenbildner Martin Zehetgruber entworfene Einheitsszene spielt trotz der per Drehbühne sich wandelnder Räume durchgehend in einem Lagerhaus zur steuerschonenden und krisensicheren Verwahrung von Kunstwerken oder anderen Wertgegenständen, wie es sie zur Bewahrung der Beute aus kolonialistischer Vergangenheit gab und wie sie heute etwa in Luxemburg oder Singapur existieren und welche oft wertvolle Kunst vor den Augen der Öffentlichkeit verbirgt. Ganz Korinth ist eine Verwahrstelle für Raubkunst, einschließlich des Goldenen Vlieses, welches ganz plastisch abgebildet wird. Etwas anderes scheint im Staate Créons nicht zu existieren, bzw. keine Bedeutung zu haben. Das Volk wird dann auch nach Möglichkeit von Créon durch Schließen eines Rolltores ausgeschlossen. Seine Tochter Dircé wird im goldenen Staatskleid und folgerichtig anlässlich der Hochzeitszeremonie mit Geldscheinen bepflastert. Sie ist Investitionsgut und Opfer dieser Staatsräson. Eine bedrückend und ausweglos erscheinende Atmosphäre. Die Übermächtigkeit einer solchen Bildgebung erlaubt von vorneherein keine Hoffnung für andere Orientierungen als der nach Macht und materiellem Reichtum. Die angestrebte Aktualisierung vermag dabei nicht unbedingt die Wirkung zu steigern.
Die Bühne ist in der Lichtregie von Olaf Freese je nach Handlungsentwicklung und psychologischer Stimmungslage ausgeleuchtet. Oft entstehen übergroße Schattenbilder der agierenden Darsteller. Für das Flammenmeer zum Untergang des Königreiches wird nicht an theaterwirksamer Pyrotechnik gespart.
Medea ist hier fremd. Sie erscheint in leicht dunklem Teint und wie in einem arabischen, weit fallenden Gewand (Kostüme Carla Teti) während alle anderen Protagonisten und der Chor tendenziell in neuzeitlicher Alltagskleidung auftreten.
Sonya Yoncheva ist eine stolze, verzweifelte und machtvolle Medea. Vor ihrem gewaltigen Leiden, ihrer Verzweiflung und ihrem kämpferischen Auftritt erscheinen alle anderen Darsteller klein und schwach. Dies wird insbesondere deutlich an der nachgerade lächerlichen Erscheinung von Jason, dem Vater ihrer beiden Kinder. Obwohl er ihr die entscheidenden Schritte seines Erfolges verdankt, lässt er sie für die Chance, in das Königshaus Korinth einzuheiraten, im Stich. Der Streit um die Söhne wird von ihm mit lächerlicher, banalisierender Haltung geführt. Er lässt sich gar dazu hinreißen, Medea sein Jacket wie das rote Tuch eines Stierkämpfers entgegenzuhalten.
Die Yoncheva bleibt der gewaltigen Partie nichts schuldig. Mit schonungsloser Hingabe steigert sie sich von Akt zu Akt. Im dritten Akt gelingt ihr eine überragende Gestaltung über Sprache, ruhelose, kreisende Choreographie und Ekstase. Die immerwährende darstellerische und gesangliche Verausgabung mündet schließlich im Versuch, den sich bereits schließenden Theatervorhang aufzuhalten, um wie für die Ewigkeit in ihrer Raserei gegenwärtig zu bleiben. Gesanglich und in der extremen Darstellung eine grandiose Leistung dieser immensen, und einstmals durch die Callas wiederentdeckten und lange Zeit mit ihr personifizierten Partie.
Charles Castronovo als Jason ist gesanglich ein ebenbürtiger Partner. Sein sicher und feinsinnig geführter Tenor überzeugt mit jeder Faser. Die Tongebung ist formschön und makellos. Seine tendenziell strenge und sachliche Stimmführung machen ihn zu einem wesensfremdem Partner Medeas. Als Paar kann man sich die ehemaligen Partner kaum vorstellen. Elsa Dreisig als Dircé besticht in ihrer Rolle als unglücklich-auserwählte Tochter und zukünftige Ehefrau. Ihre jugendliche Sopranstimme vermag den Grad zwischen Jugendlichkeit und dem Zwang und Widerstand zu ihrer verordneten Rolle anrührend abzubilden. Marina Prudenskaya als Néris gibt eine bei aller zurückgenommenen Darstellung bewegende und einfühlsame Vertraute Medeas. Iain Paterson ist ein in Spiel und Gesang imposanter, mit Kalkül einfühlsamer und machtbewusster Brautvater Créon.
Die Staatskapelle unter der Leitung ihres Chefs Daniel Barenboim präsentiert eine fast ungekürzte Fassung wie sie von Cherubini selbst nach der Uraufführung autorisiert wurde. Das außerordentlich durchsichtige und die Sänger tragende Spiel zeichnet sich zudem durch eine Reihe exzellenter solistischer Instrumental-Partien aus. Nur beispielhaft für die hohe Qualität der Mitglieder der Staatskapelle seien hier Flöte, Piccoloflöte, Fagott und Horn genannt.
Lang anhaltender Beifall, Jubel für Sonya Yoncheva, aber auch für Castronovo und die auf der Bühne erscheinende Staatskapelle mit ihrem langjährigen Chef Daniel Barenboim. Vereinzelte Buhrufe gab es für das Regieteam.
Achim Dombrowski
09. Oktober 2018 | Drucken
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