Das Wunder der Heliane triumphal in Berlin

Xl_heliane_227jagde_jakubiak_wagner_hf © Monika Rittershaus

Das Wunder der Heliane

Deutsche Oper Berlin
Premiere am 18. März 2018

Das Wunder der Heliane geht auf ein Mysterienspiel des österreichischen Expressionisten Hans Kaltnecker zurück, welches Hans Müller-Einigen zum Opernlibretto verarbeitet hat. Die von Korngold selbst als sein Meisterwerk bezeichnete, in Hamburg 1927 uraufgeführte Oper, wurde zwar zunächst vielfach nachgespielt, verschwand aber schnell wieder von den Spielplänen und wird bis heute fast nie auf die Bühne gebracht. Der Regisseur Christoph Loy zusammen mit dem Dirigenten Marc Albrecht haben der Deutschen Oper Berlin den Vorschlag gemacht, eine Aufführung des angesichts eines großen Sängerensembles sowie gewaltigen Chor- und Orchesterapparates aufwändigen Werkes zu wagen.

Das schwülstige Libretto mit seiner mystisch-expressionistischen Handlung ist heute schwer verdaubar: ein unschuldig-lachender Jüngling soll im Reich des Herrschers, der strengstes Lustverbot verordnet hat, hingerichtet werden. In seiner letzten Nacht begegnet er der Frau des Herrschers, Heliane und bittet diese, ihre unverhüllte Schönheit nackt sehen zu dürfen, welches sie gewährt. Heliane droht gleichfalls der Tod, den der Jüngling durch seinen eigenen Selbstmord zu verhindern versucht. Die Richter verlangen eine Klärung von Helianes Schuld oder Unschuld hinsichtlich des vorgeworfenen Ehebruchs durch ein Gottesgericht. Heliane soll den Jüngling wiedererwecken. Nach dem Wunder der Wiedererweckung des Jünglings und abermaliger Zurückweisung durch Heliane ersticht der Herrscher schließlich seine Frau. Heliane und der Jüngling verlassen das freudlose Reich in eine jenseitige Gemeinschaft.

Das Mysterienspiel war zur Zeit der Entstehung des Werkes, eigentlich das Zeitalter der sogenannten Sachlichkeit, ein auch im Film vertrautes Genre. Gleichwohl war die Vorlage der Oper schon zur Uraufführung in ihrer Engführung von Religion und Sex eine schwer verdaubare Kost. Sie  stellt den Zuschauer immer wieder  vor die Notwendigkeit, die vielschichtigen, unbestimmten Symbolismen selbst zu deuten und einzuordnen. Der in jeder Hinsicht große Aufwand, den die Realisierung des Werkes auf der Bühne zudem erfordert, hat in den letzten Jahrzehnten lediglich zu Aufführungen in Gent und Bielefeld geführt. Das Werk wurde zudem in der Dokumentation Entartete Musik im Dritten Reich auf Tonträger festgehalten.

Die visuelle Umsetzung erfolgte im Bühnenbild von Johannes Leiacker, den Kostümen von Barbara Drosihn und in der Lichtgestaltung von Olaf Winter. Das Einheitsbild zeigt einen wie aus verschiedenen Perioden der europäischen Architektur geronnenen Raum der Repräsentation eines staatlichen oder kirchlichen Machtmonopols. In seiner übermenschlichen Größe und Leere wirkt er erstarrt und leer wie die Menschen selbst in ihm. Die an der hinteren Wand angebrachte, stehende Uhr ist Sinnbild der stehengebliebenen Zeit. Die Kostüme der Sänger und des Chores sind mit Ausnahme der weißen Erscheinung der Heliane in dunklen, oft schwarzen, relativ einheitlichen Anzügen und Kostümen gestaltet. Die fein abgestufte Lichtgestaltung ermöglicht eindrucksvoll eine sensible atmosphärische Darstellung der schwankenden Stimmungen, insbesondere in den großen Chorszenen des Volkes im dritten Akt.

Die Oper ist bei einer erfolgreichen Umsetzung auf der Bühne vor allem von drei Protagonisten abhängig: Sara Jakubiak gab eine darstellerisch selbstvergessen erscheinende, in den lyrischen Bögen der Gesangspartie ebenso wie in den großen Ausbrüchen stimmlich und ihrer Ausstrahlung hinreißende Heliane. Sie überzeugte sowohl in ihrer großen Arie im zweiten Akt wie auch den so mystisch-exaltierten Szenen der Handlung. Ihr nackter Auftritt im ersten Akt wird von einer kindhaft-unschuldigen Aura wie bei einer Marienfigur umgeben. Brian Jagde gibt den Fremden, den fröhlichen Jüngling. Die Stärken des Sängers liegen in den fast unausgesetzt geforderten Fortetönen der höheren und hohen Lagen – seinen Calaf kann mich sich schon gut ausmalen. Möglicherweise könnte ein besseres Verständnis für die deutsche Sprache auch in den lyrischeren Teilen der großen Partie die Überzeugungskraft des Sängers noch erhöhen. Josef Wagner gibt des Herrscher und Gemahl Helianes mit geschmeidigem und tendenziell hoch liegenden Bariton. Rückhaltloses Spiel und schonungsloser stimmlicher Einsatz überzeugen bei diesem in seiner dunklen Energie sexueller Frustration gefangenen Charakter. 

Die Fremde und vormalige Partnerin des Herrschers wurde von Okka von der Damerau mit großer Präsenz gegeben. Der Pförtner von Derek Welton war ein stimmlich und darstellerisch ergreifender und zwischen den Welten wandelnder, sehr menschlicher Charakter. Das weitere Ensemble wurde zum Teil von Stipendiaten verschiedener Förderorganisationen und des Förderkreises der Deutschen Oper Berlin bestens abgerundet. Chor und Extrachor der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Jeremy Bines überzeugte rundum in den gar nicht kleinen Partien des Volkes.

Das Orchester der Deutschen Oper Berlin schwelgte im Klang der Harfen, Celesta und aller weiteren, die süßliche Strahlkraft der Partitur unterstützenden Instrumente. Das Orchesterkollektiv breitete unter der engagierten Leitung des in Berlin offensichtlich sehr beliebten Marc Albrecht einen betörenden, nicht enden wollenden Klangzauber aus, dem das Publikum komplett erlag. Dessen begeisterte Reaktion steigerte sich von Akt zu Akt und gipfelte in großen Jubel am Ende der Aufführung. Ungezählte Bravorufe für Sänger und Orchester, allen voran für Sara Jakubiak Josef Wagner und Brian Jagde, zeugen jedenfalls dafür, dass die Wirkmächtigkeit der Musik trotz des problematischen Librettos auch heute noch gegeben ist. Ein einzelner Buhrufer für das Regieteam fachte wirkungsvoll begeisterte Rufe der Zustimmung im gesamten Haus an.     

Somit gelang der Deutschen Oper Berlin die künstlerisch überzeugende Umsetzung des aufwändigen Werkes auf höchstem Niveau. Hinsichtlich der musikalischen Qualitäten der Musik sowie der Inhalte der Vorlage muss letztendlich jeder Zuschauer für sich selbst entscheiden, wie er Werk und Wirkung aus seiner eigenen, heutigen Sicht betrachten und bewerten will.

Achim Dombrowski

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