Das Märchen vom Zaren Saltan
Nikolai Rimski-Korsakow
Staatsoper Hannover
Premiere am 13.01.2023
Als erste Neuproduktion des Jahres 2023 präsentiert die Staatsoper Hannover die selten gespielte Oper Das Märchen vom Zaren Saltan. Der Text von Wladimir Belski basiert auf dem Märchen von Alexander Puschkin.
Nikolai Rimski-Korsakow, der Komponist der 1900 in Moskau uraufgeführten Oper ist der erfolgreichste Vertreter der russischen Komponistengruppe des mächtigen Häufleins. Diese Komponisten waren auf der Suche nach dem authentischen, nicht von westlichen Einflüssen getragenen, national-russischen Musikstil. Dazu fokussierten diese Künstler wiederholt auf das russische Märchen und die Volksliedkunst der unterschiedlichen russischen Regionen.
Mit insgesamt 15 komponierten Opern und einem breiten Repertoire in vielen weiteren Werkgruppen war Rimski-Korsakow der produktivste Komponist dieser Gruppe. Er hat sich außerdem um die Aufführung von Modest Mussorgskis Boris Godunow verdient gemacht, dessen Vervollständigung und üppige Orchestrierung er schuf und dessen Erfolg er damit erst ermöglichte.
Zu seinen bedeutenden Schülern gehörten Sergei Prokofjew und Igor Strawinsky.
Schon vor Beginn der Vorstellung sieht der Zuschauer auf eine ewig-laufende veraltete Tonbandmaschine, die in gehobener russischer Sprache das Märchen rezitiert. Dieser gehobene Sprechstil wird immer wieder zurückkehren und wie in unendlicher Folge die Handlungsmomente umrahmen, im weiteren Verlauf auch durch Übertitel übersetzt.
Zugleich hat das ewige Weben des Märchens bereits einen langen, die gesamte Bühnenhöhe einnehmenden Zopf geschaffen, der einerseits eine Verbindung mit der Zauberwelt darstellt und in den Frisuren der bösen Schwestern wiederkehrt, andererseits aber auch als rätselhaftes Sinnbild abzuschneidender Traditionen erscheinen mag.
Eine Reihe von Kindern unterschiedlichen Alters in der Gestalt des Gwidon begleitet den Zarensohn durch die Zeit, seine Abenteuer und sein Erwachsenwerden.
Diese und weitere bildhaft ausgespielte, märchenhafte Symbole machen den Reiz und Zauber der Inszenierung von Eva-Maria Höckmayr aus. Am Rande der Bühne verweilen die zeitweise nicht unmittelbar in die Handlung einbezogenen Solisten oder der Chor und lauschen und betrachten den Fortgang der Geschichte. Die Elemente des Märchens werden dabei unangetastet in ihrer vielschichtigen Rätselhaftigkeit belassen und ermöglichen so ihre zauberische Wirkung auch auf den heutigen Zuschauer zu übertragen.
Die Personenführung besticht durch das intensiv-glaubwürdige Spiel der Charaktere bei den wesentlichen Handlungsszenen. Es wird unmittelbar deutlich, dass die Ereignisse dieser Begegnungen besondere Angel- und Schicksalspunkte im Leben der Figuren darstellen. Die Protagonisten erhalten eine aktive Handlungsrolle im Laufe des sich im Märchen entwickelnden Schicksals.
Die Bühne von Julia Rösler mit den Bildern von Zopf, Zarenthron und vielem anderem, die einfallsreichen Kostüme von Andy Besuch sowie die wogende, oft mit Wasserelementen arbeitende Videokunst von Krzysztof Honowski kreieren alle zusammen einen traumhaft-intensiven Raum, der auch den erwachsenen Betrachter komplett vereinnahmt und in den Bann schlägt.
Die phantasievollen Welten in Spiel und Bild regen leicht zum Nachdenken über die ewigen Märchenthemen des Guten und Bösen, der Verzauberung, und der menschlichen Charaktereigenschaften im allgemeinen an. Der Betrachter mag seine jeweils eigenen, realen oder utopischen Bezüge dazu reflektieren. Dem Zauber entgeht hierbei niemand. Diese liebevoll-einfühlsame Realisation ist dabei auch perfekt als Opernbesuch für die gesamte Familie geeignet.
José Simerilla Romero als Zarensohn Gwidon kommt die wichtige Rolle zu, durch seine Fragen, Sehnsüchte und utopische Wundergläubigkeit die Handlung dynamisch in Gang zu halten. Dem Tenor gelingt dies auf wunderbare Weise: der Schmelz seiner Stimme, bzw. seine Erfahrungen im italienischen Fach der Oper kommen ihm dabei in besonderer Weise zugute.
Sarah Brady als Schwanenprinzessin ist eine ebenbürtige Partnerin, die wie ein Mensch gewordene Traumbilderscheinung zur Braut des Zarensohns wird.
Barno Ismatullaeva als Zarin Militrissa besticht in der Darstellung des weiten Spektrum von mütterlicher Erfüllung, trauriger Verlassenheit, Verzweiflung, Angst und Freude der Wiedervereinigung mit dem Zaren. Dabei stützt sie sich auf die große Erfahrung der vielfältigen Aufgaben ihrer Sängerlaufbahn und kann so bewegend eine – wie vom Märchen gefordert – ur-typische, leidende Frauen- und Mutterfigur verkörpern.
Daniel Miroslav ist ein immer jugendlich wirkender Zar Saltan. Die frische und klangschöne Baritonstimme bleibt auch während der Phasen der Verblendung und Trennung von Sohn und Zarin gleichsam der utopische Hoffnungsträger auf bessere Welten, die sich ja schließlich auch einstellen.
Die weiteren Partien werden gesanglich und darstellerisch rundum überzeugend aus dem Ensemble bzw. dem internationalen Opernstudio der Staatsoper besetzt: Beatriz Miranda und Ketevan Chuntishvili als die bösen Schwestern, Yannick Spanier als Narr, Sunnyboy Dladla als der alte Mann sowie Darwin Prakash als Bote.
Seit der Spielzeit 2020/21 ist James Hendry Erster Kapellmeister an der Staatsoper Hannover. Der junge englische Dirigent führt das Niedersächsische Staatsorchester mit mitreißendem Elan, straffer Präzision und mit größter Durchsichtigkeit durch die Facetten der anspruchsvollen Partitur. Dabei kommen die ausladend-klangschönen Melodiebögen Rimski-Korsakows prachtvoll zur Geltung.
Der Chor der Staatsoper Hannover unter der Leitung von Lorenzo da Rio singt präzise und klangschön und lässt sich die ansteckende Spielfreude der märchenhaften Handlung deutlich ansehen.
Das verzauberte Publikum wollte gar nicht aufhören zu applaudieren. Alle Künstler wurden lange und ausführlich bejubelt.
Achim Dombrowski
Copyright: Sandra Then
15. Januar 2023 | Drucken
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