Deutsche Oper Berlin - Arabellas non-binäre Schwester

Xl_arabella3_5592hf_soffelbraunjakubiakpesendorfertsallagova © Thomas Aurin

Deutsche Oper Berlin

Arabella

Musik von Richard Strauss

Dichtung von Hugo von Hofmannsthal

Premiere am 18. März 2023

Eskapistische Operettenfantasien, Siegmund Freud, gender trouble, Emanzipationsprozesse, toxische Männlichkeit, Fluidität der Beziehungen, Transgenderfahne,– all diese Begriffe und Attribute tauchen im Programmheft der neuen Produktion Arabella der Deutschen Oper Berlin auf, insbesondere auch im Interview mit Regisseur Tobias Kratzer. Kann ein solcher Ansatz bei einer 1933 uraufgeführten Oper, in der sich Richard Strauss nach den wienerischen Melodien und dem Erfolg des Rosenkavalier zurücksehnte und mit ihren vielfältigen operettenartigen Zügen gelingen?

Um es vorwegzunehmen: es gelingt ganz wunderbar und hält den Betrachter über den gesamten Abend in angeregter Spannung darüber, wie das Konzept entwickelt und aufgelöst wird.

In dem seit 1916 von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal erarbeiteten und am 1. Juli 1933 in Dresden uraufgeführten Werk erleben wir die Geschichte der verarmten Familie Waldner, die im Wien der 1860er Jahre ihre schöne Tochter Arabella gewinnbringend verheiraten will, um sich vom Übermaß der Schulden und drohenden Ruin zu erlösen. Das scheint mit dem reichen Gutsbesitzer Mandryka möglich zu werden.

Eine zweite Tochter Zdenka kann man nicht standesgemäß ausstatten. Die junge Frau muss als Mann verkleidet mit Namen Zdenko leben. Sie trifft auf den hoffnungslos in Arabela verliebten Matteo, der droht, sich umzubringen, wenn er nicht mit Arabella zusammenfindet. Zdenko/Zdenka verschafft ihm scheinbar ein Rendezvous mit ihrer Schwester Arabella, findet sich aber selbst im halbdunklen Zimmer des Treffpunktes ein. In dem durch eine Videoeinspielung gezeigten Liebesakt mit Zdenka/o scheint Matteo mindestens ebenso viel Gefallen an den männlichen Attributen – z B dem aufgeklebten Schnurrbart - zu empfinden wie an der Begegnung mit einer Frau.

Nach einer cholerischen Eifersuchtsszene Mandrykas und deren Auflösung - dass eben Arabella keine Liebesnacht mit Matteo verlebte, sondern die Schwester Zdenka - kommen schließlich die Paare Arabella/Mandryka und Zdenko/Matteo glücklich zusammen.       

Nun verbleibt allerding der Handlungsablauf nicht in dem vom Libretto vorgegeben Zeitraum um 1860, sondern wandelt gewissermaßen durch die Jahrzehnte, um im Hier und Jetzt zu enden. 

Im ersten Akt zeigen das Bühnenbild von Rainer Sellmaier und die Kostüme von Sellmaier und Clara Luise Hertel noch ein nachgerade übergenaues Abbild der Zeit der Vorlage, die schon zu diesem Zeitpunkt durch eingeblendete Videoprojektionen gewissermaßen optisch relativiert werden. Gezeigt werden – aufgenommen durch drei stumme Kameraleute in der Szene -  vergrößerte Gesichter der Protagonisten, um die evozierten Emotionen (ironisch -?) zu vergrößern, oder auch einzelne ornamentale Details etwa vom Blumenschmuck oder Möbeln. 

Der zweite Akt spielt im Gang vor einem Ballsaal mit Szenen der innigen Begegnung zwischen Arabella und Mandryka. Die Zeitfolge wandelt sich jetzt schnell. Während der – gelinde gesagt -  nicht größten Musik Strauss’, die er für die Fiakermilli geschrieben hat, werden deren irre (aber schwierigen) Koloraturen (hier großartig und treffsicher: Hye-Young Moon) bereits durch einen kurzen, aber brutalen Auftritt einiger Braunhemden begleitet, um über wechselnde Kostüm-Stile, z.B. der Charleston-Zeit, mit modernem Hady-Accessoire und Instagram-Posen zu enden.

Der dritte Akt spielt mit Sängern in Alltagskleidung. Alle finden sich ungezwungen zu einer woken, achtsamen, inklusions-affinen Gruppe zusammen, die sich liebevoll-verspielt insbesondere um Zdenka/Zdenko zusammenfindet. Zdenka’s non-binäre Selbstfindung wurde zuvor - ebenfalls in einer Schwarz/Weiß-Videoeinspielung - in Bilder gefasst. 

Am Ende dieser Passage durch Zeit und Geschichte(n) verbleibt eine selbstbewusste, fröhliche und realistische Arabella, die mit ihrem Mandryka ganz abseits der tradierten hohen und steifen Gesten ungezwungen umgeht und eine außerordentlich weit in den Vordergrund gerückte Zdenka.  

Es bleibt ein reizvolles Geheimnis des Regieteams, warum diese Darstellung derart fasziniert und überzeugt. Der Videokunst von Manuel Braun und Jonas Dahl kommt eine große Bedeutung zu. Deren historisierende, schön-malerische, manchmal überhöht sehnsüchtig-kitschige Atmosphäre enthebt und vermischt Sein und Schein im Auge des Betrachters und begleitet ihn fasziniert durch die Geschehnisse.  

Elena Tsallagova als Zdenko/Zdenka überzeugt mit grandioser Stimmführung, exzellenten Höhen und brillantem Sinn für die Zwischenfarben von Musik und der Szene.   

Sara Jakubiak, die nach zwei krankheitsbedingten Absagen ursprünglich vorgesehener Arabella-Protagonistinnen, verhältnismäßig kurzfristig eingesprungen war, kann auf ihre Erfahrung in der Rolle in Madrid und anderswo zurückgreifen und den besonderen Anforderungen des Konzepts spielerisch entsprechen.

Russell Braun als Mandryka ließ Indisposition ankündigen. Sein feiner Bariton klingt leichter und liegt höher als andere, die sonst gerne die stimmliche Power eines galizischen Bären repräsentieren.

Robert Watson als verzweifelt-verzückter Matteo konnte durch eine kraftvoll-sensible Tenorstimme überzeugen. Doris Soffel und Albert Pesendorfer spielten das komisch-verzweifelte Elternpaar mit Aplomb und routinierter Bühnenpräsenz. Die drei Grafen als weitere Bewerber um Arabella stellten sich mit sehr unterschiedlichem Niveau vor.

Der Chor der Deutschen Oper unter der Leitung von Jeremy Bines erfüllt die Aufgaben mit Spielfreude.  

Das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung seines Chefs Sir Donald Runnicles gibt ein besonderes Beispiel seines Könnens. Es werden nicht die melodie-getränkten, großen Bögen zur Sängerbegleitung vorrangig angesteuert, sondern oft die klein-taktigen Elemente, die in vielfältigster Form aus den Details der Solo-Instrumente herausleuchten. Dabei wurde eine feinsinnige Balance zwischen den Gesangs- und Sprechkomponenten der Partitur bei tendenziell zügigem Tempo gehalten. Zu Beginn der Vorstellung bedeutete dies eine besondere Herausforderung für die Sänger. 

Einzelne Buhrufe für das Regieteam, auch für Runnicles von Zuschauern, die wohl ihren dröhnenden Strauss-Sound vermisst haben – insgesamt aber große Zustimmung und Begeisterung für die Tsagallova und Jakubiak.         

Achim Dombrowski

Copyright:  Thomas Aurin

 

 

 

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