Deutsche Oper Berlin: Die Einsamkeit der Mächtigen

Xl_gpsimonboccan246hf_glaserlimotolyginapetean © Bettina Stöß

Deutsche Oper Berlin

 

Simon Boccanegra

Musik von Giuseppe Verdi

 

Premiere am 19. Januar 2023

Simon Boccanegra gehört zu denjenigen Werken der Opernliteratur, deren Handlung selbst der größte Liebhaber des Genres schon am nächsten Tag nicht mehr im Detail wiedergeben kann. So unwahrscheinlich, geradezu grotesk sind die Aktionen der Personen und Zufälle, dass überdies niemand an den Handlungslauf wirklich glauben kann. Das Libretto der Oper geht zurück auf das gleichnamige Drama des Spaniers Antonio Garcia Guiterrez, der auch die Vorlage für Verdis Troubador geliefert hat.

 

Das Werk kam 1857 im Teatro La Fenice in Venedig heraus und bescherte Verdi zunächst keinen Erfolg. Verdi selbst trug sich lange mit dem Gedanken, das Werk zu überarbeiten. Sein Verleger Ricordi musste den Komponisten wiederholt und mit großer Geschicklichkeit zu einer zweiten Fassung überreden, die schließlich 1881 – fast ein viertel Jahrhundert nach der Erstfassung - am Teatro alla Scala in Mailand Premiere hatte. Diesmal mit großem Erfolg. Der Komponist hat über die Arbeit an der Neufassung Arrigo Boito als neuen Librettisten kennen gelernt, gewissermaßen ein Test für die spätere Zusammenarbeit bei den Spätwerken Otello und Falstaff, bei denen Boito – der selbst auch erfolgreich komponierte – die Texte zusammen mit Verdi entwickelte.  

 

Wenn die Oper heute auch nicht zu den häufig gespielten Werken Verdis gehört, gilt sie doch bei den Liebhabern seiner Musik als eine seiner eindrucksvollsten Kompositionen.

Im Kern geht es um die Unvereinbarkeit von Macht und Liebe, die Gefahr der Korrumpierbarkeit durch Macht und die große Einsamkeit der Mächtigen.

Der russische Regisseur Vasily Barkhatov nutzt die schillernde Oberfläche für seine eigene Sichtweise: die Handlung spielt in der Jetztzeit. Die Titelfigur Simon entwickelt sich vom einfachen Korsaren, der erfolgreich für den Staat Genua gekämpft hat zum langjährig respektierten, immer erfahreneren und zugleich einsameren Machthaber im Umfeld all der Kämpfe der involvierten Parteien. 

Sein verzweifelter Wunsch nach Wiederfindung seiner vor Jahren verschwundenen Tochter ist so stark, dass er sich die Erfüllung dieses Traums obsessiv herbei sehnt. Das betrifft auch die Vision eines friedlichen Zusammenhalts aller um die Macht kämpfenden Parteien. Diese psychologischen Selbst-Therapieschritte bewahren ihn vor einer noch größeren Verzweiflung angesichts der ihn umgebenden Machtkämpfe und des nicht enden wollenden Hasses in seiner wachsenden Einsamkeit. Der Lichtregisseur Alexander Sivaev taucht dazu die Bühne zweimal unter anderem mit Hilfe von Videoelementen (Martin Eidenberger) und Blitzeffekten in eine irreale Traum-Vorstellung.

Was zunächst wie die Installation einer weiteren abstrakten Ebene auf die ohnehin schon verwirrenden Abläufe wirkt, erlaubt dem Regisseur, eine Durchgängigkeit der Persönlichkeitsentwicklung der Titelfigur zu zeigen. 

Zinovy Margolin kreiert dazu zwei voneinander getrennte Räume, die auf der Drehbühne schnell quasi filmisch wechseln können. Da ist zum einen die repräsentative Privatwohnung des Dogen mit Dienstpersonal, auf der anderen Seite eine öffentliche Repräsentationsfläche, auf der sich die Genueser Gesellschaft trifft, aus deren Kreis auch unerwartet – und nicht erklärt - Verhaftungen stattfinden. Mit dem Bild gelingt eine überzeugende Darstellung der unvermeidlichen Durchdringung der Sphären.  

Die Kostüme von Olga Shaishmelashvili sind in die Neuzeit verlegt, lediglich einzelne Gewänder und Insignien der Macht kommen aus anderen Zeiten prunkvoll daher.

Die Verfolgung dieses überzeugenden Konzepts bedarf beim Betrachter selbst eine einfühlsame, phantasievoll-abstrahierende Betrachtungskompetenz. Das Studium des Programmheftes hilft bedingt. Die visuellen Überlagerungen der psychologischen Ebenen erlauben durchaus unterschiedliche Sichtweisen und Deutungen des Publikums auf das Konzept des Regieteams.       

Die musikalische Seite der Aufführung überzeugt in jedem Moment und jedem Detail.                 

George Petean als Simon Boccanegra kann die charakterliche Entwicklung des einsamen Politikers stimmlich und darstellerisch glänzend zur Geltung bringen. Die praktisch ohne Vibrato, sonor strömende Stimme vermag genau auf einer ausdrucksstarken Linie zwischen den privaten Sehnsüchten und Einsamkeiten sowie seinen politischen Visionen zu wandeln. Das schließt am Ende den erschütternden Gang in den Tod durch Vergiftung sowie gleichzeitige die friedvolle Übergabe der Macht ein.     

Ling Li als Jacopo Fiesco verkörpert den starren Machtanspruch der alten Patriziergeschlechter mit unerbittlicher und furchterregender  Autorität.

Maria (im weiteren Verlauf der Handlung Amelia) der Maria Motolygina kann ihren jugendlichen Sopran klangschön und effektvoll zur Geltung bringen. Ihre Hingabe an den geliebten Gabriele Adorno kommt anrührend zur Geltung. Ihr erster Auftritt im von der Handlung abweichenden Bild eines Mädchenpensionats gibt ihr ein frisch-unverbrauchtes, modernes Persönlichkeitsbild und bewahrt sie vor den Jungfrauen-Darstellungen im Stil des 19. Jahrhunderts.        

Ihr Geliebter Gabriele Adorno wird von Attilio Glaser mit klangschöner Kantilene und feinster Phrasierung gesungen. Der innige Gesangsvortag seiner Zuneigung überspringt in seiner mitreißenden Ausstrahlung die im Text vorhandenen, antiquierten Bilder der Jungfrauen-Ideale mühelos.   

Der sich in mehrfacher Hinsicht betrogen fühlendende Paolo Albani wird von Michael Bachtadzes düsterem Bass zur Charakterisierung eines verzweifelt Abtrünnigen gesungen. Eine weitere Studie des im Umfeld der Macht vereinsamenden und verzweifelten Charakters, der Schuld auf sich lädt.    

Jader Bignamini führt das Orchester der Deutschen Oper Berlin mit tendenziell langsamerem Zeitmaß, aber kluger Formung im klanglichen Detail. Dabei kommen eindrucksvoll die dunkel-funkelnden Holzbläser im vielschichtigen Klangbild der Partitur zur Geltung. Die Sänger fühlen sich bei diesem einfühlsamen Dirigat gut aufgehoben. 

Der Chor der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Jeremy Bines singt und spielt mit überzeugender klanglicher und darstellerischer Präsenz.   

Große Begeisterung für die Sänger und das Orchester der Deutschen Oper Berlin mit Jader Bignamini, nur vereinzelte Buhrufer lassen sich beim Regieteam ihren herzhaften Protest nicht nehmen. 

Achim Dombrowski

 

Copyright:  Bettina Stöß

 

 

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