Deutsche Oper Berlin
Pique Dame
(Pjotr I. Tschaikowskij)
Premiere am 09. März 2024
Diese ursprünglich an Sir Graham Vick in Auftrag gegebene Neuproduktion der Pique Dame konnte wegen seines Todes an den Folgen von Corona nicht verwirklicht werden. Anstatt die Produktion gänzlich abzusagen, entschloss sich die Deutsche Oper, diese an Sam Brown zu geben, dessen Mentor und Freund Graham Vick war. Weitere vorgesehene Mitglieder des Teams blieben ebenfalls an Bord.
So ehrenvoll das Gedenken an den großen Regisseur, so gewagt die Übergabe an einen Schüler. Brown gelangen gerade bei den Angstbildern Hermanns, seinem gesellschaftlichen Außenseitertum, beklemmende Momente, auch in der Personenführung.
Lisa wird als in sich gekehrte, scheue, mit großen Brillengläsern nicht übermäßig attraktive junge Frau geschildert und die Gräfin hat die Zeiten ihrer amourösen Abenteuer durchaus noch nicht vergessen oder hinter sich, wenn Hermann sich ihr im Schlafzimmer nähert, um das Geheimnis der drei Karten zu erfahren.
Die Umsetzung in einer überzeugenden Personenführung gelingt in solchen diffizilen Szenen jedoch oftmals nicht.
Wenn Hermann die Gräfin bedroht, diese ihrerseits beginnt, Hermanns Pistole entschlossen zu ergreifen, um dann wiederum ihr Leben auszuhauchen, breitet sich im Auditorium ein amüsiertes Schmunzeln aus – lebendige Satire oder Ungeschicklichkeit? Oder der Versuch, die in unserer heutigen Wahrnehmung hölzern wirkende Schauspielkunst der Stummfilm-Zeit zu zitieren, deren Bilder an vielen Stellen eingeblendet werden?
Der Horror und das Entsetzen Hermanns angesichts seines Untergangs beim Legen der (falschen) Karten wird durch das physisch ausgespielte Erscheinen der Gräfin konterkariert. Die Idee ist grundsätzlich möglicherweise tragfähig, durch die ungeschickte Führung der Charaktere jedoch komplett kontraproduktiv und verebbt in einem sentimentalen Schlussbild, bei welchem neben der Gräfin - beim entsprechenden musikalischen Motiv im Orchester - auch Lisa noch physisch sichtbar gemacht wird. Die hier notwendige feine Linie für eine Darstellung zwischen Realität und der Phantasie Hermanns vermag Brown nicht überzeugend umzusetzen.
Tomski agiert beim Trinklied mit obszönem Spiel einer Wodkaflasche - das hat man schon bei Projekten an Regieklassen der Musikhochschulen makaber-ordinärer und überzeugender erlebt.
Und dann bekommt auch die Deutsche Oper in Berlin ihr knackiges Männerballett mit vier strammen Jungs in Korsagen – wie aufregend! – nun hat auch dieses Berliner Haus mal etwas ganz Queeres erlebt!
Und doch hat die Aufführung höchste Qualitäten. Unter der musikalischen Leitung von Sebastian Weigle – dem langjährigen Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt – kommt ein Team von ausgezeichneten Sängerdarstellern zusammen, die den großen Anforderungen der anspruchsvollen Partitur bestens gerecht werden.
Der Hermann von Martin Muehle setzt gleich zu Beginn Maßstäbe: mit seiner kraftvollen, doch in allen Details feinnervigen Stimmführung prägt er zusammen mit dem abgestimmten Orchesterspiel die Qualität des Abends. Die Durchschlagskraft seines Tenors wird mit einer klugen, perfektionierten Technik kontrolliert, die alle melodischen Ausbrüche unsentimental erdet und mit höchster Authentizität versieht. Das Leiden des Helden am Spiel und an der Liebe wird physisch spürbar.
Sondra Radvanovsky ist Lisa, Hermanns angebete Geliebte – Radvanovsky ist ein Publikumsliebling sowohl an der Metropolitan Opera New York sowie der Lyric Opera Chicago. Ihre sehr tragfähige und durchschlagskräftige Stimme vermag die Sängerin durchgehend klug zu kontrollieren und auf das Regiekonzept und die Partner einzustellen. Die Darstellung lebt vom unbedingten und schonungslosen Einsatz der Sängerdarstellerin.
Die Gräfin von Doris Soffel überzeugt nicht nur in der Darstellung einer noch lebendig-liebesfähigen, reifen Frau, sondern die Sängerdarstellerin singt die Partie zugleich auch mit der Leuchtkraft und äußerst disziplinierten Präzision wie es gleichsam ein kunstvoller und durchsichtigster Oratorien- oder Liedgesang erforderte. Kein Verschmachten undeutlich gehauchter Laute einer Diva am Ende ihrer Karriere, sondern hochkontrollierte, feinste Gesangkunst bei präzisem Ausagieren der Rolle.
Dem samt-verströmenden Schmelz der dankbaren Kantilenen Fürst Jeletzkijs wird der meisterhafte Thomas Lehman mit weit ausholenden Gesangsbögen grandios gerecht. Der Tomskij von Lucio Gallos ist ein stimmlich und darstellerisch gelungenes Portrait des Petersburger Soldatenmilieus.
Mit dem agilen, strahlenden Auftritt von Chance Jonas-O’Toole als Tschekalinskij beweist ein junger Tenor nicht nur sich selbst, sondern dem jungen Nachwuchs insgesamt eine hoffnungsfrohe Zukunft.
Die Pauline der Karis Tucker verströmt mit jugendlich-warmen Mezzo eine der Atmosphäre Puschkins angemessene nicht nur sängerische Umsetzung.
Der Chor der Deutschen Oper Berlin mit Jeremy Bines und Kinderchor der Deutschen Oper Berlin mit Christian Lindhorst brillieren in den Petersburger Genrebildern und eine nicht kleine Statisterie sowie das Opernballett der Deutschen Oper mit Ron Howell runden das szenische Bild eindrucksvoll ab.
Das Orchester der Deutschen Oper Berlin fühlt sich mit Sebastian Weigle hörbar wohl. Es spielt die weitgespannten melodischen Bögen und die dramatischen Zuspitzungen der Musik Tschaikowskijs mit Leuchtkraft, aber – insbesondere auch in der Durchhörbarkeit der Instrumentengruppen und in den Solo-Aufgaben - höchst präzise aus. Diese Weite des musikalischen Bogens bedeutet nicht eine Sekunde sentimentales Schwelgen, sondern vielmehr eine agogisch geschickt, klug-kontrollierte, dabei authentisch gefühls-geladene Umsetzung des getriebenen Geschehens.
Große Begeisterung für alle Sänger und das Orchester mit Sebastian Weigle mit vielen bravi-Rufen, sehr gemischte Resonanz auf das Regie-Team mit vielen Missfallenskundgebungen.
Achim Dombrowski
Copyright: Marcus Lieberenz
13. März 2024 | Drucken
Kommentare