Deutsche Oper Berlin: Macbeth als spannender Polit-Thriller im Zeitalter der KI

Xl__a5a1407hf_burdenkomoore © Eike Walkenhorst

Deutsche Oper Berlin

Macbeth

(Giuseppe Verdi)

Premiere am 23.11.2024

In der Neuproduktion von Verdis Macbeth in der Deutschen Oper Berlin lässt die Regisseurin Marie-Ève Signeyrole die Ereignisse aus dem 11. Jahrhundert in der Rahmenhandlung eines Polit-Thrillers in einem dystopischen Hier und Heute spielen. Schottland hat sich von England losgesagt und in einem gewaltsamen Konflikt mit Norwegen dessen Ölreserven erobert. Die Beherrschung dieser natürlichen Ressourcen sowie der Finanzmärkte sind die Faktoren der Macht, nach denen Macbeth und die Lady streben. 

Über die Hexen kommt es außerdem zur zweischneidigen Begegnung mit künstlicher Intelligenz (KI). Sie sind die Avatare, die durch unsere Sucht, die Geheimnisse der Welt aus dem Netz saugen zu wollen, erweckt werden und dadurch intime Kenntnis unserer Interessen, Vorlieben, Ängste – bewusst oder unbewusst – gewinnen und dadurch wiederum ihrerseits in uns Wünsche und Eigenschaften möglicherweise erst kreieren, auf jeden Fall in der Folge aber kontrollieren.   

Zweimal spricht eine KI-Figur per Video-Einspielung zum Publikum in unheimlicher, nur teilweise verständlicher, aber hinreichend bedrohlicher Form von den Algorithmen, mit der sie die Welt manipuliert und beherrscht.

Artis Dzerve – verantwortlich für die Video-Kunst - gelingt in einer fein ausgeklügelten Form eine vielschichtige, atemberaubende Medienverknüpfung, die nicht wenige Zuschauer des Berliner Premierenabends in einen derartig verängstigenden, traumatisierenden Schock versetzt, dass sie zwanghaft die Vorstellung kurzzeitig massiv durch wütende Zwischenrufe stören.     

Fast wie im Gegensatz dazu wird die Kernhandlung auf der Bühne von Fabien Teigné und in den Kostümen von Yashi sehr klar und in einer disziplinierten und detailgenauen, fast intimen Weise mit einer hoch-psychologischen Personenführung von Signeyrole auf die Konflikte der handelnden Protagonisten fokussiert. 

Von großer Bedeutung ist die Grunddisposition des Paares der Lady und Macbeth in seiner Kinderlosigkeit. Auch durch diese Kinderlosigkeit – die in der Oper nicht thematisiert wird - entwickelt sich das Paar nach der Weissagung der Hexen bei zunehmendem Realitätsverlust zu Monstern, die alle anderen, weiteren potentiellen Konkurrenten um die Macht und deren Kinder zwanghaft töten muss.  

Wie eine herausfordernde Bedrohung für Macbeth wandelt die Figur eines Darstellers mit gewaltigem Hirschgeweih durch die Szenerie als Symbol eines Herrschers des Waldes, der Männlichkeit, Fruchtbarkeit und Wiedergeburt.   

Eine überwiegend auf schwarz-weiß Effekten basierende Bühne mit dem Licht-Design von Sascha Zauner spiegelt die Angstmomente in wirkungsvollen Bildszenerien. Die Personenführung lässt Horror, Verfall und Todesverzweiflung der Protagonisten beim Betrachter nachgerade physisch spürbar werden. 

Eine wirkungsvolle, unter die Haut gehende, szenisch in jeder Hinsicht überzeugende Neuproduktion der Oper. 

Wie in einem Widerspruch zu diesem psychologisierenden Format verwendet Teigné auf der Bühne viele Baumaterialien wie sich verschiebende Wände und Fahrpodien, die unter anderem den Chor bewegen. Das sorgt für die notwendigen schnellen Bildwechsel, überfordert aber gelegentlich die Bühnentechnik bei der Sicherstellung eines reibungslosen Ablaufs.     

Das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Enrique Mazzola spielt wie immer unter seiner Leitung äußerst zügig. Die tempi sitzen – auch im Zusammenspiel mit den Sängern – passgenau; auf zu viele Bass-betonte Rhythmisierung wird verzichtet. Die in allen Instrumentengruppen durchsichtigen und fein-nervigen Ausführungen unterstreichen den Charakter der Szene, die sukzessive Realitätsverlust und Verfall der handelnden Personen zeigt.       

Die Darstellerin der Lady Macbeth entspricht zunächst nicht ganz den Hörgewohnheiten bei dieser Partie. Nicht wenige berühmte Vorgängerinnen verfügten über einen tieferen Sitz der Stimme im Mezzo-Fach und charakterisierten auch die Sprechanteile mit deutlich tieferer Stimmfärbung. 

Felicia Moores Stimme liegt höher. Sie ist eine Frau, die durch ihre Getriebenheit und die Erfahrung von Verlusten durch unterschiedliche Stadien der Verletzlichkeit geht auf dem Weg ihrer Entmenschlichung. Die in Teilen übermenschlichen Anforderungen an die Stimmkunst meistert die Sängerin bravourös. Die Wahnsinnsszene lässt dem Betrachter das Blut in den Adern gefrieren.    

Roman Burdenko als Macbeth bringt einen in den grauen Schattierungen unendlich wandlungsreichen Bariton zur Geltung. Von Macbeth Prägung durch Machtwillen und Gewalt changiert der auch darstellerisch äußerst differenziert agierende Sänger zunehmend in Erscheinungsformen von Irrealität, Schrecken und Verzweiflung. Die Stimmführung ist makellos, die cantilene berückend in ihrer Wirkung der wechselnden Grundstimmungen des zunehmend verzweifelnden Charakters. 

Durchgehend auf höchstem Niveau auch die weiteren männlichen Sängerdarsteller, namentlich Attilio Glaser als Macduff, Marko Mimica als Banquo und der Malcolm von Thomas Cilluffo, die ihren anspruchsvollen Rollenportraits stimmlich und darstellerisch ausnahmslos überzeugend gerecht werden.  

Der Chor der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Jeremy Bines liefert erneut einen Glanzpunkt seines Könnens. Insbesondere die feinsten Abstufungen der Szene zu Beginn des vierten Aktes „Patria oppressa“  gelangen in feinster klanglicher Durchsichtigkeit und wirkungsvoller, erschütternder Trauer. 

Tosender Beifall für das gesamte musikalische Personal, insbesondere Felicia Moore, Roman Burdenko sowie Enrique Mazzola mit den Orchester der Deutschen Oper; nicht zuletzt aber auch für den Chor der Deutschen Oper mit Jeremy Bines. Lautstarke Buhrufe beim Regieteam können die mehrheitlichen Beifall-Bekundungen für die Inszenierung jedoch nicht niederbrüllen. 

Achim Dombrowski

Copyright:  Eike Walkenhorst

 

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