Deutsche Oper Berlin
Die Frau ohne Schatten
(Richard Strauss)
Premiere am 26.01.2025
Die Frau ohne Schatten von Richard Strauss mit dem Libretto von Hugo von Hofmannsthal entstand zwischen 1911 und 1917 und kam 1919 an der Wiener Staatsoper zur Uraufführung.
Basierend auf mindestens vier mythischen Märchen unterschiedlicher Kulturkreise, mit einer Vielzahl von allegorischen und Bildern und Anspielungen, einer in Teilen hoch-artifiziellen und verklausulierter Sprachgestik, erschließt es sich dem Betrachter damals wie heute nicht leicht.
Ein unerfüllter Kinderwunsch zweier Paare auf stark unterschiedlichen sozialen Stufen veranlasst die Kaiserin – symbolhaft für ihre gehobene soziale Stellung - auf Initiative der Amme eine Frau aus einer weit unter ihr stehenden sozialen Schicht zu einer Leihmutterschaft zu überreden.
Das sich entwickelnde Mitleid der Kaiserin mit dem Leid des Mannes, dessen Frau sich ihm zunehmend verweigert – die insbesondere auch seinen Kinderwunsch verwehrt – bewegt die Kaiserin schließlich dazu, auf den Deal zu verzichten, ja das Geschäft strikt abzulehnen. Mit dieser Befreiung erlöst sie sich auch von einem übermächtigen Vaterbild – der anders als in der Opernvorlage in Berlin gar als stumme Figur auf der Bühne präsent wird - eine weitere Entmystifizierung des Geschehens.
Die Kaiserin beginnt ihren eigenen, individuellen Erkenntnisweg und befreit damit auch den Kaiser aus seiner versteinerten erotisch-psychologischen Haltung in ihrer gemeinsamen Beziehung. Ihrer beider Vereinigung und ihrem Kinderwunsch steht nichts mehr entgegen.
Beide Paare werden wie in psychologischen Analysen in ihrer Entfremdung, ihren Kämpfen um die Beziehung, ihren Prüfungen und Wandlungen gezeigt. Am Ende steht eine Fokussierung auf die Entwicklung der Kaiserin in ihrer sozialen Kompetenz.
Abweichend von der Opernhandlung schickt die Inszenierung das andere Paar in seiner charakterlichen Unterschiedlichkeit über eine Scheidung auf separate Lebenswege.
Kein anderer Regisseur der Opernbühne als Tobias Kratzer vermag heute eine so stark symbolhaft-psychologisierende Märchenhandlung so bewegend ins Hier und Jetzt zu transponieren.
Er arbeitet wieder mit seinem bewährten Teammitgliedern Rainer Sellmaier für Kostüm und Bühne sowie Olaf Winter für das Lichtdesign. Die inhaltlich wichtige und hervorragend umgesetzte Videokunst verantworten gleich drei Künstler: Manuel Braun, Jonas Dahl und Janic Bebi.
Symbole, Tierfiguren, mystische Stimmen werden auf der Bühne in heutige, oft menschliche Handlungsträger übersetzt. Die Stimme von oben zum Beispiel ist eine Paar-Therapeutin, die sich – freilich vergeblich – an einer Konfliktsituation versucht, die letztlich für die Partner in der Trennung endet. So gilt das für viele weitere Beispiele.
Durch ein geschicktes Drehbühnen-Arrangement werden mit nur wenigen Zusatzmitteln übergangslos moderne Räume gezeigt. Nicht wenige Zwischenmusiken werden – vor allem durch die Videokunst - äußerst feinsinnig wie in Choreographien zu Handlungselementen geformt und einbezogen.
Der Zuschauer erlebt keine Handlung mit Bildern aus unbestimmter Vorzeit, sondern eine mit Musik, Sprache, lebensnahen Symbolen sowie leidenschaftlichen Menschen erfülltes Bühnengeschehen im Hier und Jetzt.
Dabei frappiert, wie organisch und ungezwungen die Übertragung aus einer komplexen und mitunter schwer verständlichen Vorlage gelingt. Sie basiert nicht auf einem etwaigen aufgedrückten ideologischen framing, sondern ergibt sich scheinbar leicht und bezwingend, am Ende gar nicht anders mehr vorstellbar.
Die Partitur der Frau ohne Schatten hat eine in ihrem Spektrum selbst für das Werk Richard Strauss‘ ungewöhnlich farbenreiche und vielschichtige Struktur. Diese mutet vor dem Hintergrund der ungemein geradlinigen szenischen Umsetzung verändert an und wirkt selbst in den gewaltigen spätromantischen Steigerungen nachgerade wahrhaftiger als je zuvor.
Wie immer – möchte man sagen – bietet die Deutsche Oper ein fulminantes Sänger-Ensemble.
Der Kaiser erstrahlt und glänzt mit dem reinem, hochliegenden Tenor von Clay Hilley, der die intrikaten Anforderungen der Partie scheinbar wie mühelos meistert.
Die Kaiserin von Daniela Köhler startete nicht ganz ohne Schärfen in die Riesenpartie. In stimmlich und darstellerisch voller Verausgabung durchleidet sie ihren Entwicklungsweg zur reifen, unabhängigen Frau.
Die gewaltige Partie der Amme wird von Marina Prudenskaya mit bravouröser stimmlicher Kraft und Disziplin gegeben, nicht ohne auch noch darstellerisch selbst-ironische Facetten einzubauen.
Der Barak von Jordan Shanahan rührt durch den sauber geführten, textverständlichen Bariton ebenso wie die schnörkellose und emotional bewegende darstellerische Leistung.
Catherine Foster hat sich noch nie geschont. Aber die Leistung in dieser Produktion in der Rolle der Frau sprengt selbst viele ihrer vorangegangenen Auftritte. Darstellerisch blieb sie der Zerrissenheit ihres Rollencharakters nichts schuldig, stimmlich sowieso nicht. Die Stimmreserven müssen grenzenlos sein, ihre Disziplin gegen sich selbst auch.
Patrick Guetti als Geisterbote lässt mit seinem sonoren Bass und der außerordentlichen Wortgenauigkeit aufhorchen.
Überzeugend und klangschön der Chor der Deutschen Oper Berlin unter Jeremy Bines, sowie Kinderchor und Junger Chor unter Christian Lindhorst.
Das Orchester der Deutschen Oper Berlin mit Sir Donald Runnicles durchschreitet in seiner Riesenbesetzung den Orbit dieser gewaltigen Partitur zwischen gewaltigen Forteschlägen des Apparates sowie den flirrenden Klängen in verschiedenen Orchestergruppen, vor allem den Holz- und Blechbläsern, mit Brillanz und filigraner Meisterschaft.
Beifallsstürme für die Protagonisten sowie Dirigent und das Orchester der Deutschen Oper. Ein nur anfänglich deutlich hörbarer, kleiner Buh-Chor Empörter beim Auftritt des Regieteam wird durch einen nicht enden-wollenden Bravo-Orkan der Begeisterten rasch akustisch aus der Kurve geworfen.
Achim Dombrowski
Copyright: Matthias Baus
30. Januar 2025 | Drucken
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