Deutsche Oper Berlin
Alexander von Zemlinsky
Der Zwerg
Premiere am 24. März 2019
Besuchte Aufführung: 30. März 2019
Ein mächtig zerrissenes Schicksal: In seiner guten Zeit ist Alexander von Zemlinsky ein bekannter und von vielen zeitgenössischen Künstlern hoch anerkannter Musiker „...zwischen den Stilen...“, Lehrer von Arnold Schönberg, der ihn als Mentor außerordentlich schätzt, bis zur Machtergreifung im Nationalsozialismus vielgespielter Komponist von Bühnen-, Chor- und Orchesterwerken, Liedern und Kammermusik. In den Jahren 1900 und 1901 unterhält er eine Beziehung zu Alma Schindler, spätere Mahler, Werfel ... etc.
Er ist kein ansehnlicher Mann, was Alma Schindler sowie andere Wegbegleiter dokumentieren und was ihn schließlich auch die Beziehung zu der Frau kostet. Auch hat er Selbstzweifel als Künstler, insbesondere nachdem er Kompositionen seines Schülers Schönberg hört. Er zieht daraufhin ein eigenes Werk (Die Seejungfrau) von einer bereits angesetzten Aufführung in Berlin zurück. Er ist Halbjude, was zu Spielverbot nach der Machtergreifung führt und durch die vorherrschende Rassentheorie, u a der Werke Weinbergers, auch bei ihm selbst zu Selbstzweifeln, wenn nicht -verachtung führt. Nach der Schließung der Kroll-Oper durch die Nazis geht er zunächst nach Wien und flieht später in die Vereinigten Staaten, wo er weder heimisch wird noch wirtschaftlich Fuß fassen kann.
Sein Leiden am eigenen äußeren, unattraktiven Erscheinungsbild veranlasst ihn wiederholt Opernszenarien auszuwählen oder zu erwägen, die diese Thematik zumindest inhärent zum Thema haben, u a Der Zwerg. Dieses 1922 in Köln uraufgeführte Werk, auch bekannt unter dem Namen Der Geburtstag der Infantin, basiert auf einem Märchen von Oscar Wilde. Ein zum Zeitpunkt seines ersten Kontaktes erst 16jähriger junger Dichter, Georg C. Klaren, hat es ihm als Libretto zu einer neuen Oper vorgeschlagen.
Zum Geburtstag erhält die Prinzessin Clara ein besonderes Geschenk: einen wundervoll singenden, aber hässlichen Zwerg. Der Zwerg weiß nichts von seinem ungestalten Äußeren. Die Gespielinnen der Prinzessin treiben ihren Spaß mit dem Zwerg. Als die Prinzessin ihm ihre scheinbare Liebe gesteht, verliebt er sich seinerseits unsterblich in sie. Sie spürt, dass sie zu weit gegangen ist und beauftragt ihre Lieblingszofe Ghita, ihn über sein Erscheinungsbild aufzuklären. Ghita kommt in eine verzweifelte Situation und ahnt die heraufziehende Tragödie. Sie bringt es nicht fertig, ihn mit Gewalt aufzuklären. Er selbst erkennt die Situation und dass die Prinzessin lediglich ein grausames Spiel betrieben hat. Er stirbt an dieser Erkenntnis. Die Prinzessin will fortan nur „... Spielzeug, das kein Herz hat“. Ghita hingegen trauert: „Es brach sein Herz.“
Die Geschichte macht von Wilde zu Klaren eine schwerwiegende Wandlung durch: während Wilde ein Märchen aus der Natur in changierenden und vielschichtigen Anspielungen sowie schillernder Sprachsymbolik kreiert, setzt Klaren einen psychologisierenden, wesentlich rationaleren Schwerpunkt. Während also bei Wilde der Zwerg noch an gebrochenem Herzen sein Leben aushauchen darf, stirbt er bei Klaren aus der traumatisierenden, selbst erfahrenen Erkenntnis seiner Hässlichkeit.
Der Handlung vorangesetzt hat der Regisseur Tobias Kratzer einen Prolog wie eine Stummfilm-Szene: In einem Salon unterrichtet der in der Maske perfekt als Zemlinsky erscheinende Pianist Evgeny Nikiforov seine Schülerin Alma Schindler. Im weiteren Verlauf kommen sich Lehrer und Schülerin näher, Alma weist ihn am Ende jedoch brüsk zurück. Diese Handlung wird zu Arnold Schönbergs Begleitmusik zu einer Lichtspielscene für Orchester, op. 34 aus dem Jahre 1930 gespielt. Schönberg hatte sie für einen auf Filmmusik spezialisierten Verlag komponiert, ohne dass der Verlag oder er selbst zum Zeitpunkt der Entstehung wussten, wozu die Komposition eingesetzt werden sollte.
Bühnenbild und Kostüme von Rainer Sellmaier zeigen im Prolog ein zeitgetreues Abbild eines Salons im späten 19 Jahrhundert, während die eigentliche Opernhandlung in einem sezierend-weißen Orchester- oder Museumssaal mit den Büsten großer Komponisten stattfindet.
Die Konzeption Kratzers entwickelt sich wirkungsvoll über die Achsen zweier aufgespaltener Rollencharakterisierungen. Zum einen die Doppelrolle des Zwergs. Der hochgewachsene britische Tenor David Butt Philip verkörpert ihn als Sänger, darstellerisch gibt der kleinwüchsige Mick Morris Mehnert ihn als stumme Rolle. Auch die Prinzessin ist in gewisser Weise in der Verkörperung des Charakters gespalten in die in ihrer grausamen Wirkung ahnungslose Infantin Donna Clara selbst sowie diejenige der ihr nahestehenden Lieblingszofe Ghita, gesungen und dargestellt von Elena Tsallagova und Emily Magee.
Diese gespaltene Umsetzung von im Grunde lediglich zwei Charakteren durch die vier Protagonisten erlaubt die widersprüchlichen Verhaltens- und Empfindungsmomente von Zwerg und Prinzessin wie unter dem Brennglas auszudifferenzieren. Immer wieder sind die Dialogpartner der Rollen von den jeweils unerwarteten Äußerungen und Begegnungen überrascht und emotional berührt. Am deutlichsten wird dies in der Aufspaltung der Rolle des Zwerges. Die Prinzessin weiß mitunter nicht, wen sie wirklich vor sich hat. Einerseits hört sie die mitreißende Stimme, andererseits sieht sie die hässliche Gestalt. Die Wirkung wird auch dadurch verstärkt, dass Sänger und stummer Darsteller der Partie während des Geschehens in sich unmerklich wandelnder Nähe, Widersprüchlichkeit, auch Gegensätzlichkeit, zueinander agieren.
Die Handlung spielt heute. Die Gespielinnen der Prinzessin und ihre Zofen bewegen sich in modernen Kostümen und agieren mit ihren Handys wie jeder Teenager auf der Straße auch. Solche Bild- und Handlungsmomente suggerieren eine Verlorenheit zwischen der realen Welt einerseits und den Weiten sozialer Netzwerke als Echokammern ohne Verantwortung.
Die Umsetzung fußt dabei auf einer äußerst sensiblen Personen- und Chorführung, die den Zuschauer über ca. 90 Minuten in Bann schlägt.
Ob die Szenische Umsetzung von Schönbergs Begleitmusikals Prolog wirklich zwingend ist, bleibt als Frage offen. Die Durchdringung und Tiefe der folgenden Oper erreichte sie nicht.
Grandios die Sängerbesetzung. Allen voran der junge britische Tenor David Butt Philip, der die höchst anspruchsvolle Partie mit großer Meisterschaft verkörpert. Die Anforderungen sind vergleichbar mit großen Wagner- oder Straussrollen und erfordern großes Stimmvolumen und eine weitgespannte Tessitura. Der Sänger steht möglicherweise am Start einer vielversprechenden Laufbahn. Elena Tsallagova als Ensemblemitglied der Deutschen Oper balanciert mit frappierender Brillanz auf einer feinen Linie zwischen ahnungsloser sozialer Kühle und einer gewissen emotionalen Neugier. Auch sie überzeugt stimmlich voll und ganz.
Ghita wird von Emily Magee stimmlich und darstellerisch profund und mit wachsender empathischer Verzweiflung gespielt. Ihre langjährige Bühnenerfahrung hilft ihr, die feinen Schattierungen bis zur Trauer um den Zwerg zu steigern. Nicht vergessen sei Philipp Jekal als Haushofmeister Don Estoban, der immer wieder Ordnung in die Aufgeregtheit des Hoflebens zu bringen versucht.
Der Damen-Chor der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Jeremy Bines bringt die Gespielinnen gesanglich tadellos und mit sichtbarer Spielfreude über die Rampe.
Das Orchester der Deutschen Oper unter seinem Chef Donald Runnicles spielt in Riesenbesetzung wie sie die aufwendigsten Werke von Richard Strauss erfordern, teilweise zur Handlung auch auf der Bühne. Zemlinskys betörender Klang „... zwischen den Stilen ...“ leuchtet in aller vorstellbaren Facettenvielfalt und bewirkt zusammen mit der bezwingenden Personenführung die suggestive Atmosphäre der Handlung bis zum Tod des Zwergs.
Begeisterung beim Publikum, das dem Geschehen mit angehaltenem Atem folgt und sich aus der bedrückenden emotionalen Wirkung mit Bravorufen für alle Beteiligten befreit, die mehr als gerechtfertigt waren.
Achim Dombrowski
Copyright Fotos: Monika Rittershaus
02. April 2019 | Drucken
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