Die Lebenslügen der Alcina in Düsseldorf

Xl_alcina_hpk_presse_084_foto_jochen_quast © Jochen Quast

Deutsche Oper am Rhein

Opernhaus Düsseldorf

Georg Friedrich Händel

Alcina

Premiere am  14. Februar 2020

Alcina allerorten: die Händeloper erlebt eine Vielzahl von Neuinszenierungen und Aufführungen im gesamten europäischen Raum. Nachdem die Oper in Hannover in der letzten Woche eine vom Theater aus Basel übernommene Inszenierung von Lydia Steier aus dem Jahre 2017 neu herausbrachte, folgt jetzt Düsseldorf mit einer Neuproduktion der ebenso viel beschäftigten wie erfolgreichen holländischen Regisseurin Lotte de Beer.

Auf ihrer Insel herrscht die ihre Liebhaber in Bann schlagende Zauberin Alcina, die ihre Verehrer in exotische Tiere oder Felsen verwandelt, sobald sie ihrer überdrüssig wird. Bradamante kommt als Mann verkleidet auf das Eiland und will den ihr vormals versprochenen, zwischenzeitig aber von Alcina umgarnten Liebhaber Ruggiero zurück gewinnen. Nur der Junge Oberto nimmt eine andere, kindlich-sehnsuchtsvolle Haltung ein und steht in gewisser Weise ganz außerhalb des Geschehens. Er erhofft sich die Wiederkehr seines Vaters. Seine Träume und sein Sehnen sind noch die eines unverdorbenen Kindes, gänzlich ungebrochen von den Verwicklungen der Erwachsenwelt.

Die Handlung ist geprägt von allerlei barock-typischen Irrungen und Wirrungen der handelnden Personen, die durch Verkleidungen und Verstellung an ihre Ziele und letztlich ihre geliebten Partner zu gelangen versuchen. Alle Abläufe bilden immer zugleich Vorwand und Plattform für die wechselnden seelischen Zustände, die die Personen erleben und durchleiden, und die sie in den meisterhaften Arien Händels emotional zum Ausdruck bringen.    

Das Regieteam um Lotte de Beer mit Christof Hetzer für die Bühne, der Kostümbildnerin Jorine van Beek und in der Lichtgestaltung von Alex Brok versetzen den Betrachter im ersten Teil in die Strandbar eines luxuriösen Südsee-Hotels. Die Kolorierungen der Videokunst von fettFilm lassen die im Hintergrund dominierenden vielfältigen und prachtvollen Farben des Himmels in phantastischem Blau, orangem Abendrot, und schließlich einem silbernen Sternenhimmel erstrahlen. Doch im zweiten Teil entfällt plötzlich die Farbenpracht. Der Himmel ist wie ausgeknipst und die Szene wird von zunehmender Dunkelheit und Schwärze beherrscht. Die ohnehin sparsamen Aufbauten der Szenerie verschwinden schließlich. Zurück bleibt eine einsame Stellage, die in die Schwärze der Nacht ragt.  

Stück für Stück wird das Zauberreich aller Farben, Verführungen und Hoffnungen beraubt. Die Zauberin Alcina verliert ihre Macht. Sie erkennt ihren Verlust, die wachsende Einsamkeit und versinkt zunehmend in Melancholie und Trauer. Mehr und mehr verbleibt die Titelfigur in sensibler Personenführung im einsamen Mittelpunkt der Bühne zentriert und ohne Hoffnung, auf sich alleine zurückgeworfen. Zurückgeworfen auch auf ihre Prägungen und Traumata, die sie aus vorangegangenen Erfahrungen mit sich trägt. Prägungen, die ihr nicht mehr erlauben, unmittelbar zu lieben. Sie muss herrschen und dominieren, sonst verliert sie ihre Macht. Sie gelangt schnell an die Grenzen ihrer Liebesfähigkeit, leidet an ihrer Einsamkeit, der sie letztendlich nicht entkommen kann. Schlussendlich steht sie in den Trümmern ihrer kunstvoll aufgebauten, lange (erfolgreich aber mühsam) gelebten Lebenslüge. Die Realität bricht unerträglich herein – wie wird Alcina so überleben können?  

Ganz anders bei den anderen liebenden Charakteren Bradamante, die in aller Selbstlosigkeit um ihren geliebten Ruggiero kämpft, und ganz zu schweigen von der kindlichen Liebesfähigkeit Obertos.               

Die amerikanische Sopranistin Jacquelyn Wagner gibt ihr Rollendebut als Alcina. Makellose Stimmführung vereint sich in den Momenten des Zweifelns und der Verletzung mit eindrucksvoller Nachdenklichkeit und Melancholie. Die in Russland geborene Maria Kataeva als Ruggiero überzeugt durch perfektionistische Koloraturbeherrschung und äußerst sensible Rhthmyik.

Die israelische Sopranistin Shira Patchornik rettete als Einspringerin buchstäblich im letzten Moment die Düsseldorfer Premiere. Die am Hessischen Staatstheater Wiesbaden engagierte Künstlerin debütiert mit ihrer Darstellung der Morgana am Düsseldorfer Haus der Deutschen Oper am Rhein. Bewunderungswürdig nicht nur ihre gesangliche Gestaltungsfähigkeit, sondern vielmehr auch die sensible Einordnung in das Regiekonzept in letzter Minute.     

Die Bradamante von Wallis Giunta überzeugt als aufopferungsfähige und hingebungsvoll liebende Frau mit expressivem Gesang. Vom Opernstudio runden Maria Carla Pinto Cury als jungenhafter Oberto und Andrés Sulbarán als Oronte das Sängerensemble mehr als überzeugned ab. Beniamin Pop gibt einen stimmlich überzeugenden, aber darstellerisch wenig ausdrucksstarken Melisso.

Angelika Richter  spielt in stummer Rolle Die Alte, eine im Konzept in schwebender Zweideutigkeit hinzugefügte strenge Mahnerin, die entweder gewissermaßen aus der Vergangenheit als strenge (Ur-)Mutter der Alcina, oder mit Blick in die Zukunft als archetypisches Schicksalsbild einer vereinsamten alten Frau gelten kann, oder auch beides.       

Axel Kober, Chefdirigent der Deutschen Oper am Rhein leitet im erhöhten Graben das Barockensemble Neue Düsseldorfer Hofmusik mit obligater Ausstattung von Barockinstrumenten wie u.a. Theorbe und Laute. Dem Ensemble gelingt eine dynamisch dichte, rhythmisch außerordentlich leicht-federnde, sehr sensible Umsetzung der Partitur, die zu Beginn gelegentlich den Sängern etwas vorwegläuft. Die überzeugende, nie nachlassende dynamische Agogik und emotionale Intensität der Aufführung wird ganz wesentlich durch dieses engagierte Orchesterspiel geprägt.    

Langanhaltender Beifall, viele Bravorufe für die Sänger und das Regieteam, insbesondere aber auch für die Orchesterleistung. 

Achim Dombrowski

Copyright Fotos: Jochen Quast

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