Doctor Atomic: Reflexionen über die Atombombe in Bremen

Xl_doctor_atomic03_nadine_lehner__michal_partyka_foto_j_rg_landsberg © Jörg Landsberg

Doctor Atomic
(John Adams)

Premiere am 16.09.2023

besuchte Aufführung am 20.10.2023

Theater Bremen

Das Theater Bremen schont sich nicht und widmet sich zur Spielzeiteröffnung einem anspruchsvollen und zeitgenössischen Werk des amerikanischen Komponisten John Adams. Adams greift zeitgeschichtliche Themen mit großer politischer Tragweite auf. Nach seinen Opern Nixon in China (Uraufführung 1987 in Houston)und The Death of Klinghofer (Uraufführung 1991 in Brüssel) schuf er – zusammen mit dem Librettisten Peter Sellars -  Doctor Atomic

Diese Auseinandersetzung zur Verantwortung von Wissenschaft und Politik bei der Entwicklung und beim Einsatz der Atombombe kann gewissermaßen auch als eine amerikanische Variante des Faust-Themas gesehen werden. Das Werk kam 2005 in San Francisco zur Uraufführung. 

Mit einem ursprünglich minimalistisch geprägten Musikstil, der Tonalität verhaftet und dabei mit großer Orchesterbesetzung - mit nicht wenigen expressiv-romantischen Klanglinien - entwickelt sich ein über dreistündiges Opernerlebnis besonderer Art.     

Gezeigt werden in zwei Akten die letzten 48 Stunden vor dem Atombomben-Test in Los Alamos, der wiederum rund drei Wochen vor dem Abwurf der Bomben über Hiroshima und Nagasaki stattfand. Inhalte der Oper sind die Diskussionen der Wissenschaftler über die Zerstörungskraft der Bombe und die weitreichenden zukünftigen Implikationen ihres Tuns sowie Oppenheimers Reflexionen dazu mit seiner Frau Kitty. Ein Thema, das für den Leitenden Regisseur des Musiktheater Bremen, Frank Hilbrich, auch heute von großer Aktualität ist.

Die Handlung ist in eine äußere und innere Sphäre unterschieden. Dazu kombiniert der Librettist Peter Sellars dokumentarisch-überlieferte Texte der Wissenschaftler mit Gedichten von Charles Baudelaire und John Donne. Weiterhin fügt er Texte der amerikanischen Journalistin, politischen Aktivistin und Feministin Muriel Rukeyser hinzu. Die Textpassagen vor allem der Frauen (Oppenheimers Ehefrau Kitty und die Indigene Pasqualita) sind über weite Strecken kryptisch und vieldeutig. Die Gedanken der Wissenschaftler und des verantwortlichen Generals mischen Banalitäten des Alltags mit der menschlich nicht mehr greifbaren Dimension der Verantwortung an der Arbeit zur Schaffung der Atombombe. Thema ist damit auch die Sprachlosigkeit jenseits des menschlichen Erfassungsvermögens angesichts der ungeheuerlichen Zerstörungskraft menschlichen Tuns an einem entscheidenden Punkt der Zeitenwende.         

Die Stimme der Sänger werden über Mikrophone (Sounddesign Mathias Kluge) übertragen und Hilbrich verstärkt diese unwirkliche Atmosphäre noch durch das Spiel aller Protagonisten im Zeitlupentempo. Die handelnden Personen werden zudem wiederholt für die einzelnen Szenen aus dem verdeckten Orchestergraben in einem Glaskasten (Bühne Volker Thiele) emporgefahren. Kostüme (Gabriele Rupprecht) Maske und Frisuren lassen die Sänger wie unwirkliche Avatare erscheinen. 

Das ist für jegliche Dramatik eines mehr als dreistündigen Opernabends ein riskantes Spiel: die Ungeheuerlichkeit der Handlungsinhalte wird wieder und wieder weiter entrückt. Auch die Videokunst von Ruth Stofer trägt zu dieser Unwirklichkeit bei. 

Hilbrich empfindet das Werk denn auch eher als eine „musik-theatrale Installation“ als eine Oper. Sein Ziel ist die Schaffung der Erkenntnis beim Publikum, dass wir eine menschliche Überforderung erleben, die uns als Individuum unabdingbar zwingt, die ungeheuerlichen Taten und deren Auswirkungen selbst zu reflektieren.     

Damit kommt es entscheidend auf die Sängerdarsteller an, bei den agierenden Charakteren letztlich doch Menschen in Ausnahmesituationen mit allen ihren Ängsten, Hoffnungen und Begrenztheiten sicht- und fühlbar zu machen.

Dies ist dem vielseitigen Bremer Ensemble allerdings tatsächlich erneut glänzend gelungen. 

Michał Partyka als Robert Oppenheimer hat sich eine neue, große Partie seit seinem Eintritt in das Bremer Ensemble vor zwei Jahren erarbeitet. Seine zeitlupenhafte, unheimliche Bewegungschoreographie und sein maskenhafter Auftritt stehen in einem fortdauernden Spannungsverhältnis zu seiner menschlich-warmen und sonoren Baritonstimme.     

Nadine Lehner als Kitty Oppenheimer erweitert erneut ihr Rollenrepertoire. Die stimmliche und darstellerische Wandelbarkeit dieser Sängerin scheint keine Grenzen zu kennen. Im Verhältnis zu der Gruppe der männlichen Wissenschaftler vertritt sie einen einfühlsamen Gegenpol.

General Leslie Groves wird von Elias Gyungseok Han mit recht handfest und bodenständig verkörpert. Die weiteren Partien von Hidenori Inoue als Edward Teller, Oliver Sewell als Robert S. Wilson, Christoph Heinrich als Jack Hubbard und Wolfgang von Borries als Captain James Nolan runden das Ensemble eindrucksvoll ab. Constanze Jader verkörpert die Indigene Pasqualita, die in irdener Naturverbundenheit ihre Ahnungen und Ängste besonders eindringlich zum Ausdruck bringt.          

Der Chor des Theaters Bremen unter der Leitung von Noori Cho und Alice Meragaglia ist zeitweise auf dem 2. Rang und im zweiten Teil auf der Bühne positioniert und vermag die unheimlichen Momente der bedingungslosen Auslieferung an die Bombe hautnah zu vermitteln.      

Die Bremer Philharmoniker unter Leitung von Stefan Klingele sind – zeitweise unsichtbar - auf dem hinteren Teil auf der Bühne positioniert. Der Durchhörbarkeit tut dies gut. Auch versteht Klingele zusammen mit der Soundtechnik durchwegs eine perfekte Balance zwischen Orchester und den elektronisch verstärkten Stimmen zu gewährleisten. Zwischen den zarten Tönen von Kittys Ansprache an ihren Mann Robert bis hin zu den ausladenden, großen Klangeruptionen wissen die Philharmoniker das teilweise ungewohnte und exotisch anmutende Klangbild in all seiner Vielfalt und rhythmischen Komplexität zum Leuchten zu bringen.        

Das Publikum folgt mit großer Aufmerksamkeit und gebannt über den gesamten Abend. Es gibt viel Beifall und Rufe für alle Beteiligten. 

Achim Dombrowski

Copyright: Jörg Landsberg

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