Düsseldorf: Septembersonate - Deutsche Oper am Rhein im Kaleidoskop des Konjunktivischen

Xl_8819_septembersonate_06_foto_wolf_silveri © Wolf Silveri

SEPTEMBERSONATE

(Manfred Trojahn)

Uraufführung am 3. Dezember 2023

Deutsche Oper am Rhein

Opernhaus Düsseldorf 

 

Dir Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf bringt erfolgreich das Auftragswerk Septembersonate von Manfred Trojahn zur Uraufführung.  

Manfred Trojahn ist heute einer der bedeutendsten deutschen Komponisten. Seine Musik basiert auf einer traditionellen Tonalität, guter Singbarkeit und – ausdrücklich - ohne die dezidierten Dekonstruktionen der Donaueschinger Schule. 

Ein Schwerpunkt seines künstlerischen Schaffens liegt auf der Oper mit den letzten Kompositionen: Eurydice – Die Liebenden, blind – Uraufführung Amsterdam 2022, Orest – Amsterdam 2011, La grande magia – Dresden 2008. Daneben existiert ein äußerst vielfältiges Schaffen in verschiedensten Genres mit einer mehr als erstaunlichen Werkfülle. 

Die Frage nach potentiellen, alternativen Lebenskonzepten hat den Künstler schon öfter gereizt wie in dem 2018 uraufgeführten Monodram Verpasste Gelegenheiten.

Das Libretto des Kammerspiels Septembersonate hat Trojahn selbst verfasst. Es  basiert frei auf der Erzählung „The Jolly Corner“ von Henry James aus dem Jahr 1908, dessen Erzählungen auch Britten zu seinen Opern The Turn oft he Screw und Owen Wingrave inspiriert haben. 

Die Originalerzählung führt den Leser durch einen andauernden, irisierenden direkten oder indirekten konjunktivischen Perspektivenwechsel. Eine Geistergeschichte um die Eventualitäten der eigenen, potentiell abweichenden Lebensentwicklung, wenn der Autor Brydon nicht den Wünschen der Familie gefolgt wäre, nicht nach Europa gegangen wäre, die Begegnung mit der Liebe aus Kindertagen - Ellice Staverton -  weiter verfolgt hätte etc. Die Fokussierung auf das eigene Ego, die über-verfeinerte, ausschließlich auf die eigene Person bezogene Fantasieentwicklungen werden nahezu unerträglich und machen den Autor zu einem keinesfalls sympathischen Protagonisten, dem man schließlich nicht zutraut, dass er je zu einer eigenbestimmten Lebensentwicklung und klaren Entscheidungen in der Lage war oder ist. Oder ist dies ein Element des unbewusst drohenden Alters?

Das Libretto der Oper von Trojahn ist im Verhältnis dazu fokussierter und geradliniger, jedoch nicht weniger psychologisch tiefgründig und in der Deutung offen. Bei Trojahn kehrt Brydon abweichend als Künstler, nämlich Schriftsteller aus Europa zurück. Gegen Ende - als Ellice und seine Haushälterin ihn am Ende scheinbar leblos finden - fragt er sich, ob er bereits aus dem Jenseits zurückgerufen wurde und warum. 

Die Musik ist unmittelbar eingängig und plastisch. Im Laufe der Zeit hat der Komponist eine hoch-differenzierte Kunst der Fokussierung und des wirkungsvollen Weglassens weit ausgeprägt. Dabei ist die Partitur stimmenfreundlich gestaltet. Zitate von Strawinky, Ravel und Richard Strauss finden Verwendung. 

Den Zuschauer umgibt durch die gesamte Aufführung ein immerwährender Pulsschlag, wie vom eigenen Herzen. Die Partitur arbeitet mit insgesamt nur 15 Instrumenten. Eine Kammeroper in großem Raum. Die Klanglinien der einzelnen Instrumente und kleinen Gruppen erlauben eine differenzierte Ausleuchtung der psychologischen Situationen. Die Besetzung umfasst im Einzelnen: ein Bläserquintett, Klavier, Celesta, Harfe, Schlaginstrumente, ein Streicherseptett, jedoch keine Geigen. Somit wird ein generell dunklerer Klang wie bei Kerzenschein oder aus der Perspektive eines älteren Menschen kreiert. 

Eine elektrisierende Umsetzung und Erweiterung dieses literarisch-musikalischen Kosmos erarbeitet dazu die Regie von Johannes Erath mit der Bühne und den Kostümen von Heike Scheele und einer sensibel und hochdifferenziert choreographierter Bühnentechnik. Hinzu kommt die Lichtkunst von Nicol Hungsberg und insbesondere auch den Videoarbeiten von Bibi Abel mit einer Fülle von Erscheinungen und irrealen Welten.   

Bewegliche Passepartout-Bilder mit Treppen wie von Escher-Zeichnungen wechseln mit Gaze-Vorhängen mit und ohne Projektionen. Projizierte Bühnenvorhänge, die sich öffnen und doch nichts sichtbar werden lassen wechseln mit Tierbildern von tiefenpsychologischer Bildhaftigkeit. Eine hoch-artifizielle Gratwanderung zwischen konkreten Bühnenbauten und irrealen, verschwimmenden Projektionswelten.  

Die Crew der Düsseldorfer Bühnentechnik verdiente sich – auf die Bühne gerufen – ganz zu Recht ihren verdienten Schlussapplaus.  

Holger Falk als Osbert Brydon, der „Brecher“ vom Dienst und Fachmann für zeitgenössische, am Abgrund wandelnde Psycho-Extremsituationen, und wären sie auch darstellerisch und gesanglich noch so halsbrecherisch und in gewisser Weise undankbar, weil selten wieder-aufgeführt, wirkt so durchdringend unheimlich und beängstigend, dass der Eindruck den Betrachter lange nicht zur Ruhe kommen lässt. Falk und Erath haben bereits an der Oper Köln In Kaija Saariaho’s L’Amour de Loin in 2021 zusammengearbeitet und Vergleichbares geleistet.  Falk ist aber auch wiederholt mit der Verkörperung in Werken von Manfred Trojahn hervorgetreten. 

Juliane Banse ist  Ellice Staverton – die große deutsche Sopranistin, eine unermüdliche Forscherin immer neuer musikalischer Erlebniswelten, hat ihrem Repertoire eine weitere geheimnisvoll und glutvoll-erfüllte Partie hinzufügt.

Der Doppelgänger Osbert II von Roman Hoza und die Haushälterin Mrs. Muldoon der Susan Maclean bilden eine überzeugende Abrundung der Gesangspartien.   

Im Graben überzeugt das Ensemble aus den Düsseldorfer Symphonikern unter der Leitung des noch jungen Generalmusikdirektor in spe: Vitali Alekseenok.    

Das aus allen Welten vertretene Fachpublikum feierte das Ereignis für alle Beteiligten  – und den Komponisten -  mit frenetischem Applaus.  

Achim Dombrowski

Copyright: Wolf Silveri

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