Eine traumhafte slawische Undine

Xl_rusalka_636 © Monika Rittershaus

Teatro Real Madrid

Rusalka

Musik von Antonin Dvorak

Dichtung von Jaroslav Kvapil 

Aufzeichnung der Aufführung vom 20.11.2020, gesehen auf medici tv am 18.02.2021

Premiere am 12.11.2020

Insgesamt zehn Opern hat Antonin Dvorak komponiert. Nur eine davon ist außerhalb Tschechiens wirklich bekannt und im Repertoire verankert: Rusalka, die slawische Undine. In Tschechien ist sie neben der Verkauften Braut die Nationaloper des Landes und womöglich das meistgespielte Werk auf den Opernbühnen des Landes überhaupt.

Rusalka sehnt sich nach einem anderen Leben: sie will der Tiefe des Wassers entkommen und die Liebe der Menschen in der Person des Prinzen, der im Teich bei Ihr geschwommen ist, erfahren und leben. Ihr Vater, der Wassermann warnt sie. Die Hexe Ježibaba erfüllt ihren Wunsch. Doch wird sie bei den Menschen stumm bleiben müssen. Wenn die Liebe scheitert, wird sie den Tod des Prinzen bewirken sowie fortan in Einsamkeit zwischen allen Welten schweben. Rusalka ist so überzeugt von ihrer Liebe, dass sie dieser Bedingung zustimmt. Die Liebe scheitert. Der Prinz lässt sich von einer fremden Fürstin verführen. Als er wieder zu Rusalka zurückkehren will, muss er in ihren Armen sterben. Rusalka bleibt allein zurück.       

Das mit vielen mythologischen Verssatzstücken aus der europäischen Literatur arbeitende Libretto von Jaroslav Kvapil weist nicht wenige psychologische Bruchstellen auf. Diese Öffnungen gewissermaßen haben eine Vielzahl von Regisseuren in den letzten Jahren in hohem Maße zu sehr unterschiedlichen, teils sehr unerwartet-kreativen Interpretationen angeregt. 

Jetzt folgt Christof Loy zusammen mit seinem Team Johannes Leiacker für das Bühnenbild sowie Ursula Renzenbrink für die Kostüme. Die Handlung spielt im Vorraum eines alten, still-gelegten Theaters. Der Wassermann ist möglicherweise der alte Theaterdirektor, Ježibaba

ist Rusalkas lebenserfahrene und leidgeprüfte Stiefmutter. Wenn es sein muss, verkauft diese auch die Eintrittskarten für das Theater. Rusalka selbst übt in Ballettschuhen Spitzentanz. Jedoch läuft sie im ersten Akt an Krücken und scheitert bei jeder ihrer Übungen mit schmerzhaften Stürzen. Erst mit dem Zauber der Stiefmutter/Hexe kann sie schließlich gehen, verliert aber durch den Zauber ihre Stimme.   

Loy schafft aus der Perspektive Rusalkas die Traum- und Empfindungswelt einer jungen Frau, die ihren eigenen Körper zu erkennen versucht. Sie will zudem ihre Realität verstärkt wahrnehmen und ihre Zukunft zu gestalten versuchen. Sie will raus aus der Welt der Erwachsenen mit einem Vater, der – wenn auch noch so liebevoll – immer nur vor den Folgen der Wünsche warnt und der Stiefmutter, die schon alle Enttäuschungen im Leben erfahren hat und wenig, um nicht zu sagen keinerlei positiven Ausblick nach ihren Frustrationen mehr erwarten will. 

Die Szene spielt durchgehend im Eingangsbereich eines alten, wohl ausgemusterten Theaters, der in einzelnen Szenen wie durch eine einbrechende Stein- oder Lavamasse ergänzt wird. Diese Bildwirkung evoziert vielleicht die gleichsam ewige Wiederkehr dieser menschlichen Traum- und Erfahrungswelten durch die Zeitläufte.     

Die in der Handlung auftretenden weiteren Rollen wie Jäger, Wildhüter und Küchenjunge sind wie Pierrot und Charlie Chaplin stilisiert, die Nymphen sind junge Ballerinen auf ihren Spitzenschuhen. So ist Rusalka laufend von bekannten Figuren aus der Traumwelt von Theater und Kino umgeben. 

Diese Szenerie wird im zweiten Akt – beim Fest am Hofe – durch ein sich steigerndes, auch erotisch immer ausgelasseneres Tanzensemble (Choreographie von Klevis Elmazaj) erweitert, das für das junge, unerfahrene Mädchen Rusalka eine vollkommen beängstigende und entfremdete Umgebung ihres geliebten Prinzen mit der ihn verführenden fremden Fürstin zeigt.

Am Ende öffnet sich der Raum auf eine unendliche, blaue Himmelsperspektive, der Rusalka entgegengeht und dem toten Prinzen im Vordergrund.    

Asmik Grigorian ist in jeder Hinsicht eine Traumbesetzung für die Rusalka. Ihre jugendliche Erscheinung, ihr mädchenhaftes, entschieden-träumendes Äußeres sowie ihre in jeder Lage für die Rolle perfekte Stimmtechnik und -ausdruckskraft machen den Abend zum Ereignis. Ihr Auftritt vermittelt die Persönlichkeit einer jungen, modernen Frau, mit der man sich unmittelbar identifiziert. Offensichtlich verfügt sie auch über eine Tanzausbildung.   

Der amerikanische Tenor Eric Cutler kommt – wie Rusalka – mit Krücken auf die Bühne. Im ersten Moment glaubt man, das hier die Regie gewissermaßen eine recht äußere Parallele mit Rusalka anlegen wollte, tatsächlich musste der Sänger jedoch die Partie mit einer gerissenen Achilles-Sehne meistern. Er tat dies mit Bravour, gelegentlich mit etwas Mühe in der Höhe, aber insgesamt als ein Liebhaber, bei dem der Zuschauer Rusalkas Zuneigung nachvollzieht.

Katarina Dalayman als Hexe Ježibaba, bzw. Rusalkas Stiefmutter, geht ihre Partie mit Humor an. Ihren Zauber verabreicht sie Rusalka mit einer Tasse Tee und einem gehörigen Schluck aus dem Flachmann und weiß auch ansonsten durch viel Situationskomik zu überzeugen. Das gilt voll und ganz für die stimmliche Beherrschung der Partie.  

Karita Mattila wartet ebenfalls mit einer gehörigen Portion drastisch-komischer Gestik auf, man sieht ihr den Spaß an der Partie an. Ihre stimmlichen und darstellerischen Verführungskünste leiden darunter keineswegs.

Einen sehr sanften, liebevoll-zugewandten Vater, oder Wassermann singt und spielt Maxim Kuzmin-Karavaev. Der wohlklingende Bariton überzeugt vielleicht auch deshalb so besonders, weil es noch die Stimme eines relativ jungen Mannes ist, die in Art und Charakter sehr unmittelbar die hingebungsvolle Nähe zu Rusalka vermittelt.

Die Partien des Jäger/Pierrot, gesungen von Sebastia Peris, des Wildhüter, verkörpert von Manel Esteve und des Küchenjungen, dargestellt von Juliette Mars passen stimmlich ausgezeichnet ins das anspruchsvolle Ensemble. Die Nymphen von Julietta Aleksanyan, Rachel Kelly und Alyona Abramova runden die Besetzung mehr als angemessen ab.

Der unter Andrés Máspero verlässlich einstudierte Chor konnte voll überzeugen.

Das Orquesta Titulares del Teatro Real unter seinem Chefdirigenten Ivor Bolton ließ den slawischen Charakter der Partitur in feinsten Farben erklingen, und wie bei Bolton nicht anders zu erwarten, einerseits mit dem notwendigen dramatischen Ausdruck für dieses Werk zwischen Spätromantik und Moderne und andererseits einer traumhaften, differenzierten Durchhörbarkeit in der Klangstruktur.    

Die Videowiedergabe gelang klanglich und optisch tadellos. Die Bildregie vermochte in sinnvoller Folge und angemessenem Format die Bühnenproduktion wiederzugeben. Die Aufnahme kann noch bis 25.Februar 2021 auf medici tv gesehen werden.     

Achim Dombrowski

Copyright: Monika Rittershaus

 

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