Elektra
(Richard Strauss)
Theater Lübeck
Premiere am 27.01.2024
Besuchte Aufführung 03.02.2024
Brigitte Fassbaender hat eine bewunderungswürdige Laufbahn als Opern- und Liedsängerin über lange Zeit leben dürfen. Unter ihren vielen Rollenportraits – die sie mit großen Regisseuren erarbeitet hat - war auch die Klytämnestra in Richard Strauss Elektra in unterschiedlichen Inszenierungen. Diese langjährige Erfahrung bildet den Hintergrund für ihr eigenes aktuelles, äußerst vielseitiges Engagement als Regisseurin für die Opernbühne. Die Sängerin durch Prägung weiß, was Sängerdarsteller auf der Bühne umsetzen können, was sie als Regisseurin von ihnen fordern kann.
Dabei überrascht zunächst ihre absolut statische Sichtweise auf Elektra: für Fassbaender gibt es in diesem Stück weder unmittelbar noch implizit einen Entwicklung. „Der Mensch ist ein Abgrund – Punkt“ äußert sie im Interview mit dem Produktions-Dramaturgen Jens Ponath im Programmheft.
Elektra tanzt und stirbt abweichend von der Vorlage auch nicht am Ende des Stücks, sondern verbleibt vor dem fallenden Vorhang, den Namen ihres Vaters Agamemnon flüsternd – wie in alle Ewigkeit.
Bettina Munzer hat dazu zeitlose Bühne und Kostüme entworfen, die die Funktionen der Darsteller und Darstellerinnen zum Ausdruck bringt und – wenn man denn will – in Andeutungen die Architektur der Antike aufgreift. Ansonsten ein gewöhnlicher, großer Tisch im Zentrum.
Ausgezeichnet differenziert und ohne falschen Opern-Pathos wird die Charakterisierung in der Personenführung der drei weiblichen Hauptpartien gemeistert. Gerade die Momente der erhofften Annäherung und der abrupten Zurückweisung der drei Frauen untereinander, die Sehnsucht nach Nähe und Zuneigung kommen glänzend zur Geltung. Das gelingt auch nicht zuletzt wegen der einfühlsamen musikalischen Erarbeitung dieser Szenen aus dem Orchestergraben.
Trine Møller ist Elektra. Sie hat sich über Turandot und Brünnhilde, die sie im Baseler Ring des Nibelungen von Benedikt von Peter erarbeitet hat, nunmehr an die Elektra gewagt und bewältigt die mörderische Rolle mit Bravour. Sie hat eine glänzend intakte Stimme, die mit souveräner Führung und kluger Disposition der Ressourcen die gewaltigen Steigerungen dieser Partie meistert. Dabei hält sie sich – entsprechend des Konzeptes – auch daran, keine unkontrollierten stimmlichen Ausschweifungen zuzulassen. Ausgestattet mit einer Aktentasche, in der sie Utensilien ihres Vaters aufbewahrt, gibt sie auch in ihrer körperlichen Haltung eine nach innen gekehrte Figur.
Edna Prochnik aus dem Ensemble gibt eine glänzende Klytämnestra, auf Nähe ihrer Tochter Elektra hoffend, ganz ohne pathetische Gesten und Übertreibungen. Die Skala der darstellerischen und stimmlichen Möglichkeiten der Sängerin ist scheinbar unbegrenzt – die souveräne Rollenbeherrschung erlaubt ihr eine erschütternde Gestaltung einer der tragenden Charaktere des Atriden-Clans.
Die Chrysothemis wird von Lena Kutzner zur Darstellung gebracht. Sie trifft den Ton der lebenszugewandten Schwester Elektras mit ihrem Wunsch nach Kindern und einem familiären Leben in anrührender Geste. Die gestalterischen Mittel der jungen Sängerin, ihr makelloser Sopran, ihre beherrschte Stimmführung sind bewunderungswürdig. Es wird interessant sein, zu sehen, wie sie ihre zukünftige Laufbahn gestaltet und zu welchen weiteren grandiosen Leitungen diese talentierte Sängerdarstellerin fähig sein wird.
Wolfgang Schwaninger gibt eine gelungene Charakterstudie des Aegisth.
Ein wenig Licht und lebenszugewandte Atmosphäre bringt die Inszenierung mit einer ungewöhnlichen Darstellung der fünf Mägde, die sich mit einer gewissen Leichtigkeit oder sogar mit Scherzen begegnen. Umgesetzt wird diese Idee von einem sehr ausgewogenen, sing- und spielfreudigem, ja teilweise in Ansätzen komödiantischen Mägdeteam mit Theresa Fauser, Laila Salome Fischer, Frederike Schulten, Natalia Willot und Andrea Stadel.
Das Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck unter dem Chefdirigenten Stefan Vladar überbietet sich selbst. Ob in den großen Steigerungen der schwierigen Partitur, den zarteren Tönen, wann immer sich eine der drei Frauenfiguren öffnet oder sehnsuchtsvoll nach Leben und Nähe sucht oder auch wenn sich Elektra all dem verweigert – immer ist das Orchester ebenbürtiger Partner in der Ausformulierung der musikalischen und szenischen Umsetzung. Die Durchhörbarkeit der Orchestergruppen, die Exaktheit im Spiel und die souveräne Ausformung aller Übergänge in der anspruchsvollen Partitur gelingen vorbildlich. Es muss auch die intensive Arbeit des Ensembles mit seinem Chefdirigenten über die Zeit sein, die solche herausragenden Aufführungen ermöglichen.
Das Publikum des nicht ganz gefüllten Hauses wusste die Leistungen des Abends sehr wohl wahrzunehmen und anzuerkennen. Viel Beifall und bravi-Rufe für das Ensemble, allen voran natürlich für die die Protagonistinnen, aber auch für das Orchester.
Achim Dombrowski
Copyright: Jochen Quast
05. Februar 2024 | Drucken
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