Deutsche Oper Berlin
Anna Bolena
Gaetano Donizetti
Premiere am 15.Dezember 2023
In der italienischen Romantik hat sich insbesondere Donizetti für eine dramatische Weiterentwicklung der Oper eingesetzt. Die Ereignisse um die zweite Frau Heinrich VIII., Anna Boleyn, beinhalten dafür beim ersten Hinsehen gerade die richtige Mischung aus Sex, Crime und Tod. Die Oper – obwohl schon Nummer 35 in laufender Zählung - steht in Donizettis Werk allerdings noch an einer Stelle seines immensen Schaffens, in welcher er stark vom Einfluss des Konkurrenten Bellini geprägt war, der mit seinen überlangen Melodiebögen sowie langsamen und gediegenen musikalischen Entwicklungen ganz andere Akzente setzte. Bellini hat den Stil der Oper dieser Zeit geprägt und Donizetti glaubte zu Zeiten seiner Anna Bolena (1830) dem noch weitgehend entsprechen zu müssen.
Die Partitur zeichnet sich zudem durch unendlich anspruchsvolle Gesangspartien der prima donna Anna Boleyn sowie ihrer - gewissermaßen mitfühlenden - Rivalin Giovanna Seymour aus. Die Partien sind ursprünglich mit Blick auf außergewöhnliche Sängerinnen der Zeit geschaffen worden. Diese Protagonistinnen waren hoch-verehrt und verdienten mit ihrer Kunst ganz erheblich mehr Geld als die Komponisten.
Der Regisseur David Alden blickt in seiner vom Opernhaus Zürich aus dem Jahr 2021 übernommenen Inszenierung auf die Geschehnisse der Handlung mit einer Unwirklichkeit wie in einem Flash Back Anna Boleyns in der Gewissheit ihres bevorstehenden Todes. In der Ausstattung von Gideon Davey haben die Wände am Hofe Heinrich VIII. Ohren und bewegen sich nach einer unsichtbaren Hand. Die Kostüme sind unterschiedlichen Zeiten entnommen. Während Heinrich VIII. noch ganz wie aus seiner Zeit gekleidet erscheint, tragen die Damen am Hofe Kostüme aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Die Lichtkunst von Elfried Roller und mehr noch die Videoeinspielungen von Robi Voigt spielen auf mannigfaltige Weise mit ur-typischen romantischen Symbolen, die andeutungsweise auf die Raumbegrenzungen projiziert werden und eine unwirkliche Atmosphäre schaffen. Obwohl die Oper ausschließlich in Innenräumen spielt, sind viele Elemente mit Naturbezug zu sehen.
Dabei fielen die beiden Teile des Abends deutlich auseinander: während im zweiten Teil die stillen und verinnerlichten Beiträge der Protagonisten und auch des (Frauen-)Chores eine hohe Geschlossenheit aufwiesen, fehlte im ersten Teil eine Personenführung komplett. Jeder versuchte auf seine Weise und aufbauend auf seinem eigenen Erfahrungsschatz einen schauspielerischen Beitrag von unterschiedlicher Überzeugungskraft zu leisten.
Durchgängig überzeugen konnten Auftritt und Haltung Frederica Lombardis als Anna Boleyn. Ihre Darstellung ist über weite Strecken getragen durch eine äußerlich überlegene Ruhe, die der Gewissheit und wehmütigen Hingabe an ihr Schicksal und ihren bevorstehenden Tod entstammen. Sie vergegenwärtigt sich die Ereignisse ihres Lebens – soweit sie in der Oper verhandelt werden – wie aus einer verschwommenen, letzten Rück-Erinnerung. Diese Haltung prägt auch ihre Gesangskunst. Ihr Ansatz liegt in der Entwicklung lyrischer, ruhiger und hingebungsvoller Gesangslinien, die ihr eine besondere Würde verleihen und letztlich ein Verzeihen zum Ausdruck bringen. Die Kunstfertigkeit der halsbrecherischen Koloraturen oder der Ausdruck von Rache und Vergeltung stehen nicht in dem Maße wie bei anderen großen Vertreterinnen der Rolle in den letzten Jahrzehnten im Vordergrund.
Erarbeitung und Bewältigung einer Partie wie Anna Boleyn erfordert unendliche Demut, jahrelange Arbeit und mag gewissermaßen niemals wirklich den von der Darstellerin selbst angestrebten Grad der Perfektion erreichen. Frederica Lombardi bewegt und erschüttert durch ihre stimmliche und darstellerische Leistung. Die Entwicklung bestimmter Linien und Spitzentöne – insbesondere in der so außerordentlich langen Schluss-Szene - wird im Laufe der Zeit und ihrer weiteren Ausgestaltung der Rolle eine noch größere Sicherheit erlangen.
Mit leidenschaftlichem Brio und durchdringendem stimmlichen Ausdruck vertrat Vasilisa Berzhanskaya als Giovanna Seymour den schwankenden Charakter der Rivalin. Die stupende und so sichere Gestaltungskraft der Sängerin riss auch die Lombardi in den gemeinsamen Duetten mit. Der Auftritt dieser beiden so verschiedenen Künstlerinnen, bzw. deren so unterschiedlicher Rollenansatz machte einen besonderen Reiz des Abends aus.
Riccardo Fassi ist Enrico VIII. Er ist ohne Zweifel noch ein junger König, so ungestüm wie mitunter unmotiviert sein Schauspiel, so überzeugend sein samtweicher und klangschöner Bass-Bariton, der mit einem an Mozart geschulten, nicht zu lauten aber sehr ebenen Organ besticht.
René Barbera glänzte mit seinem perfekten Belcanto-Tenor als Lord Riccardo Percy mit betörendem Schmelz. Karis Tucker als Page Smeton besticht mit ihrer klug geführten und jugendlichen Stimme. Padraic Rowan als Lord Rochfort und Chance Jonas-O’Toole als Sir Hervey als Riff-Raff-Variante vervollkommnen das Ensemble auf hohem Niveau.
Der Chor der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Jeremy Bines überzeugt durch präzises Aushorchen der Stimmen und einer besonders innigen Gestaltung des Frauenchores im zweiten Teil.
Das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Enrique Mazzola vermag die nicht ganz unerheblichen Längen der ungekürzt gespielten Partitur durch präzises Spiel und die bewegliche Erkundung der musikalisch-szenischen Gestaltungs-Entwicklung Donizettis unter Spannung zu halten.
Riesiger Beifall und bravi-Rufe – gewürzt und angespornt durch einen einzelnen wütenden Buhrufer – für die Lombardi und nicht minder für die Berzhanskaya und Barbera. Großer Beifall für alle weiteren Mitwirkenden und das Regieteam.
Achim Dombrowski
Copyright: Bettina Stöß
18. Dezember 2023 | Drucken
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