Hamburg: Ein Freischütz überzeugt bei insgesamt hoher Qualität nicht in jedem musikalischen und szenischen Detail

Xl_16_der_freischuetz_c_brinkhoff-moegenburg © Brinkhoff/Mögenburg

Hamburgische Staatsoper

Der Freischütz

(Carl Maria von Weber)

Premiere am 17. November 2024

Eine Neuproduktion des Freischütz und wieder die alten Ängste: wie entgeht man der Deutsch-Tümelei auf der Szene, wie lang oder wie kurz hält man die gesprochenen Dialoge und welche genau lässt man aus? Wie musiziert man die alten Hits, und erst recht den schon im Text so skurril-sonderbaren Jägerchor?

Der Regisseur Andreas Kriegenburg hatte bereits 2019 sein Konzept erarbeitet, das nach Corona in Hamburg erst jetzt zur Aufführung kommt – Covid wirkt da noch immer nach. In der Bühne von Harald B. Thor und den Kostüme von  Andrea Schraad sowie der Lichtgestaltung von Andreas Grüter wird dem Geschehen eine fest-definierte Zeit - die ursprünglich in Böhmen kurz nach dem 30-jährgen Krieg spielt - der Handlung im Wesentlichen entzogen. Durch Maske, Kostüme und Gestik sind Elemente der 20er und 50er Jahre des 20. Jahrhunderts zu erkennen. Aber im Kern entsteht die Wahrnehmung eines überzeitlichen Geschehens, in dem durch Hierarchie, Gewalt, Tradition, Unterdrückung, Leistungsdruck der Raum für ein verantwortungsvolles gesellschaftliches Miteinander und eine liebevoll-menschliche Begegnung sehr eng wird.    

Die Bühne mit überdimensionierten, beweglichen Bretterverschlägen wie grob-gezähmter Wald für die Volksszenen, einer fahrbaren, erhöhten Bühnenkasten für die Welt Agathes, Ännchens und der Brautjungfern sowie viel dunklem Gegenlicht und Nebel für die Wolfschlucht sorgen für eine psychologische Ausleuchtung und Grundierung der Szenerie. 

Kriegenburg setzt auch auf sein stilistisches Mittel der Körperchoreographie. Der wie ein Chansonnier aus den 20er Jahren in einer Sprechrolle über die Szene tänzelnde Schauspieler Clemens Sienknecht als Samiel wird von zehn Männern optisch gedoubelt, die in Gegenlicht und reichlich Rauchschwaden immer wieder choreographisch Effekt machen. So wird Caspar beim Gießen der Kugeln auf einem Rad in die Höhe gehoben und wie auf schwankendem Boot durch die brodelnde Wolfschlucht gelotst.    

Insgesamt gelingt eine psychologisch wirkungsvolle, aber dennoch nur mäßig-spannende Umsetzung der Handlung. Die Textfassung ist teilweise erheblich zu lang. Gelegentlich gewinnt man den Eindruck, dass im Verlauf gar keine Musik mehr erklingen wird. Die verstärkten Stimmen in den Dialogen sind zudem nicht optimal zu verstehen. Die Personenregie überzeugt im Ganzen, wenngleich z B das wiederholt wie eine aufgezogene Zierpuppe agierende Ännchen sowie der giggelnde Frauenchor eine Regie-Handschrift aus männlicher Perspektive erkennen lässt.                

Julia Kleiter singt die Agathe zwischen Zuneigung und Angst mit klangschönem, ausgewogenem und makellosem Sopran und mit hochdisziplinierter Stimmführung. Nicht zuletzt durch die Wärme ihres Stimm-Timbres und ihre ungekünstelte Gestik gelingt ihr die Darstellung der zentralen Persönlichkeit, die für die Zukunft des Paares mit Max entscheidend sein wird.     

Alina Wunderlin als Ännchen katapultiert sich durch ihre quicklebendige, genau geführte Stimme und komische, wenn auch manchmal etwas stereotyp geführte fröhliche Spielkunst, rasch zu Publikumsliebling des Abends.   

Der Max von Maximilian Schmitt überzeugt mit seinem weichen Tenor-Timbre, wirkt aber im Ganzen in Auftritt und der Durchsetzungskraft seiner Stimme sehr zurückhaltend.   

Johan Reuter als Caspar verausgabt sich in jeder Faser und überzeugt in Stimme und Darstellung. Die drastisch-grünliche Kostümierung und starke Maske vermitteln ein ironisierendes Bild der Person. Wiewohl dies alte, gewohnte Rollenmuster konterkariert und durch eine neue Sichtweise zu ersetzen versucht, wird der Figur gleichzeitig jedoch ein Teil ihrer dämonischen Verfallenheit genommen.  

Andrzej Dobber als Ottokar setzt seinen durchdringenden Bariton mit überzeugender Stimmkunst für den herrschenden, auf Ordnung und Tradition wachenden Fürsten ein, der gleichwohl dem religiös-moralischen Anspruch des Eremiten folgen will.     

Das Ensemble wird abgerundet durch einen engagierten Hubert Kowalczyk als Cuno und Han Kim als Eremiten, dessen Stimme eher für ein kleineres Haus geeignet erscheint.

Der Chor der Staatsoper Hamburg unter Christian Günther singt mit äußerster Präzision, Delikatesse und Spielfreude. Durch den feinen, zurückhaltenden Vortrag des Jägerchores glaubt man geradezu ein neues Chorstück zu hören.

Unter dem Dirigenten Yoel Gamzou spielt das Philharmonische Staatsorchester Hamburg mit großem handwerklichen Können. Sehr viele Instrumente oder Instrumentengruppen sind unerwartet – wo immer möglich – als Soloinstrumente zu hören, was neue, ungewohnte Perspektiven vermittelt und von der gewohnten Klangkulisse der bekannten Hits ein wenig verschont, andererseits aber eine ganzheitliche Klangstruktur manchmal zerfallen lässt. 

Viele Musiknummern oder Passagen werden regelmäßig im fortgeschrittenen Teil ihres Vortrags durch starke Temporückungen beschleunigt. Auch das schafft ein neues, zunächst erfrischendes Hörelement, klingt jedoch im weiteren Verlauf rasch stereotyp. Auch macht das Orchesterspiel mitunter einen angestrengten Eindruck. 

Andere neue Dirigierstile suchen eine organische Orchester-Dynamik durch ein differenziertes, neues Hörbild in den Microstrukturen von Motiven, Passagen und Übergängen zu realisieren und bei organischem Orchesterspiel nicht auf Tempo, Lautstärke und Druck zu setzen.          

Viel Applaus für die Sänger, vereinzelte Buhrufe für das Regieteam, aber massivere Proteste für den Dirigenten.  

Achim Dombrowski

Copyright Fotos: Brinkhoff/Mögenburg

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