
Staatsoper Hannover
The Greek Passion
(Bohuslav Martinú)
Der tschechische Komponist Bohuslav Martinú teilte selbst das Schicksal als Vertriebener. Er floh vor den Nationalsozialisten nach Amerika und starb 1959 in der Schweiz. Sein Traum, in seine tschechische Heimat zurückkehren zu können, sah er zeitlebens nicht erfüllt. Es ist daher thematisch naheliegend, dass Martinú auf den Hinweis des griechischen Schriftstellers Nikos Kazantzakis dessen Roman Christus wird wieder gekreuzigt auf der Basis eines selbst verfassten Librettos vertont hat. Der Inhalt des Romans basiert auf den Ereignissen des türkisch-griechischen Krieges, in welchem Griechenland 1922 unterlag. Die Folgen waren Flüchtlingswellen unzähliger Griechen aus Kleinasien in die anderen Landesteile.
Das vollendete Werk ist dann verschlungene Wege gegangen: die ursprünglich als Uraufführungsort 1957 vorgesehene Royal Opera in London sagte plötzlich aus niemals erklärten Gründen ab. Vermutlich war der in Teilen schroffe Stilmix des Werkes ausschlaggebend. Es stehen gesungene Passagen, Sprechgesang unvermittelt neben Rezitativen und gesanglichen Formen.
Auf Raten des Mäzens Paul Sacher verfasste der Komponist eine zweite Fassung, die wesentlich gefälliger und melodischer wirkte und 1961 – erst nach dem Tod des Komponisten – in Zürich zur Uraufführung kam. Das war seinerzeit eine mühevolle Detailarbeit, denn die einzelnen Teile der Partitur der ersten Fassung waren mittlerweile weit verstreut und mussten in liebevoller Kleinarbeit wieder ausfindig gemacht und zusammengesetzt werden. Das Werk ist außerordentlich aufwändig mit einem großen Orchesterapparat, Chören, Kinderchor und einer stattlichen Solistenzahl.
Erst 1999 kam dann doch die ursprüngliche Fassung der Oper in Bregenz zur Aufführung und hat seitdem eine Reihe höchst eindrucksvoller Wiedergaben erlebt, u.a in Graz 2016 und bei den Salzburger Festspielen 2023. Die Hannoveraner Produktion war zunächst vom Corona-Unglück verfolgt. Sie sollte bereits 2020 auf die Bühne gelangen und musste mehrfach verschoben werden.
In der Handlung der Oper trifft eine Gruppe von Flüchtenden auf die Bewohner eines wohlhabenden Dorfes, welches gerade die Rollen für das anstehende Passionsspiel verteilt haben. In der sich entwickelnden Begegnung der Menschen scheinen die Akteure teilwiese wie in Befolgung der Rollen des Passionsspiels oder aber gerade auch genau im Gegensatz dazu zu agieren. Werte, Miteinander und eine gelingende Kommunikation beziehungsweise deren Scheitern werden verwirrend und immer ergreifend verhandelt. Der kindlich-wohlmeinendste Vertreter aus dem Dorf wendet sich den Migranten und Leidenden zu. Er ruft schließlich zum Aufstand gegen seine eigene Gemeinschaft auf. Manolios wird erschlagen.
Die Regisseurin Barbora Horáková zusammen mit Susanne Gschwender für die Bühne haben ein Passionsspiel im Spiel entworfen. Die Elemente der Passion durchdringen dabei unvermittelt die Handlung und werden im Wege von Projektionen geschickt sichtbar gemacht. Kameraeinsichten von oben lassen die zwischen Mauerelementen wandelnden Dorfbewohner optisch wie über Brücken gehen oder sich in Labyrinthen verirren. Der Zuschauer erlebt mitunter visuell Elemente und Zusammenhänge der verschiedenen Spielebenen, in welche die handelnden Personen auf der Bühne keine Einsicht haben.
Geradlinig und schmucklos gestaltete Mauerteile und weitere Bühnenelemente stehen in Kontrast zur emotionalen Hochspannung des Geschehens. Sie werden wiederholt wie Anordnungen in Versuchsszenarien von Mitarbeitern der Technik bei offener Bühne verschoben. Es entsteht ein sensibles und einfühlsames Grundmuster in Bild und Personenführung, welche die Betrachtung erdet und mit der dramatischen Entwicklung in Einklang bringt. Die Spannung bleibt dabei jeden Augenblick erhalten. Die zeitlosen Kostüme von Eva-Maria van Acker sind wichtiger Bestandteil der Gesamtkonzeption.
Mit der Figur des jungen und leidenschaftlichen und mitfühlenden Hirten Manolios gelingt dem jungen amerikanischen Tenor Christopher Sokolowski - nach seinem großen Erfolg als Lohengrin in Bremen - erneut ein grandioser Auftritt als sendungsbewusster Vertreter einer Gemeinschaft in Not. Nicht nur sein kraftvoll-fundierter Tenor, sondern auch sein äußerlich intensives Spiel, das zugleich auch die Facetten einer leidenden Introspektion umfasst, nehmen das Auditorium von Beginn an gefangen.
Die beiden Priester der Dorfgemeinschaft sowie der Gruppe der Flüchtenden Grigoris und Fotis werden in stimmlich und darstellerisch rundum überzeugender Form von Shavleg Armasi und Marcell Balkonyi verkörpert. Eliza Boom als Witwe Katerina vermag mit ihrem warmen und emotional-bewegend geführten Sopran das Portrait einer in den menschlichen Wirren bedingungslos liebenden Frau zu zeichnen.
Zwei Tänzerinnen und einem Tänzer in der Choreographie von Andrea Tortosa Vidal gelingt ein szenisch verbindendes Element während des gesamten Geschehens.
August Zirner spricht einige wenige hinzugefügte Sätze zur Unsichtbarkeit Gottes - ein sprachlicher Rahmen, der im Glauben an Gott zweifeln oder doch zum ihm aufrufen will, wenn man sie so verstehen mag.
Chor, Extrachor und Kinderchor der Staatsoper Hannover mit der Leitung von Lorenzo Da Rio können in den umfangreichen Aufgaben überzeugen und das Niedersächsische Staatsorchester Hannover unter seinem Chefdirigenten Stephan Zilias bringt den Musikstil Martinús zu Leuchten. Dabei wurden die mehr als vielfältigen Stile und Elemente aus Oper, Kirchen-, Volksmusik, von Sprechtexten und Rezitativen mit all ihren schnellen Wechseln und hohen Anforderungen überzeugend bewältigt.
Großer und lang anhaltender Beifall des Premierenpublikums für die Sänger, die musikalische Leitung wie auch das Regieteam.
In Bielefeld wird noch im April bereits die nächste Premiere dieser Oper vorbereitet.
Achim Dombrowski
Copyright Fotos: Sandra Then
15. April 2025 | Drucken
Kommentare