LES CONTES D‘HOFFMANN
(Jacques Offenbach)
Premiere am 04.09.2021
Staatsoper Hamburg
Die Staatsoper Hamburg landet mit einer phantasiereichen und feinsinnig-artistischen Produktion einen großen Opernabend
Soviel action auf der Bühne und im Zuschauerraum: Artisten an langen Seilen doublen und umspielen drei Personen der Handlung, expressive farben- und animationsstarke Videokunst, Komparserie und ein Chor auf der Bühne sowie in nennenswerter Stärke auch auf den Ranglogen im Zuschauerraum.
Initiator und Kopf hinter dieser sinnenfreudigen Umsetzung ist ein vielseitiger Künstler, der sich in Theater, Tanz, Akrobatik, Clownerie, Oper, Dokumentarfilm und auch als Buchautor engagiert: Daniele Finzi Pasca. Und ob das alles noch nicht genug wäre hat Finzi Pasca in der Vergangenheit auch Shows für den Cirque de Soleil sowie die Zeremonien für die olympischen Spiele in Turin und Sotshi kreiert und umgesetzt.
Er entstammt einer vielseitigen italienischen Künstlerfamilie, die im eigenen Land über ein außerordentliches Renommee verfügt.
Zusammen mit seinem Bühnenbilder Hugo Gargiulo, der Kostümbildnerin Giovanna Buzzi sowie der Videokunst von Roberto Vitalini zeichnet das Team in seinem Debut an der Hamburger Oper für die Inszenierung der ersten Premiere dieser Spielzeit im Großen Haus verantwortlich.
All das sind gute Voraussetzungen für das Gelingen einer phantastischen, immer wieder die Grenzen des Bewusstseins austestenden Oper wie Hoffmanns Erzählungen, in der bei reichlich Alkohol der Dichter Hoffmann seinen Studentenfreunden die Geschichte seiner drei vergangenen Liebschaften erzählt, die er jeweils an seinen teuflischen Gegenspieler verliert, ebenso wie die berühmte Sängerin, um die er aktuell wirbt und die er nach einer Opernaufführung erwartet. Die Erzählungen tauchen dabei tief in die phantastischen Lebens- und Traumwelten der Romantik ein und geben bei der Bühnenrealisierung seit jeher eine großartige Plattform für die kreativsten Umsetzungen. Die ihn treu begleitende Muse macht ihm Mut, aus seiner Trauer und seinem Schmerz den Weg der Dichtkunst umso mutiger zu beschreiten.
Das Konzept Pascas geht ganz wunderbar auf, nicht nur in den spektakulären und phantasievollen Bildwelten der Produktion, sondern auch in den Szenen der Innerlichkeit, die ein empfindsames Einfühlungsvermögen für das Genre der Oper erfordern.
Denn trotz aller wirkungsvollen und artistischen Ereignisse auf der Bühne wird der Kern der Geschichte mit großer Einfühlsamkeit erzählt und finden z.B. die Bilder der zärtlichen oder sorgenvollen Annäherung Hoffmanns an seine Geliebten jeweils Raum und Ruhe, sich mit anrührender Intensität zu entfalten. Die überraschenden und immer wieder aufsehenerregenden Effekte der Bühne stehen in keiner Weise einem differenzierten Gesamteindruck im Wege, sondern vielmehr in ausgewogener Balance zu der hinsichtlich Geste, Dynamik und Zeitmaß tendenziell zurückgenommenen musikalischen Interpretation.
Lediglich einige Details der Personenregie, insbesondere das möglicherweise durch die hygienischen Vorschriften (-?) sehr stark zum Auditorium gewandte Singen, sowie die Chorführung wirken bisweilen etwas steif und einseitig.
Es singt ein Sängerensemble ganz außerordentlicher Brillanz. Allen voran überzeugt Benjamin Bernheim, der mit der Partie des Hoffmann sein Haus- und Rollendebut gibt. Die hochkultivierte Stimme des Sängers forscht Strukturen im Zusammenspiel von Instrumentengruppen – insbesondere den Holzbläsern - und seiner Stimme nach, die man zuvor noch nie gehört hat. Die innige Tongebung kommt in den tendenziell langsam genommenen Begegnungen mit seinen Geliebten wunderbar zur Geltung.
Olga Peretyatko verkörpert alle drei Frauenpartien der jeweils Angebeteten bei klar abgegrenzter Charakterisierung und scheinbar müheloser Bewältigung der höchst anspruchsvollen Aufgaben. Sie kann künstlerisch die unterschiedliche Ferne und Fremdheit zur Situation und ihrem Verehrer Hoffmann glänzend zur Wirkung bringen.
Luca Pisaroni in seinem Debut an der Hamburger Oper ist ein souveräner Gegenspieler Hoffmanns, der den Auftritt des Teufels mal mit dem gestisch-abgründigen Ausdruck seiner spezifischen Zwischenwelt, mal auch ganz komödiantisch-diesseitig atemberaubend verkörpert. Ein Höhepunkt ist die Verführungsszene der Antonia, die über die Stimme ihrer Mutter aus dem Jenseits zum todbringenden Singen animiert wird. Vom scheinbar besorgten Pulsfühlen - mit feinsten und unheimlichen Streicher-Rhythmen des Orchesters begleitet - beginnt eine mit bezwingender Konsequenz angelegte Steigerung bis zum letzten Atemzug Antonias. Dabei wird auch hier jede Dynamik des Überdrucks durch Lautstärke oder Tempo vermieden. Auch hier wachsen Sängerpersönlichkeit und feinster Orchesterklang zu einem wunderbaren Klangbild zusammen.
Angela Brower wird der Rolle der Muse und des Freundes Nicklausse glänzend gerecht. Sie vermag bei ihrem Debut in Hamburg die Wanderung zwischen Freund und Muse in all den erforderlichen Schattierungen stimmlich und darstellerisch anrührend zu verkörpern.
Gideon Poppe spielt und singt die verschiedenen, äußerlich komischen, aber nicht minder skurril-abgründigen Dienerpartien, die auf ihre Weise immer auch Türöffner zu einer unbestimmten zweiten Ebene der Realität verkörpern, mit exakt der notwendigen Hintergründigkeit dieser Rollenkonzepte.
Kristina Stanek als Vorbild der Sängerin Antonia verströmt die verführerische Aura des mütterlich-todbringenden Über-Ichs in perfekter Weise.
Der in starker Personenzahl Corona-bedingt auch auf den Logen postierte Chor der Staatsoper Hamburg verstärkt den sinnlich-filigranen Klangeffekt im Raum. Er ist diesmal trotz der schwierigen räumlich-distanzierten Aufstellung von Eberhard Friedrich bestens auf die intrikate Aufgabenstellung vorbereitet.
Generalmusikdirektor Kent Nagano nimmt das Philharmonische Staatsorchester Hamburg sehr zurück, vermeidet allen Überdruck und gelingt eine ausgesprochen große Durchhörbarkeit bei den Holzbläsern. Zusammen mit den Sängern erlebt man wiederholt Klangerlebnisse und gesanglich-musikalische Ausprägungen, die man so noch nicht gehört hat.
Großer Applaus des noch immer ausgedünnten Publikums nach einem fast vierstündigen Opernerlebnis der Sonderklasse.
Achim Dombrowski
Copyright: Monika Rittershaus
07. September 2021 | Drucken
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