Höllenfahrt der Liebenden

Xl_20458_cosi_ks_273 © Monika Rittershaus

Cosi fan tutte

Wolfgang Amadeus Mozart

Komische Oper Berlin

Premiere 11.03.2023

Die Komische Oper Berlin hat sich die drei Mozart-da Ponte Opern Le Nozze di Figaro, Don Giovanni und Cosi fan tutte als Zyklus vorgenommen und Kirill Serebrennikov für die Umsetzung gewonnen. Nachdem Cosi fan tutte bereits in Zürich 2018 unter den erschwerten Bedingungen eine long-distance-Regie herauskam, als der Regisseur noch in Moskau unter fadenscheinigen Betrugsvorwürfen im Hausarrest festsaß, erfolgte jetzt die erste Umsetzung unter seinem Beisein. Figaro und Don Giovanni werden in den kommenden Spielzeiten folgen.   

In der 1790 uraufgeführten Cosi fan tutte, wetten zwei junge Offiziere mit dem ihrem Kumpel Alfonso um die Treue ihrer Geliebten. In einem inszenierten Verkleidungsspiel versuchen die beiden jungen Männer, die Frauen des jeweils anderen ‚rumzukriegen‘ und für sich zu gewinnen. Es kommt, wie es kommen musste und „wie es alle machen“: Die Frauen erliegen dem Werben. Zur Rede gestellt, ordnen sich die Paare wieder in der ursprünglichen Konstellation. Ein Gefühl der Verunsicherung wird auf immer bleiben. 

Serebrennikov und sein Team zeigen die Handlung ganz im Hier und Heute. Das Bühnenbild ist in zwei Ebenen geteilt. Die Männer sind in der Eingangsszene mit ihrem Krafttraining aktiv, während die Frauen bei Yoga-Übungen und Cardio-Training zu beobachten sind. Trotz der räumlichen Trennung ist man sich durch wiederholt übersandte Instagramm-Fotos scheinbar nahe.

Die kühle, sezierende Sichtbeton-Architektur wandelt sich fast unmerklich vom Fitness-Center in Wohnräume und Schlafzimmer. Die Szene wird durch die sublime und psychologisch-raffinierte Videokunst von Ilya Shagalov begleitet. Das Bühnengeschehen wird mitunter durch Aufnahmen aus einem anderen Blickwinkel gespiegelt wiedergegeben. Die verzerrten, sich auflösenden Gesichter der Liebenden dominieren wiederholt im Hintergrund die Bühne, ebenso wie scheinbare Bildstörungen und optische Aussetzer.   

Der plötzliche, fingierte Aufbruch in den Krieg – bei dem den Paaren nicht einmal mehr ein Quickie zum Abschied gelingt - wird von der Übergabe zweier Urnen als Sinnbildern des möglichen Todes der beiden Männer begleitet. Dieses Element der Todesberührung markiert zugleich die Ingangsetzung der psychologischen Ausnahmesituationen, in denen sich die jungen Paare von nun an befinden.

Als ob das noch nicht genug ist, werden männliche Models und Bodybuilder als Avatare zur physischen Verführung der Frauen in Gang gesetzt, denen sie schließlich auch sexuell unterliegen. Die hinzuerfundenen Figuren Sempronio und Tizio werden von den professionellen handsome men Goran Jurenec und Amer El-Erwadi mit Gusto und gelungener Ironie verkörpert. 

Die jungen Liebhaber sind mit diesen Kunstfiguren immer auch gleichzeitig auf der Bühne, werden jedoch von den Frauen physisch nicht wahrgenommen. Das heißt ganz und gar nicht, dass sie abwesend wären. In ihrem Unterbewusstsein, oder möglicherweise auch in ihren Gedanken, Sehnsüchten und Wünschen erscheinen die Frauen ihnen dennoch ganz nah zu sein. Für Serebrennikov sind in diesem Sinne die Arien in der Musik Mozarts immer auch Dialoge des Unterbewussten.  

Noch schlimmer ergeht es den Männern im zweiten Teil der Oper. Sie werden Opfer ihres leichtsinnigen Spiels. Noch nie hat man sie so entsetzt, verletzt, nachdenklich und wohl auch mit Reue gesehen. Selber Schuld könnte man sagen. Die Männer scheinen den Frauen hinsichtlich der sexuellen Verführbarkeit aber gar keine Vorwürfe zu machen. Womöglich weil sie wissen, dass es ihnen nicht anders ergangen wäre, sie also gar nichts anders gemacht hätten - weil es alle so tun? – Cosi fan tutti ? So wären die jungen Frauen und Männer also archetypische Opfer ihres eigenen Eros.  

Eine zweite musikalische Todesberührung folgt im wütenden Ausbruch der Liebhaber nach ihrer scheinbaren Rückkehr aus dem Krieg, wenn sie ihre Frauen bei der Hochzeit mit den Verführer-Avataren erwischen. Mt der Einspielung einiger musikalischer Takte aus der Friedhof-Szene des Don Giovanni postulieren sie grotesk-ironisch und verzweifelt allgemein-gültige Moraleinforderungen, unter Androhung der Höllenfahrt gewissermaßen, jedoch nicht ohne auch einen Hauch des Jenseits in den mächtigen Schlägen dieser Musik Mozarts.

Ein wesentlicher Motor für die Inszenierung und ein ewiges Geheimnis Serebrennikovs ist ein unvergleichlicher Sinn und die stets stupende Umsetzung seines Bühnen-Timings in allen Situationen.

Das junge Sänger-Ensemble ist durchweg grandios besetzt:  Nadja Mchantaf als Fiordiligi meistert die Anforderungen des mörderischen Sopranparts nicht nur durch ihre glanzvolle Gestaltung der großen Arien, sondern auch durch ergreifendes Spiel all ihrer Zweifel, Ängste und Wiederstände. Susan Zarrabi ist eine ebenso glutvolle Darstellerin ihrer Schwester Dorabella. 

Der Guglielmo des Polen Hubert Zapiór bringt darstellerische Erfahrung einer ebenfalls besonders kreativen Bühnenumsetzung des Werkes durch Martin G. Berger in Hannover mit. Er besticht durch unbändige Spielfreude und höchst sichere Führung seines beweglichen und schönen Baritons. Dem Ferrando gibt der junge Caspar Singh mit formschöner und verletzlicher Tenorstimme Ausdruck und Tiefe.    

Die Kammerzofe Despina wird von Alma Sadé  gesungen. In ihren furios gestalteten Arien reißt sie jeweils eine Leinwand herunter, um zu berühmten Video-Szenen des Frauenkampfes ihren Überzeugungen Ausdruck zu verleihen.    

Don Alfonso wird vom unverwüstlichen Günter Papendell gegeben. Er ist kaum älter als seine beiden so jugendlichen Freunde, nur einen Schritt näher an den Tröstungen des Alkohols, nachdem schon zu Bginn in einem projizierten WhatsApp-Austausch deutlich wird, dass ihn eine Frau (wieder einmal -?) verlassen hat. 

Die Chorsolisten der Komischen Oper unter der Leitung von Jean-Christophe Charron haben sichtlich Spaß an ihren Aufgaben; das Orchester der Komischen Oper spielt unter Katharina Müllner. Sie hat erst zwei Wochen vor der Premiere übernommen. Ihr straffer, frischer und grundsätzlich elastischer Musizierstil kann einige Wackler zwischen den Ebenen von Bühne und Graben nicht verheimlichen. Vielleicht kann die Komplexität des Orchesterspiels über die folgenden Aufführungen noch differenzierter an die vielschichtige Imaginationskraft der Bühne herangeführt werden.        

Langer Beifall für alle Beteiligten. Ein einzelner Buhrufer beim Regisseur ließ sich seinen wiederholten Auftritt nicht nehmen.  

Achim Dombrowski

Copyright: Monika Rittershaus

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