In Hamburg ist Turandot nicht zu trauen

Xl_a587f05b-3492-4dcc-bc89-8b6cdbca721e © Hans Jörg Michel

TURANDOT
(Giacomo Puccini)
Premiere am 13.03.2022

Staatsoper Hamburg

Der Regisseurin Yona Kim und ihrem Team gelingt in Hamburg eine beklemmende und historisch kompetente Neuinterpretation von Puccinis Spätwerk Turandot.

Für Turandot hat die Hamburger Oper eine glückliche Hand. Schon mit der vorangegangenen Inszenierung von Giancarlo del Monaco im Jahre 1983 gelang eine hoch-interessante, wenn auch zunächst nicht unumstrittene, Umsetzung der letzten Oper Puccinis. Die Inszenierung wurde immerhin bis 2012 noch gespielt. 

Die Regisseurin der Neuproduktion Yona Kim hat am selben Haus bereits Benjamin von Peter Ruzicka in 2018 und Bellinis Norma 2020 erfolgreich zur Aufführung gebracht. 

In der alten Sage auf der Basis einer Vorlage von Carlo Gozzi und dem Libretto von Giuseppe Adami und Renato Simoni bewerben sich verschiedene Freier um die Prinzessin Turandot. Diese ist durch das Schicksal ihrer vor Jahrhunderten misshandelten und umgebrachten Ahnfrau traumatisiert und hat durch die jahrhundert-alte Zeremonie dreier Rätsel, die ihre Heitrats-Kandidaten lösen müssen, noch jeden Freier aufs Schafott gebracht. Calaf jedoch kann die drei Rätsel lösen und Turandot – scheinbar oder wirklich? – gewinnen. Die Calaf liebende Liu kommt von ihm fast unbeachtet ums Leben.   

Kim erzählt zunächst eine Geschichte vom Stillstand einer alten Traditionen, in der der alte Kaiser und Vater Turandots uralt und gebrechlich auf seinen Tod wartet. Er kann seine Macht im Amte nicht mehr ausüben. Das Volk von Peking besteht ausschließlich aus Hofschranzen im Frack. Die Kostüme von Falk Bauer sind durchgehend dunkel gehalten, auch die weiß-schwarz kontrastierende Lichtregie von Reinhard Traub fügt sich hier ein. Ein dunkler Mond steht als geheimnisvolles Sinnbild und Rätsel des Weiblichen. Aus der Fäulnis dieser Ausgangslage muss sich alles entwickeln, oder zerfallen...

Das Werk gliedert sich musikalisch in zwei Teile. Bis zum Tod Lius – und dabei konkret mit dem Begriff poesia– hat Puccini selbst komponiert. Diese Zäsur bedeutet das Ende einer Epoche der italienischen und europäischen Operngeschichte. Den Teil der Vereinigung des hohen Paares vollendete nach dem Tod des Komponisten Franco Alfano. In der Aufführung wird die Schnittstelle optisch durch eine stille Pause und Bilder des aufgebahrten Puccini pointiert. 

Zur bombastischen Finalmusik Alfanos wird kontrapunktisch die unerwartete Ermordung Kalafs durch Turandot gezeigt. Der Welt ist nicht mehr zu trauen. Die Szene wird wiederholt mit Videoeinspielungen von Philip Bußmann mit der massenhaft marschierenden Jugendorganisation der Schwarzhemden von Mussolini unterlegt. Die Hofschranzen habe ihre schwarzen Fräcke unmerklich in schwarze Uniformen getauscht. Eine neue völkische Gesellschaft versinkt in Massenhypnose und taumelt zu den hymnisch-hohlen Schlussakkorden von Alfanos Musik schnurstracks in die noch dunkleren Zeiten des Faschismus. Die Uraufführung der Oper am 25. April 1926 ereignet sich annähernd zeitgleich in den Jahren der Machtergreifung durch Mussolini. Eine überzeugende Engführung des Werkcharakters mit den beklemmenden historischen Ereignissen der Zeit!     

Die Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner Christian Schmidt erweist sich dabei als sinnstiftend. Schmidt realisiert im hinteren Teil der Bühne ein Passepartout-Format mit rasch-beweglichen Trennvorhängen, auch aus Gaze, wie die Schiebetüren asiatischer Häuser. Diese Technik erlaubt einen raschen, geräuschlosen Bildwechsel, der durch eine photographische Bildwirkung besticht, z.B. bei der erhängten Lo-u-ling, Ahnfrau der Turandot. Die 20er Jahre Art Deco Architektur für die übergroßen und hohlen Innenräume des Palastes werden in immer neuen Konfigurationen auf der verschiebbaren Bühne sichtbar, eine Architektur der Verlorenheit und Gewalt. 

Überzeugend sind die  sparsamen, oft nur gestisch gehaltenen Szenen, auch individuellen Portraits, wie das des alten Kaisers. Die Personenführung für Chor und Solisten in Interaktion ist seltsam starr und traditionell. 

Der Calaf  von Gregory Kunde, der hier sein Hausdebut gibt, berauscht durch sein stählernes und sicher beherrschtes Timbre. Die Turandot von Anna Smirnova ist eine imposante Erscheinung. Die stimmlich gewaltige Durchschlagskraft ist furchterregend. Dazu im Gegensatz die Liu von Guanqun Yu. Sie präsentiert jedoch nicht einen wie sonst oft dargebotenen über-süßlichen Gesang, sondern bleibt in aller Feinheit stimmlich kontrolliert und daher glaubwürdig.  Ihr Vater Timur wird von Liang Li bewegend interpretiert. 

Eindrucksvoll die wirkmächtige Charakterstudie des alten Kaisers Altoum von Jürgen Sacher. Eine wissende männliche Ohnmacht angesichts des bevorstehenden Untergang vor dem Hintergrund des schwarzen Mondes. Von dieser zentralen Stelle an ist die Sogwirkung in den Abgrund nicht mehr zu stoppen, obwohl es noch dauert bis man diese Schlüssigkeit erkennen kann.  

Das Ensemble wird überzeugend abgerundet mit den drei Ministern Ping, Pang, Pong von Roberto de Candia, Daniel Kluge und Seungwoo Simon Yang. Ebenfalls durchdringend und stimmsicher Chao Deng als Un Mandarino.  

Der Chor der Staatsoper Hamburg unter Eberhard Friedrich sowie der Kinder und Jugendchor Alsterspatzen unter der Leitung von Luiz de Godoy singen äußerst engagiert und mit Begeisterung – ein ganz wesentlicher Beitrag zum Gelingen des Abends.   

Das Philharmonische Staatsorchester ist unter der Leitung von Giacomo Sagripanti nicht wiederzuerkennen. Nervös-federnd, dabei rhythmisch-straff – ganz im traditionell italienischen Orchester- und Dirigierstil – bleibt die Spannung den ganzen Abend unbeirrbar auf höchstem Niveau. Dabei kann das Orchester-Kollektiv auch mächtig auftrumpfen, um sich – vor allem zu Beginn – Autorität zu verschaffen. Gleichwohl werden die Sänger und auch die Chöre einfühlsam getragen.   

Großer Applaus wie in Hamburg nur selten. 

Achim Dombrowski

Copyright: Hans Jörg Michel

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