In Hannover trifft Elton John auf die Biedermeier-Oper

Xl_a9789786-ae36-42e2-83ae-40a4af50e283 © Sandra Then

Der Vampyr

Heinrich Marschner

Premiere am 25. März 2022

Staatsoper Hannover

Die Oper Hannover rückt mutig dem biedermeierlich-romantischen Vampyr  von Marschner zu Leibe – leider nur mit mäßigem Erfolg 

Der Komponist Heinrich Marschner hat lange Jahre in Hannover gewirkt. Grund genug, ihn hier zu würdigen. Seine drei bekanntesten Opern Der VampyrDer Templer und die Jüdin sowie Hans Heiling kamen allerdings in Leipzig und Berlin zur Uraufführung. Mit dem Vampyr  1828 galt der Komponist als einer der wichtigsten Vertreter der Zeit. Das kann man heute nur schwer nachvollziehen. Sicherlich erkennt der aufmerksame Zuhörer viele Klangfarben, die man auch bei Weber und – später – Wagner wiedererkennt. Diese Elemente wurden aber letztlich von den genannten Komponisten in ganz andere künstlerische Dimensionen gehoben. 

Der Vampyr  wurzelt in der deutschen Spieloper mit gesprochenen Texten. Das Libretto von Wilhelm August Wohlbrück wirkt heute veraltet und umständlich. Die musikalische Dynamik ist schwerfällig. Das Werk verarbeitet viele Elemente der Musik von Carl Maria von Weber, insbesondere des Freischütz und Euryanthe. Auch für Richard Wagner war die Oper wichtige Anregung diverser musikalischer Einfälle in seinem Der Fliegende Holländer. Das alles kann man auch gut heraushören, reicht aber heute nicht für sich allein und automatisch für einen spannenden Opernabend.

Der Regisseur Ersan Mondtag unter Mitarbeit von Simon Lesemann geht daher zupackend ans Werk und kürzt einerseits sowie ergänzt andererseits nicht wenige Inhalte. Es treten drei zusätzliche Schauspieler auf. Mit der Figur des Lord Byron wird Bezug genommen auf dessen Treffen mit Freunden am Genfer See. Dort erspinnt die Gruppe unter reichlich Alkohol- und Rauschmittelzutaten Vampyr-Geschichten und ähnliche Phantasien. Auch die literarische Figur von Frankenstein wird hier zum ersten Mal kreiert. Die Freunde steigern sich unter Alkohol und Drogen in immer exzessivere und Trauma-beladene Horrorsituationen. Aus dieser Gruppe findet Lord Byron findet direkt in die Hannoveraner Inszenierung von Marschners Der Vampyr und wird von Benny Claessens als tuntig-krasse, bunt kostümierte Elton John Figur gegeben. 

Weiterhin treten die Vampyrmeisterin Astarte – verkörpert von Oana Solomon  und der ewige Jude Ahasver – gespielt von Jonas Grundner Culeman, der auch schon bei Mondtags vor wenigen Wochen in Berlin herausgebrachter Antikrist-Inszenierung mitwirkt – auf. Sie bewegen sich wie in Zwischenwelten, in denen sie einerseits innerhalb der Handlung agieren, anderseits aber auch eine übergeordnete Kommentarfunktion einnehmen.  

Das Konzept der Inszenierung bezieht sich auf zwei externe Bezugspunkte, die sich aus der unterbewussten Abarbeitung von verdrängten, schuldhaften Thematiken ableiten. Zum einen generell die Eigenarten und Gefahren des Außenseitertums, bzw. speziell des Judentums in Deutschland. Der andere Orientierungspunkt sind die Gefahren des eher neuzeitlichen, vampirhaften Aussaugens der Natur durch die kapitalistische Ausbeutung natürlicher Ressourcen wie Erdöl. Davenaut tritt folgerichtig als ein schwarzer Ölscheich auf.  

Auch optisch auf der Bühne von Ersan Mondtag herrscht keine Zurückhaltung: im ersten Teil dominiert die Darstellung der zerstörten Neue Synagogen in Hannover die Szene , und die ölige-krass-bunten Kostüme des Chores von Josa Marx steigern diese Wirkung noch nachhaltig. Eine solche frische und unverkrampfte Herangehensweise garantiert jedoch noch nicht automatisch eine erfolgreiche Umsetzung. Die traumatisch-beladenen Knalleffekte verblüffen und machen nachdenklich, veranlassen den Zuschauer im ersten Teil auch wiederholt zum spontanen Lachen. 

Wenn allerdings im zweiten Akt mit einer Spieldauer von nochmals deutlich über einer Stunde dieselben Elemente erscheinen, hängen die Effekte in ihrer teilweise kindlich-albernen Geste und Kostümierung durch: die deutschen Original-Opern-Texte bleiben bleiern, die Musik – gelinde gesagt – wenig dynamisch. Das optische Instrumentarium hat sich schnell verbraucht. Viel zu lang zum Beispiel die kontrapunktisch-komisch Trinkerszene. Womöglich hätte man die Originalvorlage noch stärker kürzen müssen, um bei einem kurzen und knackigen Einakter zu landen. So viel wertvolle Musik wäre nicht gestrichen worden. Man mag einwenden, dass man dann allerdings das Opus gar nicht richtig zu Gehör gebracht hätte. So blieb es bei dem ehrenvollen Versuch, das Werk zur Diskussion zu stellen, wenn auch mit inhaltlich geringem Erfolg. 

Man soll jedoch nicht meinen, dass die begrenzt ausdrucksstarken Partien leicht zu singen sind: Ein nicht kleiner Teil des Hannoveraner Ensembles und des Opernstudios kam wirkungsvoll und treffsicher zum Einsatz. 

Bei den Damen überzeugen die  Malwina von Mercedes Arcuri, die Janthe von Petra Radulovic und Emmy von Nikki Treurniet

Im Männerensemble agieren allen voran der arme Vampir von Michael Kupfer-Radecky, der Davenaut des erfahrenen Shavleg Armasi, Aubrey von Norman Reinhardt und Berkley von Daniel Eggert.        

Die vier Trinker von Pawel Brozek, Peter O’Reilly, Darmin Prakash und Markus Suihkonen sowie die Frau Suse eines der Kumpanen von Weronika Rabek erlauben nicht weniger als drei Mitgliedern des Opernstudios einen Auftritt, in dem die Männer in weit ausschwingenden Frauenkleidern mit viel Spielfreude ihrem Affen reichlich Zucker geben dürfen.  

Der Chor der Staatsoper Hannover unter der Leitung von Lorenzo Da Rio macht seine Sache gut und bleibt auch in seiner unermüdlichen Spielfreude ganz unverdrossen. 

Das Niedersächsische Staatsorchester Hannover unter seinem vielbeschäftigten Chefdirigenten Stephan Zilias weiß den interessanten Nuancen des Klangorbits Marschners - mit viel Sorgfalt nachzuspüren.   

Viel fröhlich-johlender Applaus, einige wenige Buhrufe für das Regierteam.

Achim Dombrowski

Copyright: Sandra Then

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