Komische Oper Berlin - Die Nase läuft...

Xl_kob_dienase_4402__c_ikofreese_drama_berlin.de © Iko Freese / drama-berlin.de

Die Komische Oper Berlin bringt nun Schostakowitschs‘ Die Nase auf die Bretter im heimischen Haus in Berlin, nachdem die Koproduktion mit dem Royal Opera House Covent Garden, der Opera Australia und dem Teatro Real bereits in London und Sydney zu sehen war.

Regisseur und Hausherr Barrie Kosky kreierte eine für ihn nicht untypische Mischung zwischen Revue und tragischer Opernform. Dazu gehört die fast schon obligate Männertanzgruppe auf Stöckelschuhen sowie die steppenden Nasen, die außerordentlich wirkungsvolle Einlagen liefern.

Die Rastlosigkeit und Geschwindigkeit des doppelbödigen Stücks wird mit höchst wirkungsvoller Dynamik umgesetzt, so dass ein Zuschauer auch heute noch in den Schrecken des eitlen und verwirrten Kollegienassessors Platon Kusmitsch Kowaljow versetzt wird, der nach dem Verlust seiner Nase durch die lächerlich-gefährlichen Untiefen der ihn umgebenden Gesellschaft von Beamten, Soldaten, heiratslüsternen Mütter gehetzt wird, bis er am Ende der Jagd ebenso unerwartet und unbegründet wie zuvor die Nase wieder im Gesicht hat, hoffentlich auf immer... 

Schostakowitsch schuf das Werk als 22jähriger Komponist in der Zeit der künstlerischen Experimentierfreude im nach-revolutionären Russland. Es kam 1927 in Leningrad zur Uraufführung und verwendet eine Reihe von Elementen, die auch Berg im Wozzeck einsetzt, den Schostakowitsch mit großer Bewunderung gesehen hatte. Dazu gehören der Einsatz von Trivialmusiken wie Polka, Galopp, oder Romanze und Techniken des seinerzeit neuen Mediums Film.       

Das Bühnenbild und Licht von Klaus Grünberg umgibt den gesamten Bühnenraum am vorderen Rahmen mit einer Linse, die sich im Laufe der Handlung immer wieder neu adjustiert. Ansonsten kommt die Darstellung neben einem großen Podest mit wenigen, meist fahrbaren Utensilien aus. Die Kostüme von Buki Schiff decken eine außerordentliche Bandbreite von Farben und Funktionen in der Weite der russischen Gesellschaft ab. In all der Farbenfreude erscheint die Vielfalt so groß, aber auch so unbeherrschbar zu sein. 

Die fehlende Nase Kowaljows wird durch die übergroßen Organe bei praktischen allen anderen Beteiligten kontrastiert, was der Surrealität besonderen Nachdruck verleiht. Das Tempo der Aufführung ist gewaltig. Durch einen Zwischenvorhang, vor welchem  während der Umbauten einfach weitergespielt wird, gibt es praktische keine Unterbrechungen. Steppeinlagen und satirische Sprachkommentare scheinen suggestiv das Tempo des Geschehens noch weiter zu steigern. Die Choreographie für die Tanzgruppe von elf Männern verantwortet Otto Pichler mit treffsicherem Timing und wirbelnder Geschwindigkeit. Die Perfektion der Umsetzung versetzt auch heute einen Zuschauer in eine Faszination, die das Werk zu seiner Entstehungszeit auf die Zeitgenossen ausgeübt haben mag.  

Inmitten all dieses Trubels brilliert Günter Papendell als Kowaljow. All seine Verlust- und Kastrationsängste, sein immer wieder aufbegehrendes Minderwertigkeitsgefühl und seine Paranoia geben ein eindrucksvolles Charakterbild der Figur, die den Zuschauer trotz seines spießigen Charakters mitleidvoll auf seine Seite treibt: Niemand um ihn herum vermag sich wirklich für seine Person und seine Einsamkeit zu interessieren. Das wird auch so bleiben. Am Ende verbleibt trotz allen Lachens das Gefühl einer schäbigen Welt, in der jeder einzeln und allein um die anderen und sich selber kreist. 

Papendell vermag diesen ambivalenten Ausdruck vorzüglich zu vertreten. Bei allen perfekt gemeisterten hohen Anforderungen der Gesangspartie lacht, weint, hetzt er durch die Handlung wie ein Getriebener, dem um die nächste Ecke der nächste Schock bevorstehen wird. Der Künstler ist heute einer der wenigen, großartigen Beispiele, wie sich eine Sängerpersönlichkeit in einem Heimathaus, der Komischen Oper, beispielhaft von Partie zu Partie sängerisch und darstellerisch weiterentwickelt und aufblüht.      

Die Umsetzung des Werkes erfordert weitere 27 Solisten in insgesamt 77 Rollen. Hervorzuheben sind an dieser Stelle Jens Larsen als Iwan Jakowlewitsch/Leiter der Anzeigenredaktion und Arzt sowie Rosie Aldridge und Ursula von den Steinen in diversen Frauenrollen. Ohne die weiteren Darsteller im Einzelnen nennen zu können, beweist die Komischen Oper wieder einmal in beeindruckender Weise ihre Fähigkeit, mit einem eingeschworenen Ensemble anspruchsvollste Partituren und unterhaltsames Musiktheater auf höchstem Niveau umsetzen zu können. Dazu gehören auch und nicht zuletzt die von David Clavelius glänzend vorbereiteten Chorsolisten des Hauses und eine äußerst spielfreudige Komparserie.  

Durch vorangegangene Produktionen ist schon mehrfach deutlich geworden, dass das Orchester der Komischen Oper Berlin insbesondere Partituren aus slawischen Ländern besonders einfühlsam zum Klingen bringt. Der geborene Lette und designierte Generalmusikdirektor des Hauses, Ainārs Rubiķis, sammelte einen Teil seiner Erfahrungen in den Jahren 2012 bis 2014 als Musikdirektor und Chefdirigent des Staatlichen Akademischen Opern- und Ballett-Theaters Nowosibirsk. Ihm gelang mit den Musikern eine meisterhafte künstlerische Umsetzung. Möglicherweise gelingt der Abend in den nachfolgenden Aufführungen sogar noch etwas gelöster, ohne die Anspannung der Premiere.    

Die Komische Oper positioniert sich mit dieser wunderbaren Produktion wieder einmal als wichtiger Spieler der Berliner Opernszene und liefert zugleich noch einmal die Argumente, warum diese besondere Vielfalt im Musiktheater der Stadt erhalten bleiben muss, wenn eine solche Diskussion denn überhaupt geführt werden müsste.

Das Publikum jubelte und feiert allen voran Günter Papendell, das Ensemble sowie das Orchester mit seinem designierten Chef  mit lautem und nachhaltigem Applaus und vielen bravi.

Achim Dombrowski

Photo credit: Iko Freese / drama-berlin.de

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