Komische Oper Berlin: Intolleranza und Der Engel der Geschichte

Xl_1a2c24c9-3c56-4dc3-8064-e8f45b8d146b_1_201_a © Barbara Braun

Intolleranza

Azione Scenica

Luigi Nono

 

Komische Oper Berlin

Premiere 23.09.2022

Luigi Nonos erste Oper Intolleranza wurde 1961 in Venedig als Auftragswerk der Biennale Venedig uraufgeführt. 

Der Emigrante hat als Gastarbeiter im fremdem Land gearbeitet, er will in die Heimat zurück. Die Frau, die er in der Fremde ihm nahe war, verflucht ihn. Er begegnet einem Algerier und einem Gefolterten, sie sind Weg- und Leidensgefährten. Neue Hoffnung schöpft er mit der Gefährtin, sie gehen gemeinsam weiter. Der Fluss tritt über die Ufer und reißt alles fort. Es bleibt die Hoffnung auf die nachfolgenden Generationen.  

Der Komponist hatte Angelo Maria Ripellino mit dem Libretto beauftragt. Nono war nicht zufrieden und ergänzte die Vorlage mit Texten von u a Sartre , Brecht und Majakowski. Gesungen wird in Berlin in deutscher Sprache in der Übersetzung von Alfred Andersch, den Nono für die Übertragung selbst ausgesucht hat. 

Nono war geistig unabhängiger italienischer Kommunist in der Nachfolge Gramscis. Er bezieht sich wie in einem schmerzlichen Aufschrei auf reale Vorkommnisse in den 50er und 60er Jahren: einem Bergwergunglück in Belgien, Volksdemonstrationen in Italien gegen die neofaschistische Restauration, Gewalttaten der Franzosen im Algerienkrieg sowie Flutkatastrophen im Po-Delta. Es werden Bezüge zu SS-Foltermethoden und nationalsozialistischen Konzentrationslagern gezogen.  

Das Konzept auf der Suche nach Menschlichkeit stiftenden Kollektiven erinnert an das politische Theater der 60er oder 70er Jahre und wirkt heute im Zeitalter einer sich immer weiter steigernden Individualität in Teilen stilistisch überholt.   

In dieser Berliner Produktion von Marco Štorman werden nunmehr aber alle Sprechtexte sowie ein hinzugefügter Essay Es ist genug von Carolin Emcke von einer Schauspielerin gesprochen, die der Szene beiwohnt und die Geschehnisse kommentiert. Sie stellt den Engel der Geschichte dareiner der Szene hinzugefügte Figur in Anlehnung an Walter Benjamins Aufsatz Über den Begriff der Geschichte. 

Ilse Ritter in ihrer einzigartigen lakonisch-filigran-zerbrechlichen Art gibt diesen Engel, der letztlich durch die gesprochenen Reflektionen den gelungenen Brückenschlag in die Jetztzeit bewirkt. Thematiken von Gewalt, Trauma, Gleichgültigkeit, Missachtung und Rassismus werden in scheinbar sachlichem Ton vorgestellt und in die szenische Aktion integriert. Tatsächlich transportiert der Text eine zunehmend empathische Kommentierung einer sich immerwährend wiederholenden Unmenschlichkeit, der Gewaltversehrtheit über Generationen.  

Die szenische Gestaltung von Márton Ágh ist ein Erlebnis eigener Art. Der Zuschauerraum wurde komplett umgestaltet und alternativ genutzt. Das Parkett ist komplett mit einer weißen Spiel-Platte überbaut, die Zuschauer sitzen auf einer großen Tribüne im Bühnenraum, den Seiten des Parketts sowie im ersten Rang. Der komplette Raum ist ausgeschlagen mit weißen Stoffelementen, die die Atmosphäre einer Eiszeit vermitteln. Die Zuschauer in unmittelbarer Nähe der Spielfläche tragen weiße Umhänge, um den Eindruck weiter zu steigern.    

Auch Benedikt von Peter in seiner bedeutenden Hannoveraner Produktion des Werkes 2010 hat die szenische Aktion in einer andersartigen Umgebung spielen lassen. Er ging noch einen Schritt weiter indem er sämtliche Zuschauer auf die Bühne geleitet hat und während des Spiels von den Mitgliedern des Chores und den Protagonisten durch die Handlung hat führen lassen. Das Orchester war unterhalb der Bühne positioniert, der Klang des großen Apparates erfasste alle Beteiligten von unten durch Gitterroste hindurch, auf denen man auf der Bühne wandelte. Die empathische Einbeziehung des Publikums war so nicht durch einen intellektuellen Rahmen eines Zusatztextes sichergestellt, sondern durch eine physische Integration in den Handlungsraum der Scena. Der Betrachter wurde sprichwörtlich vom Ensemble an die Hand genommen und von Szene zu Szene geführt. Allerdings konnten seinerzeit bei weitem nicht rund 800 Zuschauer je Aufführung dabei sein wie in diesem neuen Berliner Konzept.    

In Berlin ist ganz im Gegensatz dazu das Orchester im zweiten Rang positioniert. Die gerade auch durch viele Schlagzeug- und Rhythmus-Instrumente charakterisierte Besetzung des Orchesters der Komischen Oper unter Gabriel Feltz kommt in all ihrer Gewalt und dem Ausblick auf eine unbestimmte Hoffnung und Vision wie vom Himmel auf den Zuhörer hinab.    

Großartig das Sängerensemble. Sean Panikkar als Emigrante hat bereits Rollenerfahrung. Er hat die Partie unter Ingo Metzmacher mit großem Erfolg bei den letztjährigen Salzburger Festspielen gesungen. Seine bewegende stimmliche Darstellung sowie ein Ausdruck in Haltung und Geste, der letztendlich immer durch eine Vision der Hoffnung auf eine andere Menschlichkeit getragen erscheinen, machen ihn zu einer Leitfigur mit großer Empathie.    

Seine Gefährtin Gloria Rehm überzeugt in einem eigenen, energischen Auftritt, der dem Paar starken Auftrieb verleiht. Deniz Uzun bildet den überzeugenden Kontrast als eine Frau.

Die Kostümbildnerin Sara Schwartz setzt hier auf Kontrast:  sie lässt eine Frau wie eine weiß gekleidete, bürgerliche Engelserscheinung, fast wie eine Freiheitsstaue erscheinen, ganz im Gegensatz zur schwarz gefiederten Gefährtin. Der Engel der Geschichte  tritt in klassisch-schwarzem Gewand auf.

Ein Algerier, gesungen von Tom Erik Lie und Tijl Faveyts als Ein Gefolterter geben eindrucksvolle Charakterstudien als Opfer der politischen Systeme und der Unterdrückung. Das Sopran-Solo gestaltet Josefine Mindus gänzlich überzeugend.

Der musikalische Kosmos Nonos ist charakterisiert durch freie Zwöftontechnik sowie Elemente der venezianischen Renaissance. Die Chorsolisten der Komischen Oper Berlin und Vocalconsort Berlin unter der Leitung von David Cavelius meistern die intrikate Verwobenheit ihres Stimmgeflechts in beeindruckender Meisterschaft.

Das Orchester der Komischen Oper Berlin unter Gabriel Feltz hat weder mit der Klangwelt Nonos noch der ungewöhnlichen Positionierung unter dem Dach des Hauses ein Problem. Ganz im Gegenteil gelingt ein starker Abend dieses musikalisch außerordentlichen Werkes.    

Langer Beifall für alle Beteiligten.  

 

Achim Dombrowski

 

Copyright: Barbara Braun

| Drucken

Kommentare

Loading