MADAMA BUTTERFLY
(Giacomo Puccini)
(Premiere am 28. August 2021)
Theater Kiel
Die Oper Kiel eröffnet die neue Spielzeit mit einem überfrachteten Regiekonzept zu Madama Butterfly.
Ein amerikanischer Marine-Lieutenant kauft sich zum Spaß bei einem Landurlaub in Nagasaki eine Geisha – Madama Butterfly. Er heiratet die Frau und verlässt sie nach kurzer Zeit wieder. Butterfly – die ein Kind von ihm zur Welt gebracht hat - gibt die Hoffnung auf seine Rückkehr drei Jahre lang nicht auf. Als er tatsächlich wieder erscheint, will er sein Kind alleine mit nach Amerika nehmen. Butterfly begeht Selbstmord.
Die 1904 uraufgeführte Oper von Puccini hat insbesondere hinsichtlich der vom Komponisten auch in diesem Werk – wie bei La Boheme, Tosca und später auch bei Turandot - verfolgten musikalischen Analyse und Darstellung von leidenden Frauenseelen Beachtung gefunden und vielfach Diskussionen ausgelöst.
Das Werk könnte heute allerdings auch im Sinne eines kritischen Nachvollzug einer kolonialen oder rassistischen Perspektive Interesse begründen.
Dem Regisseur Joachim Rathke schwebt jedoch noch ganz Anderes vor. Die Handlung ist durch Nebenstränge ergänzt. Sie zeigt in der Sängerin der Titelpartie eine Diva, die mit Zweifeln zu kämpfen hat, deren Kräfte zu schwinden beginnen, und bei der die Gewissheit wächst, dass sie den Höhepunkt ihrer Karriere überschritten hat. Sie ist im Opernhaus von den Geistern ihrer Vorgängerin sowie potentiellen jüngeren Konkurrentinnen umgeben.
Kammerschauspielerin Almuth Schmidt verkörpert die stumme Rolle der Madame Chrysantheme, gewissermaßen eine literarische Leidensgenossin der Geisha, bzw. die Vorgängerin der Sängerin der Titelpartie, die nunmehr in hohem Alter alle Stadien der Sängerinnenlaufbahn durchschritten hat, bzw. in der Nebenhandlung als Souffleuse die Vorstellung und ihr eigenes Erleben noch einmal intensiv durchlebt.
Das Bühnenbild von Claudia Spielman, die auch die Kostüme verantwortet, ist durch eine über den abgedeckten Orchestergraben und weit in den Zuschauerraum ragende Spielfläche gekennzeichnet, auf welcher sich die Handlung der Oper – teilweise wie in einer live-Aufführung, teilweise wie in einer Probe – entwickelt, und um diese herum sich auch die Szenenfolgen der Neben- oder back-stage-Handlung abspielen. Dazu ist der zigaretten-rauchende Regisseur zu sehen, Bühnentechniker, ebenso wie eine Garderobiere. Die verschiedenen Handlungsebenen wechseln mitunter rasch und unvermittelt. Es sind andeutungsweise vier Sängerinnen-Generationen zu erleben, die der Diva und Personifizierung der Titelpartie vorausgegangen sind oder potentiell nachfolgen werden. Das ist visuell soweit schlüssig umgesetzt.
Allerdings ist die Nebenhandlung in den 50er Jahren angesiedelt, mit einer aus heutiger Sicht stilistisch stark überzogenen Darstellungsart durch die Sängerin der Titelpartie, bis hin zu einer Dramatik, die an Stummfilme erinnert. Dieser Ansatz verhält sich konträr zu den empfindsamen Phasen von Leid, nicht enden-wollender Hoffnung, Verzweiflung und Tod, die die verlassene Protagonistin in der Oper durchleidet und denen die Musik Puccinis nachfühlt. Warum eine Primadonna mit ihren Verlust- und Abschiedsängsten Aufschluss über das Erleben und die Psyche einer leidenden Frau in einem anderen Kulturkreis geben soll, ist und bleibt rätselhaft, wäre doch gerade die (Nicht-)Begegnung der divergierenden kulturellen Sphären ein Hauptthema des Werkes.
Die Brechung der äußeren Handlung bei Puccini konnte an anderer Stelle ja sogar schon einmal überzeugen. So hatte Christophe Honoré in Aix-en-Provence die Thematik der alternden italienischen Operndiva mit ironisierender Distanz in einer Tosca-Produktion zur Diskussion gestellt. Er konnte daran anknüpfen, dass Tosca selbst in der Handlung der Oper eine Sängerin ist und durchaus Züge von Ironie und Humor in sich trägt. Das Thema Neid und Streit unter Sängerkonkurrentinnen hat schließlich Christof Loy schon in einer ungewöhnlichen Interpretation der Frau ohne Schatten in Salzburg aufgegriffen. In beiden Fällen stand die Umsetzung jedoch der eigentlichen inhaltlichen Idee der Oper nicht im Wege, bzw. schuf in sinnhafter Form eine neue Perspektive. Auf eine zeitkritische Perspektive aus kolonialer Sicht gar müssen wir erst recht noch warten, wenn sich denn die Madama Butterfly einer solchen Realisierung auf der Bühne überhaupt öffnen sollte.
Agnieszka Hauzer kann in Kiel in der Titelrolle erneut einen großen Publikumserfolg feiern. Die Darstellung gelingt mit einer fein abgestuften gesanglichen Anlage der großen Rolle, wobei die Sängerin sehr klug den Kräfteeinsatz ihrer überzeugenden stimmlichen Ressourcen gliedert. Die Steigerungen im zweiten und dritten Akt werden souverän gemeistert. Die Darstellung bleibt anrührend, selbst wenn sie durch die überzogenen Gesten der Diva als alternder Sängerin sehr stark konterkariert werden.
Mergen Sandanov hat als amerikanischer Marine-Soldat Pinkerton die tenorale Strahlkraft für der Partie, gelegentlich wirken die forte-Aufschwünge stimmlich etwas pauschal und könnten eine differenziertere, abgestuftere Stimmführung aufweisen.
Die Suzuki der Maria Gulik ist Butterflys Dienerin und jüngere Sänger-Konkurrentin in der Nebenhandlung. Der geschickte Einsatz ihrer darstellerischen und stimmlichen Möglichkeiten lassen aufhorchen, gerne würde man die junge Künstlerin in einer größeren Aufgabe erleben.
Die weiteren sängerischen Leistungen bewegen sich auf unterschiedlichem Niveau.
Das Philharmonische Orchester Kiel unter der engagierten Leitung von Daniel Carlberg ist aufgrund des für die Szene abgedeckten Orchestergrabens sichtbar auf der Hinterbühne positioniert. Die Musiker spüren den Klangkomponenten der Partitur mit viel Differenziertheit nach und vermeiden vor allem im zweiten Teil des Abends alle lautstarken Übertreibungen, die bei den dramatischen Zuspitzungen der Handlung die Stimmen der Solisten überdecken könnten.
Das Publikum im ausverkauften, und unter Corona-Bedingungen dennoch mäßig besetzten Haus folgt den Handlungsebenen der Erzählung mit Spannung und spendet anhaltenden Applaus für alle Beteiligten.
Achim Dombrowski
Copyright: Olaf Struck
01. September 2021 | Drucken
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