Missbrauch einer zweifelhaften Gnade

Xl_la_clemence_de_titus_c_caroleparodi_07 © Carole Parode

LA CLEMENZA DI TITO
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Livestream der Premiere am 19.02.2021

Grand Théâtre de Genève

Wieder eine in Corona-Zeiten gerettete Produktion, zumindest per LiveStream. MozartLa Clemenza di Tito, mit dem sich die Theaterpraxis seit der Uraufführung 1791 so schwer tut. Das Werk in der späten Schaffensphase des Komponisten bedeutet einen rätselhaften Rückschritt in die Welt der Opera Seria, die in historisierender Manier überwiegend Arie an Arie reiht und in ganzen Seccorezitativ-Fluten versinkt, die nicht einmal Mozart selbst komponiert hat. Eine königliche Huldigungsoper, die nicht einmal den Auftraggebern so recht gefiel und die nach der Erstürmung des Gipfels der Ensemblekunst in den da Ponte Opern Figaro, Don Giovanni und Cosi fan tutte eigentümlich starr wirkt. Immer wieder hat man die Musik zu retten versucht und sinnstiftende Umsetzungen angestrebt.    

Mit diesem Werk ausgerechnet kündigte mit großer Öffentlichkeitswirksamkeit das Grand Théâtre de Genève die erste Opernproduktion des vieldiskutierten Schweizer Theatermannes Milo Rau an. Die Erwartungen waren hoch. Die Ko-Produktion mit dem Theater an der Wien soll nach jetzigem Planungsstand im Mai in Wien gezeigt werden.  

Rau gehört heute zu den umstrittensten Theatermachern Europas. Er hat 2007 das International Institute of Poltical Murder gegründet, das multimediale Bearbeitungen historischer oder gesellschaftspolitischer Konflikte produziert und verwertet. Dazu gehören nicht zuletzt auch Raus eigene Inszenierungen etwa zum Tod Ceaucescus, ein Stück zum Völkermord in Ruanda, oder eine von Kindern gespielte Arbeit über den Kinderschänder Dutroux aus Begien. Rau ist Intendant des NT Gent und arbeitet auch an anderen europäischen Brennpunkten der herausfordernden Schauspielkunst, wie den Kammerspielen München.     

In der Vorberichterstattung wurde betont, dass Rau mit Geflüchteten und Behinderten, die in der Region Genf leben, arbeiten werde. 

Das allerdings hat es schon gegeben: Peter Sellars hat bei den Salzburger Festspielen 2017 (2018 dann beim Ko-Produzenten, der Oper in Amsterdam) mit dem Dirigenten  Teodor Currentzis diese Problematik bei ihrer Umsetzung von La Clemenza di Tito aufgegriffen und in einem Scheitern der kulturellen Begegnung zweier Welten verarbeitet.  

In der Hamburger Produktion von Verdis Nabucco (2019) arbeitete Kirill Serebrennikow mit Geflüchteten aus Syrien. Ihr Spiel, ihr Gesang und ihre eigene Musik wurden dabei erfolgreich integriert. Als zynischer Kontrast wurde der Umgang der Organisation der Vereinten Nationen mit ihrem Schicksal gezeigt. Serebrennikow war zur Zeit der Erarbeitung der Inszenierung selbst Opfer von Willkür und musste seine Beiträge aus Moskau im Hausarrest per long-distance Arbeit mit seinem Team in Hamburg koordinieren.   

Sellars und Serebrennikow war es wichtig, ganz erhebliche zeitliche und inhaltliche Neudeutungen der äußeren Handlung der Werke vorzunehmen, immer aber zugleich den Kern des Inhalts mit den Konflikten erkennbar zu machen. Der Zuschauer konnte die Zuspitzung der Konflikte klar nachvollziehen. 

Ganz anders Milo Rau. Er will Chaos im Theater zulassen und fühlt sich wesentlich weniger an die Strukturen der Oper oder geschlossene inhaltlich-dramaturgische Konzepte gebunden. Er arbeitet mit einem Höchstmaß an formalen Freiheiten, komplett unorthodoxem Umgang mit Texten, Hinzufügung von Materialien und Personen, die im Werk nicht vorkommen etc. Die Vorgehensweise erinnert am ehesten noch an Castorfs Geschäftsmodell.

Künstlerische Initialzündung seiner Umsetzung ist die Empörung und Wut über die Heuchelei der Eliten, die für ihn nicht nur in einer königlichen Huldigungsoper zwei Jahre nach der französischen Revolution zum Ausdruck kommt. Diese Verhaltensweise sieht er auch heute bei den herrschenden Eliten. Das Elend der Massen wird mit der Beihilfe von Künstlern verklärt und durch scheinbare Zuwendung der Herrschenden den Benachteiligten gegenüber verbrämt. Damit schlägt sich die Kunst auf die Seite der Starken und verhindert eine Revolte gegen die Verhältnisse und die Umsetzung von Gleichheit.   

Der erster Teil spielt in der Szenerie eines Museum, konkret des Hauses der Kunst in München. Hier schwadroniert Titus noch gönnerhaft und ungebrochen und legt selbst Hand an die Kreation von Gemälden. 

Der zweite Teil spielt auf einem Wohnwagenpark der Outlaws und Gestrandeten am Rande der Stadt, wo eine bunte Gesellschaft zusammenfindet, wie  Schamaninnen, allerlei Soldaten aus der Garde von Titus etc. Die Sänger und Sängerinnen treten zum Teil in Kostüm und Maske bekannter zeitgenössischen  Künstlerpersönlichkeiten auf: Vitellia als die Performance-Künstlerin Marina Abramović, Sesto als der Maler Neo Rauch und Titus selbst als der nach einem Flugzeugabsturz geläuterte und äußerlich noch stark verwundete Joseph Beuys.  

All das erschließt sich allerdings erst bei intensivem Studium begleitender Materialien und in keiner Weise bei Betrachtung der überwiegend in dunklen Tönen gehaltenen, kryptischen Videoübertragung. Die Szenerie wird häufig durch eine live-Kamerabegleitung bei gleichzeitiger Übertragung auf eine weiter oben im Raum installierte Leinwand - wie so oft bei Castorf - begleitet.  

Die Qualität der Liveübertragung  war schlecht. Es gab Bildstillstand, kompletten Ausfall, Klirren beim Gesang der Stimmen etc. Zwar konnte man exquisiten Mozartgesang erahnen, aber eine Würdigung der Leistungen im Einzelnen ist nachgerade unmöglich. Der Titus von Bernard Richter schien im Laufe des Abends zunehmend ausdrucksstärker zu singen, die Vitellia von Serena Farnocchia und der Sesto von Anna Goryachova verstanden wohl erfolgreich gegen ihren konzeptionell fremdartigen Außenauftritt anzusingen.  Auch der Annio von Cecilia Molinari, Servilia der Marie Lys und Publio von Justin Hopkins klangen überzeugend, soweit sie zu vernehmen waren.  

Der Chor des Theater Genf unter der Leitung von Alan Woodbridge sowie das Orchestre de la Suisse Romande unter dem 33-jähigen Maxim Emelyanychev konnten mit teilweise ungewöhnlichen Temporückungen und insgesamt durchsichtiger Klangstruktur überzeugen. 

Am Ende blieb offen, ob die Oper den intendierten Inhalten nicht eigentlich im Wege steht; oder umgekehrt, diese Inhalte nicht ebenso der Oper im Wege stehen. Für die Oper jedenfalls war am Ende nichts gewonnen. 

Und was ist für die Kunst erreicht? Das Ergebnis eröffnet einen zynischen Blick darauf, dass die Schöpfer selbst mit dem Kunstprojekt vom Elend anderer Menschen profitieren, indem sie selbst das menschliche Leid in Kunst sublimieren, um diese möglichst teuer an europäische Opernhäuser – z.B. in Genf und Wien - zu verkaufen. Genau wie es in der Konzeption den Eliten zum Vorwurf gemacht wird. Immerhin – die Chuzpe muss man auch erst einmal haben. 

In der Pause wurden Videoeinspielungen eingeblendet, u.a. auch mit Lobpreisungen für den Regisseur aus der eingeschworenen Gefolgschaft der europäischen Theaterszene.

Auf dem Bildschirm konnte man auch die Anzahl der jeweils zugeschalteten Zuschauer sehen. Diese verminderte von anfangs rd. 1.200 im ersten Teil  auf unter 800 im zweiten Teil – war das alles?

Die Aufzeichnung kann kostenlos auf der Webseite des Grand Théâtre de Genève angeschaut werden. 

Achim Dombrowski

Copyright: Carole Parodi

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