(Musik von Gioachino Rossini)
Premiere der Frankfurter Erstaufführung am 20. Februar 2022
besuchte Aufführung am 11. März 2022 (Corona-bedingt kurzfristig gekürzt und konzertant)
Ein junger Mann tritt auf die Bühne. Eine Indisposition eines Sängers vielleicht? Nein, schlimmer: eine nicht geringe Zahl von Künstlern ist an Corona erkrankt, so dass die Vorstellung abgesagt werden muss. Das will man aber dem Publikum auch nicht zumuten und hat sich entschlossen, eine konzertante Kurzversion – teilweise im Kostüm – zu geben. Noch während dieser Ansage hört man Rufe hinter der Bühne, es gibt noch allerletzte, hektische Einweisungen des Dirigenten Giuliano Carella.
Der Plot des für die Mailänder Scala 1819 komponierten Werkes erinnert an Romeo und Julia. Durch zwei verfeindete oligarchische Patrizierfamilien im Venedig des 17. Jahrhunderts kommen die beiden Liebenden erst nach vielen Hindernissen und Irrungen, u.a. einer vom Vater Biancas bereits eingefädelten Hochzeit mit dem Sohn der gegnerischen Familie, endlich doch zusammen.
Unter Carellas zwischen den Musiknummern spontan gegebenen Erklärungen und Erörterungen folgen sechs Arien und Duette in unmittelbarer Folge. Wer zuvor den Inhalt im Programmheft kurz durchgelesen hatte, konnte bestens folgen. Carella moderiert in unnachahmlicher, galanter Komik, wie es nur die Italiener können, singt im Einzelfall eine fehlende Gesangslinie mit bis ihm die Stimme bricht und verweist beim letzten Stück auf die wunderbare Musik und den Gesang der Frauen, wobei der fehlende Contareno – Vater Biancas – „..ja auch gar nicht wichtig ist...“
Das spontane Konzept geht auf und wird fast alleine von den grandiosen Darstellerinnen der Titelpartien getragen: Heather Phillips als Bianca und Maria Ostroukhova als Falliero. Wir hören eine Auftrittsarie des aus dem Krieg zurückkehrenden Kriegers Falliero, eine Szene und Arie, die die ihren Geliebten erwartende Bianca charakterisiert, ein Liedesduett der Beiden, ein Duett, in welchem die beiden Liedenden für ihre Liebe keinen Weg sehen und Falliero mit Selbstmord droht, eine Verzweiflungsarie Fallieros als er das Gerücht hört, dass seine Bianca den von ihrem eigenen Vater ausgesuchten Mann geheiratet habe, sowie schließlich aus dem Finale des zweiten Teils das übergroße Glück, dass beide Liebenden zusammenfinden können. Der Chor der Oper Frankfurt unterstützt gekonnt in kleiner Besetzung.
Dieser Ritt auf der Rasierklinge wird jeweils zwischen den Nummern durch vernehmliches Rascheln der Notenblätter im Orchester begleitet – die Instrumentalisten hatten alle Mühe, schnell die richtigen Blätter aufzuschlagen. Heiterkeit im Publikum. Aber: das Frankfurter Opern- und Museumsorchester kann den flinken Änderungen ohne Verlust in durchhörbarer Präzision und Brillanz gerecht werden. Der Abend dauert so knapp 90 Minuten und umfasste große Teile der wichtigeren musikalischen Szenen.
Die Situation wirkte mal wie eine Bühnenprobe mit Orchester, oder ein Sängerinnen-, oder Wettbewerbskonzert im Hochleistungs-Parcour bei höchster Konzentration auf unterschiedliche Mikro-Situationen und Stimmungen in rascher Folge mit jeweils minimalsten sprachlichen und gestischen Abstimmungen zwischen den Solistinnen und dem Dirigenten.
Insbesondere Heather Phillips überzeugte durch eine mühelos wirkende, spielfreudige und mitreißende gesangliche und darstellerische Verfassung. Unglaublich die schnellen stimmlichen Wandlungen von Szene zu Szene, in denen sie auch noch Sicherheit und Energie fand, ihre überzeugende Partnerin Ostroukhova mitzureißen.
Der Zuhörer konnte gewissermaßen in Selbsterforschung erproben, wie er die Koloratur-Kunst Rossinis mit den dramatischen Inhalten auch ohne szenische Umsetzung empfindet. Wer das Glück hat, zu einer der folgenden Aufführungen zu gehen, kann jetzt also erleben, wie er diese musikalischen Eindrücke mit der Regie zusammenbringt. Die Ausführungen und Bilder dazu im Programmheft machen neugierig. Das Theater hat den Anwesenden kostenlose Karten für eine der kommenden Vorstellungen zugesagt.
Die Spannung auf der Bühne entlud sich nach dem letzten Vorhang in lautem Jubel, erlösender als nach mancher Premiere. Ein unglaublicher Einsatz aller Mitwirkenden.
Das Publikum spendete viel Beifall mit reichlich bravi-Rufen – jedem wurde der hingebungsvolle Einsatz aller Beteiligten in dieser unerwarteten Situation mehr als klar.
Den erkrankten Künstlern ist zu wünschen, dass sie bald wieder vollständig genesen.
Achim Dombrowski
Copyright: Barbara Aumüller
14. März 2022 | Drucken
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