Oper Frankfurt: Tannhäusers moralische Auspeitschung

Xl_bild_2 © Barbara Aumüller

Oper Frankfurt

Tannhäuser

(Richard Wagner)

Premiere 28. April 2024

besuchte Vorstellung am 1. Mai 2024

Wagner greift bei Tannhäuser auf Sagen des 13. Jahrhunderts zurück. Der Sänger Tannhäuser lebt heimlich im Venusberg. Nachdem er der den sinnlichen Verführungen überdrüssig geworden ist, flieht er zurück in den Kreis seiner Freunde, um an einem Sängerwettbewerb teilzunehmen und Elisabeth, die sich zu ihm hingezogen fühlt, wieder näher zu sein. Als er angesichts der angestrengten, moralin-sauren Vorhaltungen spontan seinen Aufenthalt im Venusberg gesteht, kann nur die Fürbitte Elisabeths ihn vor Gewalt bewahren. Er zieht nach Rom, um den Papst um Vergebung zu bitten, die er jedoch erst nach dem Opfertod Elisabeths gewinnt.    

Seit jeher steht Tannhäuser für die Beleuchtung des Künstlerschicksals in abweichenden Lebensformen. 

Das seinerzeit revolutionäre Potential dieses romantischen Strebens nach Einheit von geistiger Liebe und körperlichen Begehrens liegt für den südafrikanischen Regisseur Matthew Wild nicht in der Transzendenz, in welcher erst nach dem Tode der Liebenden und durch die Aufopferung der Frau für den Mann eine Vereinigung möglich erscheint. Ihm geht es um das Aufzeigen brutaler, ja tödlicher Ablehnung gesellschaftlich abweichender Verhaltensweisen, und deren Verfolgung. 

Wild überträgt die Handlung in die 50er und 60er Jahre in die USA der McCarthy Ära und deren Nachwirkungen. Sein Tannhäuser heißt Heinrich von Ofterdingen, ist deutscher Literat, im Widerstand gegen Hitler aus Nazi-Deutschland geflohen und lehrt an der kalifornischen, katholischen Maris Stella University. Mit seinem Roman ‚Montsalvat‘ hat er 1956 einen großen, allgemein bewunderten Erfolg errungen und den Pulitzer Preis gewonnen.  

Die Übertragung der Grundaussagen des Stoffes auf dieses sehr spezifische Umfeld erscheint theoretisch und konzeptionell sinnhaft und reizvoll, aber doch in einer Bühnenumsetzung nachgerade unmöglich. Aber Wild gelingt hier Erstaunliches. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Video- und Lichtkunst von Clemens Walter und Jan Hartmann. 

In der Ouvertüre bereits und in entscheidenden Momenten erleben wir auf bühnengroßer Leinwand die Lebensgeschichte Tannhäusers/von Ofterdingens in den Berichten der großen Zeitungen. Weiterhin schaffen Herbert Barz-Murauer (Bühne) und Raphaela Rose (Kostüme) ein derart realistisches Abbild des Designs, der man sich nicht entziehen kann. 

Die Venus-Szene vereint die Dimensionen Lust und Tod und entwickelt sich hier als Traumerscheinung unter Morphintabletten und zeigt die Ausprägung der individuellen sexuellen Identität Tannhäusers. Ihm wird zunehmend bewusst, dass seine homosexuellen Neigungen ihn dauerhaft prägen werden.  

Mitten im öffentlichen Literaturwettbewerb küsst er in einer Übersprunghandlung eines schönen Studenten. Die Stimmung der soeben noch verzückten weibliche Anhängerinnen schlägt um und mündet gleichsam wie in eine lange geistige Auspeitschung durch Zerreißen und Verbrennen des bewunderten Romans des Autors. Äußerste Gewalt wenden die männlichen Mitstreiter an. Nur Elisabeths unbedingter Einsatz stellt überhaupt sicher, dass Tannhäuser lebend aus der Universität kommt.

Es bleibt bei der repressiven Haltung der katholischen Kirche und der Gesellschaft trotz der Hinwendung des Protagonisten zu Reue und religiöser Buße, er findet ein Ende in Einsamkeit und Selbstmord. Elisabeth widmet in ihrem späteren Leben den unvollendeten Manuskripten Ofterdingens, so dass seine Transzendenz in seinem Werk gesichert bleibt. 

Die ungemein zwingende Umsetzung arbeitet mit vielen Elementen schwuler Ästhetik. So die Erscheinung eines Tadzios im Matrosenoutfit, Ludwig II, Personifizierungen schöner, braungebrannter kalifornischer Surfer. Was aus heutiger Sicht wie Klischee-besetzte Versatzstücke schwuler Erotik wirken könnte, waren in den 50er und 60er Jahren wichtige, z T mutige Codierungen und Zeichensetzungen als Vorläufer einer sich erst nach den Stonewall-Unruhen 1969 entwickelnden schwulen Bewegung.

Bereits in 2022 bot Martin G. Berger in Schwerin einen teilweise vergleichbaren, andererseits sehr abweichenden Blickwinkel. Der Regisseur stellte die Frage, ob nicht heute durch eine zunehmend nicht-binäre Rollenzuschreibung der Geschlechter ein durch Solidarität und Achtung getragenes, offeneres gesellschaftliches Miteinander möglich ist, welches durch Anerkennung unterschiedlicher – nicht nur sexueller - Identitäten und Lebensweisen gekennzeichnet sein könnte. 

Gesungen und musiziert wurde in Frankfurt wieder durchwegs auf höchstem Niveau.

Marco Jentzsch gibt mit seinem im Vergleich zu anderen großen Interpreten, tendenziell leichteren Tenor eine großartige, sensible Darstellung, die in einer menschlich erschütternden Rom-Erzählung gipfeln.      

Christina Nilsson gelingt als Elisabeth nach einigen scharfen Tönen zu Beginn mit bewegender stimmlicher Gestaltung ein überzeugendes Rollenportrait. Die Venus von Dshamilja Kaiser überzeugt in ihrer darstellerischen und stimmlichen Eleganz als Muse der Verführung und Todesengel.  

Domen Križaj gestaltet einen zum Bersten disziplinierten, gesanglich unüberbietbar formschönen  Wolfram von Eschenbach. Landgraf Hermann ist Andreas Bauer Kanabas mit stimmlich gewaltiger Präsenz. Der Biterolf  von Erik van Heyningen, Heinrich der Schreiber von Michael Porter, Reinmar von Zweter von Magnus Baldvinsson geben die Literaten als ausnehmend überzeugendes Ensemble. 

Anrührend und mit bewegendem Timbre der junger Hirte von Karolina Bengtsson, der hier in Person einer jungen Reinigungskraft erscheint.

Chor und Extrachor der Oper Frankfurt unter Tilman Michael entfalten erneut ihre unendlich scheinende stimmliche Wandlungsfähigkeit, durchsichtige Klangschönheit und ebensolche Durchschlagskraft.

Dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter seinem neuen Chef Thomas Guggeis gelingt ein hoch-differenziertes, schlankes und in der Abmischung der Instrumentengruppen   

Die Publikumsreaktion mündet in nicht enden-wollende Begeisterung pur und standing ovation für alle Mitwirkenden, insbesondere die Sänger aber nicht minder Chor und Orchester unter Thomas Guggeis. Sehr vereinzelte abweichende und ablehnende Haltungen zum Regiekonzept werden durchaus mürrisch in den Pausengesprächen verhandelt.    

 

Copyright: Barbara Aumüller

Achim Dombrowski

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