Oper Köln - Berlioz Opus Magnum Les Troyens in Vollendung

Xl_3f312d0d-6319-4e85-be87-9e3aa447197d © Matthias Jung

Les Troyens

Hector Berlioz

Oper Köln

Premiere am 24.09.2022

Henriette Reker, Kölns Bürgermeisterin, begrüßt die Besucher zur Eröffnung der ersten Spielzeit des neuen Intendanten Hein Mulders, von dem sie alsbald auch die Begleitung des Umzugs in das renovierte Opernhaus erwartet. Das Publikum nimmt diese erneuerte Hoffnung amüsiert-zugewandt entgegen. Dann folgt jedoch zunächst eine grandiose Opernpremiere, wie sie in dieser Form nun allerdings in keinem Opernhaus der Welt hätte stattfinden können – außer eben nur in den örtlichen Besonderheiten des Staatenhauses, der mittlerweile langjährigen Ausweichspielstätte der Kölner Oper.

Hector Berlioz selbst hatte zu Lebzeiten keine Hoffnung auf die Aufführung seiner zwischen 1856 und 1858 geschaffenen Les Troyens. Es ist deshalb umso erstaunlicher, dass er unter diesen Umständen in der Lage war, eine solche Riesenpartitur fertigzustellen. Das Werk wurde ein Jahrhundert lang in seiner Bedeutung nicht wahrgenommen. Die erste Gesamtaufführung nach der neuen Berlioz-Gesamtausgabe aller fünf Akte an einem Tag ereignete sich erst 1969 in Glasgow in englischer Sprache, und fast nur Tage später – auf Französisch - am Royal Opera House in London – also genau 100 Jahre nach Berlioz‘ Tod. Im März 1990 war Les Troyens die erste Musiktheaterpremiere der neuen Opéra Bastille in Paris.

Der Komponist schrieb sein Libretto selbst, nicht zuletzt aus seiner in Kindheitstagen begründeten Verehrung für Vergils Aeneis und fügt Elemente aus Shakespeares Werk hinzu. In der Anlage der Handlung und in der musikalischen Gestaltung bekennt sich Berlioz zu einem klassizistischen Stil, mit der Fokussierung auf die beiden überragenden Frauengestalten Cassandre und Didon, Aeneas wirkt wie ein Bindeglied zwischen diesen Frauen.

Der Orchestermusik in ihren unendlichen Wandlungen und Modulationen in Märschen, Hymnen, Pantomimen, Arien, Rezitativen und Ensembles kommt eine große Bedeutung zu. Anders als bei dem – zu etwa gleicher Zeit entstandenem – Ring des Nibelungen von Richard Wagner, entwickelt sie sich jedoch nicht auf der Basis zahlreicher, auch psychologisch variierter, letztlich rhetorisch-basierter Leitmotivtechnik, sondern in changierenden Wandlungen und freier Variantenvielfalt, teils archaisch und in langen, mit exotischen Komponenten angereicherten Modulationsbögen.

Konsequent haben sich der Regisseur Johannes Erath und Kölns Chefdirigent François-Xavier Roth dazu entschlossen, in dieser besonderen Spielstätte des Staatenhauses das Orchester in den Mittelpunkt der Szene, direkt vor dem Publikum zu positionieren und so auch in seiner handwerklichen Kunst und Wirkung durchgehend an herausgehobener Stelle optisch und tongebend sicht- und hörbar zu machen, ganz anders als dies in jedwedem Orchestergraben möglich wäre.

Um diesen großen musikalischen Apparat herum verläuft ein drehbarer Laufsteg (Bühne und Kostüme von Heike Scheele), auf dem die Darsteller agieren und Requisiten bewegt werden. Im Hintergrund sind mehrere große Stufen arrangiert, auf denen zeitweise der Chor positioniert ist, der ansonsten auch neben oder hinter Bühne agiert. Links stehen Helm und Schwert, später auch ein kleines trojanische Pferd, auf der rechten Seite sind sechs Harfen positioniert, die in Dauerbereitschaft ihres jeweils nächsten Einsatzes harren. Im Hintergrund ist die antikisierende Ruine einer gefallenen Götterstatue drapiert.

In diesen und weiteren durch die Zeitgeschichte wandelnden Versatzstücken gelingt Erath durch eine feinnervige und sensible Personenführung eine kurzweilige Gestaltung des über fünfstündigen Abends. Er geht jedweder marmornen Steifheit und jedem bleiernen Historismus erfolgreich aus dem Weg. Die Götter werden in einer Kostüm- und Maskenmischung aus verschiedenen Zeiten in wandelndem Erscheinungsbild sichtbar. Sie werden sukzessive immer menschlicher, hilflos, lustlos, wie betrunken. Der Betrachter fühlt sich schließlich wie nach einem Übersprung in der zunehmend liderlichen Bürgerlichkeit einer thematisch nahestehenden Offenbach Operette.

Jedoch sind diese Elemente so feinsinnig in den Ablauf eingewoben, dass die damit einhergehende Ernsthaftigkeit und Tragik des Geschehens, insbesondere der Frauengestalten in keiner Weise auch nur im Ansatz relativiert werden. Im Gegenteil:  durch den latent-komischen Erzählkontrast zur schlichten Größe der klassizistisch-strengen, tragischen Frauengestalten wird deren Leid eindringlich und glaubhaft akzentuiert. Besonders eindrücklich: Cassandres Untergang symbolisiert in ihrem Todestanz mit einem als (trojanisches) Pferd stilisierten Tänzer.

Dass allerdings eine solche stilistische Gratwanderung überhaupt gelingen kann, liegt auch den Persönlichkeiten der Sängerdarsteller. Trotz des herausgehobenen, offenen Orchesters ist das Sängerensemble im Gegensatz  zu prominenten Tonträgern des Werkes – auf welchen schwere Wagnerstimmen singen - in Köln überwiegend mit Sängerdarstellern besetzt, die durch den Belcanto oder Verdi geprägt sind.

Die Cassandre von Isabelle Druet agiert in aufzehrender Verzweiflung  mit stimmlich und darstellerisch unerschöpflicher Kraft.

Die Didon von Veronica Simeoni brilliert zunächst in lässigem Mallorca-gleichem Ambiente als verwöhnte, wenn auch verwaiste Königstochter. Sie lernt gleichwohl ihr Schicksal zu erkennen.    

Der Aeneas  von Enea Scala wirkt durch sein unverwechselbares Timbre insbesondere in den tenoralen Höhen ein erster Linie verletzlich. Er ist kein zynischer Frauenverächter im Zeichen der politischen Macht, sondern selbst Getriebener eines ihm (und uns – ?) unverständlichen Opfergangs im Auftrag der (welcher - ?) Götter. Der Ruf quält ihn bis zur Verzweiflung. Es gibt kein schwarz-weiß der männlichen Dominanz, vielmehr eine mit den Frauen gemeinsame Erfahrung des Leids.  

Wenn der Abend im Liebes-Duett Cassandre – Aeneas im vierten Akt seinen Höhepunkt erreicht, wird dies durch die so klare und ausnehmende Idee des sich einschließlich seines Dirigenten gegenläufig zum Laufsteg drehenden Orchesters begleitet – ein für die konzeptionelle Anlage dieses Abends einfaches und klares wie auch gleichzeitig zutiefst magisches Bild.  

Chorèbe von Insik Choi, Geliebter von Cassandre, gibt ein unverwüstliches, stoisches und gesanglich brilliantes Gegenbild zur Verzweiflung Cassandres.  

Die Anna von Adriana Bastidas-Gamboa überzeugt stimmlich und darstellerisch durch ihre empathische Anzeilnahme.

Die Leistungen der weiteren zahlreichen, hervorragenden Solisten kann an dieser Stelle leider nicht hinreichend gewürdigt werden.   

Der Chor und Zusatzchor der Oper Köln unter der Leitung von Rustam Samedov singt perfekt und mit großem Ausdruck. Das große Kollektiv agiert mit außerordentlicher Spielfreude in dem changierenden Panoptikum von Göttern und Helden. 

Das Gürzenich-Orchester Köln kann an diesem Abend von keinem französischen Klangkörper überboten werden. Als besonderer Glücksgriff erweist sich immer wieder, dass man jedem einzelnen Musiker auch zuschauen kann. Bestimmte Klangmischungen können in der Verfolgung des Spiels der Orchestermitglieder in ihrer Besonderheit nachvollzogen werden. Dabei gelingt auch noch eine immerwährende Balance mit den Sängern, die niemals zugedeckt werden, obwohl sie durchgehend nicht den etablierten Schwergewichten des Wagner- oder Strauss-Fachs angehören – ein nachgerade magisches Ereignis, welches das Verständnis des Berlioz‘schen Werkes insgesamt auf eine neue Stufe hebt. 

Standing Ovations eines nach dem deutlich über fünfstündigen Abends allseits erschöpften, aber glücklichen Publikums. Diese Sternstunde darf man nicht verpassen! 

Achim Dombrowski

Copyright: Matthias Jung

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