Der schwedische, international renommierte Pianist und Musikpädagoge Helge Antoni hat eine akute Corona-Erkrankung überstanden, und doch hat er seinen Optimismus nicht verloren und will sich noch stärker auch der Förderung von jungen Künstlern in diesen schwierigen Zeiten widmen.
Opera Online: Herr Antoni, Sie haben eine akute Corona-Infektion überwunden – welche Gedanken bewegen Sie in dieser unsicheren Zeit des Übergangs in Ihrer Heimat Barcelona?
Helge Antoni: In erster Linie Dankbarkeit, dass ich die Krankheit nach vier schwierigen Wochen, in denen mich meine Frau Marissa zu Hause gepflegt hat, überwunden habe.
Angesteckt hatte ich mich auf meiner Reise in die USA, wo ich am JFK-Airport dichtgedrängt lang auf meine Einreise warten musste. Als ich schließlich im Land war, erfuhr ich nur noch, dass alle meine Konzerte in New York, Washington und anderswo soeben abgesagt waren..... Nur durch den Einsatz meiner amerikanischen Freunde bin ich dann endlich nach fünf Tagen auf einen Flug zurück nach Europa gekommen.
Sehr dankbar und gerührt war ich auch über die aus vielen Teilen der Welt mir entgegengebrachte Hilfsangebote oder Zeichen der Anteilnahme von Freunden, auch von ehemaligen und aktuellen Studenten – wie sollte ich also den Optimismus verlieren?
Opera Online: Stammen Sie denn aus einer Künstlerfamilie?
Helge Antoni: Ja, und zwar mit einer Antenne zu den Sternen. Der Stiefvater meiner Mutter war ein komischer Akrobat und sogar einmal mit Marlene Dietrich befreundet, vor allem aber tief durchdrungen vom Glauben an die Astrologie. Und die Sterne gaben ihm auf, dass seine Tochter eine berühmte Artistin werden müsse. Auch mein Vater war am Theater in Malmö und spielte im Symphonieorchester. Meine Mutter hat ihn anlässlich einer Tournee durch Schweden kennengelernt. Meine Eltern hatten für uns Kinder allerdings ein ‚normales‘, bürgerliches Leben vorgesehen. Ich selbst habe erst mit sieben Jahren angefangen, Klavier zu spielen und lernte nach der Suzuki-Methode, und zwar nicht nur in der Musik.
Opera Online: Aber die Suzuki-Methode ist doch eine Methodik der Musikerziehung, wo kam diese bei Ihnen denn sonst noch zum Einsatz?
Helge Antoni: Zunächst einmal in der Art, wie ich Sprachen lernte. Ich habe meine Mutter, einer gebürtigen Augsburgerin, abends immer beim Singen deutscher (Volks-)Lieder zugehört und so Klang und Bedeutung der deutschen Sprache verinnerlicht.
Meine Klavierlehrer fragte ich immer, ob sie mir die Komposition nicht vorspielen können, bevor ich in die Noten schaue. Und immer, wenn sie das getan hatten, konnte ich das Stück in weiten Teilen schon nachspielen, ohne Noten lesen zu können. Meine Mutter hat es gemerkt und meinem Professor gesteckt. Danach begann eine mühsame Zeit des Notenlernens und -lesens und die Zeit der unschuldigen Aneignung von Musik war vorbei. Ich bin bis heute der Meinung, dass bei einer ausschließlichen Fixierung auf Notenlesen die Seele des musikalischen Ausdrucks leiden kann.
Oper Online: Wann haben Sie sich für eine Solistenlaufbahn als Pianist entschieden?
Helge Antoni: Das war etwa im Alter von fünfzehn Jahren. Ich habe gemerkt, dass ich mit meinem Klavierspiel etwas bewirkte. Die Zuhörer knüpfen ein anderes Band miteinander. Es geschah etwas Magisches durch mein Spiel. Ich selbst war der Auslöser einer besonderen Kommunionzwischen den Zuhörern und mir. Das ist bis heute so geblieben.
Mit 17 Jahren begegnete ich durch den einfühlsamen Rat einer amerikanischen Pianistin Stanislaw Knor. Er war ein vielbeschäftigter Professor und Pianist. Wir trafen zunächst das Arrangement, dass er mich immer anrief und zu sich bestellte, wenn Zeit war. Ich musste unter einer fadenscheinigen Entschuldigung aus einer Schulstunde verschwinden, um den Unterricht bei ihm wahrzunehmen. Das ging zwei Jahre so bis ich drei weitere Jahre offiziell an der Musikhochschule Malmö bei ihm studieren konnte und meinen Diplomabschluss machte. Er war ein wunderbarer Lehrer: er verstand meine Annäherung an die Musik, konnte etwas damit anfangen und mich auf die richtige Weise fördern und fordern.
Opera Online: Aber dann haben Sie 1978 Schweden verlassen?
Helge Antoni: Knor drängte, ich müsse raus in die Welt, andere Lehrer finden. Und ich hatte Glück: erst bekam ich das große Auslandsstipendium der renommierten schwedischen Musikalischen Akademie in Stockholm und danach wurde mir als erstem schwedischen Musiker ein dreijähriges Stipendium des British Council Fellowship verliehen.
Opera Online: In London trafen Sie einen weiteren wichtigen Lehrer Ihrer Studienzeit?
Helge Antoni: Ja, in London studierte ich vier Jahre lang bei Peter Feuchtwanger. Er war ein ganz anderer Musiker aus einer jüdischen, kreativen, in vielen Lebensbereichen erfolgreichen Familie – sein Onkel war Lion Feuchtwanger, der den Jud Süßgeschrieben hat. Feuchtwanger hatte noch bei Edwin Fischer, Walter Gieseking und Clara Haskil studiert, später mit Yehudi Menuhin und Ravi Shankar als Komponist zusammen gearbeitet. Feuchtwanger komponierte auch ein Werk für mein Londoner Debut in der Wigmore Hall 1982: Tariqa No.2– es basiert auf den Gedanken eines arabischen Sophisten zum Thema ‚... auf dem Weg zu Gott ...‘Ein jüdischer Komponist also, der inspiriert wurde von arabisch-klassischer Musik – wenn man so will wie ein Vorläufer der Idee Barenboims mit seinem West-Eastern Divan Orchestra.
Opera Online: Wo und wie startete denn dann ihre solistische Laufbahn?
Helge Antoni: Ich durfte in der schwedischen Botschaft in Paris spielen, anschließend im Salle Gaveauund dann mein Debutkonzert in Schweden geben. Noch wichtiger in jener Zeit war der Plattenvertrag, den ich mit der Firma Etcetera schließen konnte. Meine Aufnahmen von teilwiese erstmals auf Tonträger festgehaltenen Werken des Norwegers Christian Sinding, außerdem von Grieg und Rossini wurden international wahrgenommen. Darüber kam es zu Gastspielverträgen für Konzerte in Chicago und am Kennedy-Center in Washington. Es folgten Radio- und Fernsehprogramme in Frankreich, Schweden und Norwegen. Besonders am Herzen lagen mir die Sendungen für Kinder und Jugendliche, z.B. „Das Klavier tanzt“, wo junge Zuhörer auch aktiv mit einbezogen wurden.
Opera Online: Welche weiteren wichtigen Stationen gab es?
Helge Antoni: Wichtig war meine Zusammenarbeit mit den Sängerinnen Elisabeth Söderström und Janet Perry. Wir haben sehr kreative Programme gestaltet, oft mit dem Liedgut skandinavischer Komponisten. Ich habe im höchsten Maße von der Phrasierungskunst, der Farbgebung und der Atemtechnik der Sägerinnen für meine eigene Kunst profitiert.
Eine andere wichtige Erfahrung für mich war Anfang der 90er Jahre die Leitung des Spätsommernachtsfestivals in Norwegen und der Stiftung Villa San Michele, die Axel Munthe auf Capri begründet hatte. Ich habe mit großer Freude die Programmation gestaltet. Schwieriger war der Auswahlprozess der Künstler, denn das hieß immer auch ‚nein‘ sagen, Absagen aussprechen. Außerdem musste ich die viel zu geringen Budgets in kleinen und kleinsten Gagen an die gastierenden Künstler weitergeben. Auch das war für mich eine schmerzliche Erfahrung.
Opera Online: Wie können Sie mit dem Alleinsein auf langen Konzertreisen umgehen, unter denen so viele Solokünstler leiden?
Helge Antoni: Meine Mutter war auf ihren Tourneen oft lange abwesend - dies war der gesamten Familie seit Generationen vertraut. Vielleicht hat das schon geholfen. Außerdem lernte ich 1983 auf ihrer Gastspielreise in Malmö meine spätere Frau, Marissa Niño de Guzman, kennen. Sie war eine berühmte Ballerina, die nach Solokarriere in ihrem Heimatland Peru und Teatro Colon nach Schweden kam und dort sehr berühmt wurde. Wir fühlten von Anbeginn eine tiefe Verbundenheit füreinander und haben 1996 geheiratet. Seitdem hatte ich immer einen festen Anker im Leben, egal, ob wir gerade gemeinsam in einer Stadt waren, oder tausende von Kilometern voneinander entfernt.
Opera Online: Was zog Sie 2004 nach Lima?
Helge Antoni: Peru ist die Heimat meiner Frau. Ich selbst habe mich dort erstmals schwerpunktmäßig auch der Arbeit mit jungen Leuten gewidmet. Mir war seit jeher bewusst, dass ich meine eigene Ausbildung in Europa vielerlei Unterstützung und Stipendien verdankte. Das wollte ich zurückgeben.
Ich gab freie, offene Meisterklassen und viele Konzerte, um Kinder und Jugendliche mit klassischer Musik in Berührung zu bringen. Mich hatte schon als Kind Lennie Bernsteins Young People Concertsfasziniert. Ich gründete eine Stiftung in Lima und ging selbst in eine Vielzahl von Schulen, auch in sozial schwachen Vororten, um die klassische Musik weiterzutragen und ggf. talentierten Kindern und Jugendlichen den Weg zu einer Ausbildung zu weisen.
Opera Online: Mittelpunkt heute ist wieder Europa und Amerika?
Helge Antoni: Ja, die weite Entfernung zu den europäischen Gastspielzentren empfand ich immer ermüdender. Wir haben uns schließlich in Barcelona niedergelassen.
Zu dieser Zeit habe ich auch in Hamburg TONALi kennenglernt, eine Initiative, die ebenfalls die Idee verfolgt, jungen Leuten die Begegnung mit klassischer Musik zu ermöglichen, und sie aktiv in ein solches Erlebnis mit einzubeziehen. Daraus hat sich eine langjährige Mitwirkung entwickelt, u.a. über gemeinsame Projekte an der Universität Witten/Herdecke.
Opera Online: Was sind Ihre nächsten Pläne?
Helge Antoni: In meiner Funktion als ‚Artist in Residence‘ an der Universität Witten/Herdecke kann ich die Arbeit mit jungen Leuten weiter fortsetzen. Ich konnte trotz der Krise in den letzten Monaten mit meinen Studenten erfolgreich Online-Stunden auch für das Klavierspiel organisieren und in diesem Wege sogar die Arbeit mit neuen Studenten aufnehmen. Die Universität konnte ich davon überzeugen, dass und wie wir Konzerte unter den aktuellen Hygieneregeln veranstalten können. Ich bin trotz der schwierigen Umstände für die Zukunft positiv gestimmt. Die klassische Musik wird ihren Weg zurück zu einer physischen Präsenz finden. Ich habe auch schon wieder erste Termine.
Und doch bin ich besorgt um alle jungen Künstler, die ganz am Anfang sind. Denn der Anfang einer Laufbahn in dieser schwierigen Zeit, in der nach wie vor vieles noch nicht wieder stattfindet, wir noch nicht wissen, ob und wann das Publikum zurück in die Konzertsäle darf und will, und welche langfristigen Konsequenzen sich daraus ergeben, ist eindeutig noch schwieriger als bisher. Ich sehe es daher für die Zukunft als eine meiner vorrangigen Aufgaben an, noch stärker jungen Künstlern unmittelbar oder in Zusammenarbeit mit Institutionen wie Universitäten oder Initiativen wie TONALi zu helfen und beizutragen, dass wir während und nach Corona Wege finden, damit die klassische Musik ihre Positionierung in der Gesellschaft zurückerhält, bzw. durch neue Wege sich auch weitere Publikumsschichten erschließt.
Achim Dombrowski
Copyright Malcolm Crowthers
11. August 2020 | Drucken
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