Prokoview Die Verlobung im Kloster Spiegel im Spiegel

Xl_die_verlobung_im_kloster00025 © Ruth und Matin Walz

Staatsoper Unter den Linden Berlin

Sergej Prokofiew

Die Verlobung im Kloster

Premiere am 13. April 2019

In seinem reichhaltigen Schaffen in allen möglichen musikalischen Genres hat Prokofiew auch eine Reihe von Opern geschrieben, von denen heute insbesondere Die Liebe zu den drei Orangenregelmäßiger auf den Spielplänen erscheint, während andere wieDer feurige Engeloder Krieg und Friedeneher selten anzutreffen sind. Das gilt auch für die Verlobung im Kloster, die 1946 im Kirov-Theater uraufgeführt wurde und seine Berliner Erstaufführung an der Staatsoper Unter den Linden 1958 erlebte. Das Werk basiert auf der Vorlage eines Theaterstücks von Richard Brinsley Sheridan aus dem Jahre 1775 und wurde von Mira Mendelson und Prokfiew selbst als Libretto für die Oper gestaltet.

Die Handlung folgt dem klassischen qui pro quoder Verwandlungs- und Verwechslungskomödie des 18. Jahrhunderts und verweist unverwechselbar auf die großen Vorläufer Le Nozze di FigaroBarbiere di Sevillaund Cosi fan tutte. Kurzgefasst finden sich nach einer ausgiebigen Reihe von Umwegen, Irrungen und Wirrungen die zwei denn hoffentlich doch richtigenLiebespaare und können den Weg zum Traualtar antreten.  

Die Musik entfaltet dabei einen ausgefeilten Kosmos mit fließenden Übergängen von Sprache und lyrischem Gesang. Typisch für Prokofiew findet er dafür einen liebenswerten, ironisierend-distanzierten Kompositionsstil, der die Handlung musikalisch wie in einem Spiegel reflektiert.

Ähnlich die konzeptionelle Umsetzung des Regisseurs und Bühnenbildners Dmitri Tcherniakov. Er entführt uns mitnichten in ein nachgebautes Rokoko-Ambiente, sondern lässt die Handlung in einem großen Einheitsraum wie einem Probensaal eines Opernhauses stattfinden. Dort stehen in ungeordneter Form Stühle wie aus dem Zuschauerraum der Staatsoper selbst. Und dort auch treffen wir auf die Gemeinschaft anonymer Opern-Abhängiger. Die Rollen der Handlung gehen sämtlich in dem bizarren, menschlichen Treibholz einer Therapiegruppe opernsüchtiger Fanatiker auf. Die kauzigen Auftritte werden durch Fantasiekostüme oder je nach Charakter der Handlung verschrobene Kleidungselemente (Kostüme Elena Zaytseva) begleitet. Da gibt es die (gelinde gesagt) am Ende ihrer Karriere stehende, von der Welt enttäuschte Diva (in der Handlung die Duenna), den seinen Fans nachreisenden Stalker (anfangs) im Kapuzenpulli (Don Antonio) und den emotional ausgebrannten Theaterkritiker mit burn out(Don Carlos) etc. Der Spiegel der Prokofiewschen Musik wird also von einer weiteren, eigensinnigen szenischen Spiegelung begleitet.

Alle diese Personen treffen sich zu einem Seminar, welches ein Moderator unter dem Motto Wir erfinden eine Operabhält. Bis zur Pause geht die Gruppe durch mannigfaltige Enttäuschungen, teilt untereinander ihre Probleme und Gründe für die Teilnahme an der Therapie, und lässt sich zunächst nur zurückhaltend und zögernd aufeinander ein. Der Moderator des Teams hat alle Mühe, die Interaktion voranzutreiben. Je weiter der Abend voranschreitet, je mehr die Beteiligten aus sich herausgehen und gewollt oder gar ungewollt Vertrauen ineinander investieren, desto intensiver und unterhaltsamer wird das Spiel. In den typischsten, und wenn man so will klischeehaftesten Opernszenen kommen alle wieder zu sich, schweißen zur Gruppe zusammen und erreichen so zumindest das Therapieziel ihres mentalen Wohlbefindens zurück. Alles nur – wohlgemerkt – letztlich im emotionalen und szenischen Nachspiel der Opernszenen aus der Verlobung im Kloster im zweiten Teil der Oper. Sie bleiben alle Opernjunkies bis zum letzten Atemzug. Belohnt werden sie schließlich zum Abschluss durch den großen Auftritt des Chors, der in allen möglichen vertrauten neo-klassizistisch nachkreierten Opernkostümen des Kernrepertoires erscheint: die Teilnehmer der Therapiegruppe sehen sich glücklich umgeben von Siegfried, Lohengrin, Carmen, der Königin der Nacht, usw., usw. 

Das macht Sinn, insbesondere im zweiten Teil, wenn sich die Handlung zuspitzt und eine Reihe von emotional intensiven Szenen durch das rückhaltlose Spiel einer glänzenden Gruppe von Sängerdarstellern auf das Publikum überspringen. Im 90-minütigen ersten Teil hingegen hat die fast dreistündige Oper mit ihren fast vier Dutzend Szenen allerdings auch Längen. Nicht jedes von den vielen, liebevollen kompositorischen und szenischen Details ist darin selbst für den Opernjunkie im Publikum von gleicher Intensität und Bedeutung.     

Tcherniakov hat die Verlegung ins Sanatorium auch bei seinerCarmen-Produktion beim Festival von Aix-en-Provence versucht, wobei er dabei jedes alte Carmen-Klischee bei den Hörnern packen und unschädlich machen konnte. Bei der tragischen Zuspitzung verfügte er über einen übermenschlich intensiven, obsessiven Jose, der die ganze Energie der Bühne zu bündeln vermochte. Der Ansatz bei der Verlobung war ungleich anspruchsvoller, denn jetzt in Berlin musste ein ganzes Ensemble diese Wirkungsintensität gemeinsam verkörpern. Konnte das aber auch.

Allen voran Stephan Rügamer als Don Jerome, der alte Vater der jungen Sopranliebsten, der in immer größerer Verblendung die Handlung vorantreibt. Dabei verfügt er nicht nur über eine souveräne, klangvolle und runde Stimmführung, sondern spielt wie nebenbei auch noch Trompete und lässt ein Klangensemble von Weingläsern zur Musik erklingen. Komödiantisch robust und mit durchsetzungsstarkem Stimmvolumen bringt Violeta Urmana die Duenna mit Aplomb und großer Spielfreude auf die Bühne. Wunderbar auch die beiden jungen, liebenden Frauen von Aida Garifullina (Luisa) und Anna Goryachova (Clara) gesungen. Das Männerensemble rundet die Besetzung prachtvoll ab: Andrey Zhilikhovsky als Don Ferdinand und Bogdan Volkov als jugendlicher Liebhaber Don Antonio, sowie Goran Juric und Lauri Vasar sind mehr als glanzvolle Rollenvertreter in diesem Berliner Kloster.          

Der blendend aufgelegte Chor unter der Leitung von Martin Wright singt teilweise im Orchestergraben, ist hinter dem Orchester positioniert und im Finale mit den sagenhaft-bunt-klassischen Kostümen auf der Bühne.                 

Die Staatskapelle Berlin unter der bewährten Leitung ihres langjährigen Chefdirigenten Daniel Barenboim darf als der Star des Abends gelten. Die vielen harmonischen und rhythmischen Details, Solopartien u. a. in den Holzbläsern (Klarinetten!), die umsichtige Sängerbegleitung sowie der Klangfarbenreichtum sind perfekt musiziert und gestaltet. Ein vollkommeneres Klangbild ist nicht vorstellbar.

Viel Applaus und bravifür die Sänger, Begeisterung für das Orchester unter Barenboim. Eine nicht überhörbare Buhfraktion zielt bei gleichzeitig zahlreichen bravi auf den Regisseur. Eine Reaktion, die Barenboim noch lustvoll anzuheizen versucht. Der Staatsoper Unter den Linden in Berlin ist mit dieser Eröffnungspremiere zu den Festtagen 2019 trotz der Längen des Werkes ein großer Wurf gelungen.

Achim Dombrowski

Copyright Photos: Ruth und Martin Walz

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