SALOME
(Richard Strauss)
Premiere am 02.02.2024
Theater Bremen
„Darum ist großes Übel über das Land gekommen...“ – mitten im Judenquintett in der Szenerie einer Welt 50 Jahre in der Zukunft stoppt plötzlich die Musik. Einen angespannten Moment lang fürchtet der Zuschauer, dass der im Konzept der Inszenierung klar vorausgesagte Weltuntergang nun womöglich gekommen sei. Aber dann spielt die Musik doch wieder... Es könnte sich also um eine dramaturgische Idee des Regieteams handeln.
Aber die Unterbrechung wird vom Theater Bremen damit erklärt, dass man sich als Institution von der diskriminierenden Sprache und den offen antisemitischen Klischees des Werkes distanzieren will.
Der Regisseurin Ulrike Schwab hat diese Intervention sicherlich nicht im Wege gestanden. Sie ist in ihrer Auseinandersetzung mit dem Musiktheater im Grenzbereich von Oper, Schauspiel und Performance unterwegs. Zusammen mit Rebekka Dornhege Reyes für die Bühne und Lena Schmid sowie Marina Stefan für die Kostüme nähert sie sich der Salome auf neuen und ungewöhnlichen Wegen.
Die Titelfigur ist vor allem Sinnbild für all diejenigen Frauengestalten, und damit zugleich männlicher Projektionsflächen, die über die Jahrhunderte in der Kunst und im Leben magisch fasziniert haben, von Eva über Carmen und Lulu zu Salome und vielen anderen. Dementsprechend kleidet sich die Sängerin der Titelpartie immer wieder in neue, phantasievolle, sehr farbenprächtige, teilweise rätselhafte Kostüme, die auf diverse mythologischen Frauengestalten anspielen. Es besteht auch kein Zweifel, dass diese Entwicklung noch in vollem Gange ist und weitergehen wird, nie zum Ende kommen wird.
Salome erlebt in der Welt am Hofe des Herodias nur Misshandlung und Ekel – ihre einzige Hoffnung ist, dieser Welt endlich zu entfliehen. Einer Welt, die im Selbstekel einer sich immer weiter steigernden Dekadenz unbewusst (oder doch bewusst -?) spürt, dass sie sich ihr eigenes Grab gräbt und eine Abrechnung (welcher Art auch immer) bevorsteht. Das im Stück verhandelte Bekenntnis zur Religion erscheint für die Regisseurin daher wie ein ‚ ...Ausweg und Brandbeschleuniger...“ auf dem Weg in die Apokalypse zu sein.
Viele Anknüpfungspunkte im Hinblick auf aktuelle Themen und gesellschaftliche Auseinandersetzungen also, insbesondere für diejenigen Betrachter, die den Weltuntergang mit Sicherheit erwarten, wenn auch nicht in den nächsten 50 Jahren...
In diesem Umfeld begegnet Salome schließlich Jochanaan, dem einzigen Fremden und Außenseiter in dieser Hölle, der seinerseits den Untergang dieser Welt prophezeit. Er tritt wie ein distanzierter Intellektueller auf, der seine Umwelt allzu gerne herausfordert. In einem monströsen Befreiungsschlag fordert Salome schließlich seinen Kopf wie in einer Übersprunghandlung in höchster Not und Verzweiflung (oder doch: Hoffnung -?) zur Flucht aus ihren Lebensverhältnissen, in etwa nach dem Motto: „Doch jeder tötet, was er liebt“ (Oscar Wilde).
Dem Kokon des vermeintlich im Tuch gehüllten, geköpften Propheten entsteigt dann schließlich ein Kind, das Salomes Unschuld und Unberührtheit wie in einem Traum repräsentiert. Die Phantasie um einen ‚reset‘ ihres Lebens?
Yannick-Muriel Noah ist Salome. Die aus Madagaskar stammende Sängerin hat sich vor allem die großen Rollen des italienischen Fachs über die letzten Jahre erfolgreich erarbeitet und weitet ihr Repertoire stetig aus. Nach Emilia Marty in Die Sache Makropoulos präsentiert sie nunmehr Salome am Theater Bremen als Rollendebut. Der Erfolg bei ihrem gleichzeitigen Hausdebut in Bremen war gewaltig. Das generell zugewandte Bremer Publikum feierte die gewaltige Leistung mit einer stehenden Ovation.
Die Sängerdarstellerin näherte sich dabei den unterschiedlichen Anforderungen und Ausdrucksgehalten sowie den intrikaten Sprechgesang-Übergängen mit stimmlich variantenreichen, immer wieder wechselnden Perspektiven, die über die Zeit in späteren Auftritten zu einer noch einheitlicheren gesanglichen Umsetzung der Riesenpartie führen mögen.
Um die Perspektive ihrer Unabhängigkeit von ihrer verhassten Umgebung zu zeigen nutzt die Regisseurin ein ganz besonderes Bild beim Tanz der Sieben Schleier: statt einer Choreographie der Solistin oder eines Doubles nimmt die Sängerin ganz einfach dem Dirigenten den Stab aus der Hand, um das im Bühnenhintergrund platzierte Orchester selbst zu dirigieren.
Der Jochanaan des Michał Partyka aus dem Ensemble des Bremer Hauses überzeugt einerseits mit dem Spiel als intellektueller Außenseiter, andererseits seinem überaus verständlich und durchsichtig geführten, metallisch-strahlenden Bariton. Durchaus kein propheten-bäriger, wohliger Baß-Baritonsound also, sondern eine herausfordernde stimmliche Erscheinung in einer neuartigen Sichtweise des Werkes.
Nadine Lehner als Ensemblemitglied des Hauses als Herodias erweitert ihr außerordentlich breit gefächertes Repertoire mit einer an den Wahnsinn grenzenden Gestaltung, die auch Elemente des Tanzes beinhaltet. Stimmlich wird sie den Anforderungen der schwierigen Partie mehr als gerecht.
Der Herodes von Christian-Andreas Engelhardt verausgabt sich stimmlich und darstellerisch bis an die Grenzen. Seine gewaltige Bühnenausstrahlung und sein stimmlicher parforce-Ritte schlagen das Publikum den gesamten Abend in den Bann.
Sehr schöne Leistungen waren auch von Oliver Sewell als Narraboth sowie Constance Jader als Page zu erleben.
Die im Hintergrund der Bühne positionierten Bremer Philharmoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten Stefan Klingele spielen eindrucksvoll auf. Klingele ist spätestens seit Nonos Intolleranza in Hannover mit der Zähmung von ungewohnten Orchesteranordnungen auf verschiedenen Raumebenen vertraut. Auch in Bremen stellte er souverän sicher, dass die Sänger niemals durch einen übergroßen Instrumentalsound zugedeckt werden. Allerdings könnte der Klang vereinzelt intensivere rhythmische Pointierungen, etwas mehr Durchsichtigkeit und souveräne Übergänge vertragen.
Das Bremer Publikum wusste die Leistungen des gesamten Teams dieser herausragenden Premiere mit begeistertem Applaus und vielen bravi-Rufen anzuerkennen und zu feiern.
Achim Dombrowski
Copyright: Jörg Landsberg
05. Februar 2024 | Drucken
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