Die Soldaten
Staatstheater Nürnberg
Premiere am 17. März 2018
Bernd Alois Zimmermanns 1965 in Köln uraufgeführte Oper Die Soldaten ist auch heute noch eine Herausforderung für jede Bühne, die sich an das Mammutwerk herantraut. Die Oper basiert auf dem Text der gleichnamigen Komödie von Jakob Michael Reinhold Lenz aus dem Jahre 1771, wobei der Gattungsbegriff Komödie bei dieser tragischen Sozialstudie schwer nachzuvollziehen ist. Lenz, einer der bedeutenden Vertreter des Sturm und Drang, schildert gesellschaftliche Ächtung und Untergang eines bürgerlichen Mädchens, welches, nachdem sie von einem adligen Offizier verlassen wird, nachgerade gemäß der gesellschaftlichen Prophezeiung zur Hure herabsinkt.
Die Umsetzung erfordert einen gewaltigen Orchesterapparat, der in Nürnberg z B mit Teilen seines Schlagwerks in den Hinter- und Seitenbereichen der Bühne oder einer der Proszeniumslogen positioniert ist und weiterhin eine große Zahl hervorragender Sänger, die selbst ein so leistungsfähiges Haus wie Nürnberg nicht allein aus dem eigenen Ensemble besetzen kann.
Es erstaunt zunächst, dass der Regisseur Peter Konwitschny zusammen mit seinem Bühnen- und Kostümbildner Helmut Brade sowie der Lichtregie von Karl Wiedemann bei all diesem gewaltigen Aufwand im Kern ein Kammerspiel inszeniert, in welchem die Handlung präzise auf die Begegnung der handelnden Protagonisten konzentriert ist. Der Sinn wird schnell klar: so können Begegnung und Deformation durch die typisierten Charaktere wie der Mutter, der Soldaten, des ehrgeizigen Vaters etc., die die ihnen anvertrauten Individuen prägen und letztlich den Zustand einer Gesellschaft bewirken, präziser verdeutlicht werden. Besonders klar wird dies in der zweiten Szene des zweiten Aktes. Zimmermann entwickelt darin drei verschiedene Handlungszweige, welche „wie auf Inseln“ auf der Bühne optisch voneinander getrennt spielen sollen, musikalisch jedoch gleichzeitig verarbeitet werden. Konwitschny hingegen lässt alle handelnden Personen in einem großen Bett, gewissermaßen einer einzigen, eigentlich intimen Insel, spielen. Hier geistern Maries Großmutter und Stolzius‘ Mutter, für die Marie schon immer eine Soldatenhure gewesen war, durch die Handlung. Mutter und Großmutter sind für ihre Kinder und Enkel omnipräsent, sie können ihnen und ihrem fatalen, manipulativen Gesellschaftsbild ein Leben lang nicht entkommen. Die Szene gipfelt in einer inzestuösen Begegnung zwischen Stolzius und seiner Mutter. Eine ähnliche sexuelle Nähe wird später auch zwischen er Gräfin de la Roche und ihrem Sohn angedeutet. Ergebnis ist unausweichlich die Zerstörung des Individuums. Die handelnden Personen werden unter dieser Prägung schuldlos-schuldige Täter und Opfer zugleich.
Auf gesellschaftlicher Ebene erfolgt gewissermaßen übergangslos und für den Einzelnen unausweichlich eine Einordnung, bzw. Abrichtung in Vorgesetzte, Befehlsempfänger, und umfassende Hierarchien. Dabei wird bei Konwitschny der Soldatenstand in eine heute sichtbarere soziale Gruppe, nämlich Manager der Wirtschaft oder Banker in Anzug und Krawatte sowie mit Laptop übersetzt. Bei den Frauen werden die Gesellschafterinnen der Gräfin in das Einheitsbild immer gleich kostümierter Karrierefrauen, etwa wie in einem Vorstandsbüro der Wirtschaft, gezeigt.
Im vierten Akt werden alle Zuschauer der Vorstellung auf die Bühne geführt. Die Darsteller lesen zunächst die Texte der ersten Szene von weit oben im Bühnenraum, danach folgt die musikalische Umsetzung. Es wird ein Tribunal über Marie abgehalten, welches ohne die in der Handlung vorgesehenen Filmeinspielungen und andere Effekte auskommt. Deren Ängste, Albträume und Verlorenheit werden für die mitten in Musik und Gesang stehenden Zuschauer physisch nachvollziehbar. Die von Zimmermann angestrebte „Kugelgestalt der Zeit“ findet eine schlüssige Umsetzung in dem den Betrachter umgebenden runden Klangtheater. Erschütternd Maries Begegnung mit ihrem Vater, der sie nicht erkennt mitten unter den Zuschauern. Die Konsequenzen der gesellschaftlichen Systematik werden greifbar und ergreifend in der Verlorenheit der Individuen spürbar. Die Betroffenheit aller Betrachter kann größer nicht sein. Zur Empfinden des Entsetzens braucht die Inszenierung nicht die in Zimmermanns Original vorgesehene Darstellung von Soldaten und in den Krieg ziehenden Armeen sowie weiterer Effekte.
Es ist hier unmöglich, den solistischen Leistungen des Abends auch nur annähernd gerecht zu werden. Stellvertretend für die durchwegs großartigen, in Teilen wirkungsvoll-skurrilen Charakterbilder und stimmlich stupenden Umsetzungen der ausnahmslos schwierigen Partien seien zuerst genannt: die hervorragende Marie der Susanne Elmark, ihre Schwester Charlotte, verkörpert von Solgerd Isalv und Tilmann Rönnebeck als Gast aus Dresden als Maries Vater Wesener. Der adlige Verführer Desportes von Uwe Stickert sowie die Gräfin de la Roche von Sharon Kempton überzeugten ebenso wie Jochen Kupfer als Stolzius, Alexey Birkus als Obrist sowie Ludwig Mittelhammer als Mary. Die Mitglieder des Chores als Offiziere (Banker) und der Leitung von Tarmo Vaask , die Jazz-Combo und die Statisterie rundeten den engagierten Abend wirkungsvoll ab.
Die Staatsphilharmonie Nürnberg unter ihrem Generalmusikdirekter Marcus Bosch hat sich die Klangwelten von Zimmermann mit großer Meisterschaft erarbeitet. Sowohl die Klangballungen mit aufwendigem Schlagzeug wie auch die sensible Klangstruktur aller anderen Instrumentengruppen werden in einem beeindruckendem Klangkonzept hörbar gemacht.
Trotz der hohen Anforderungen des Werkes gibt es anlässlich des 100. Geburtstags des Komponisten in diesem Jahr noch weitere Neuproduktionen, u a auch in der Uraufführungsstadt Köln, die sich angesichts der Komplexität des Opus Magnum ursprünglich so schwer tat mit der Realisierung und die Oper zunächst als unspielbar abgelehnt hatte. In Nürnberg ist dies schon die zweite Produktion des Werkes seit 1974. Sicher ist schon jetzt, dass sich diese Neuinszenierung vom Altmeister Konwitschny und einem an die Grenzen des Engagements gehenden Ensembles einen prominenten Platz in der Aufführungsgeschichte des Werkes erarbeitet hat.
Achim Dombrowski
20. März 2018 | Drucken
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