Staatsoper Berlin: Glückliche Tage im Endspiel

Xl_bild_1 © Monika Rittershaus

 

Staatsoper Unter den Linden Berlin

 

Fin de Partie

Musik von György Kurtág 

Text von Samuel Beckett

Premiere 12. Januar 2025

Basierend auf seiner lebenslangen Faszination für das Werk von Samuel Beckett und nachhaltiger Ermutigung durch den Intendanten Alexander Pereira schuf György Kurtág  seine einzige Oper, die 2018 an der Scala in Mailand ihre Uraufführung erlebte. Zu diesem Zeitpunkt war der Komponist 92 Jahre alt. Dabei gibt es bis heute keine autorisierte Endfassung. Kurtág besteht weiter auf einem work in progress.

Als erste Inszenierung des Kalenderjahres bringt nun die Staatsoper Unter den Linden die Oper in Berlin zur Uraufführung, nachdem bereits Produktionen in Amsterdam, Wien, und Dortmund der Scala gefolgt waren. Daneben gab es diverse konzertante Aufführungen.

Eine Handlung im eigentlichen Sinne gibt es nicht. Der Zuschauer erlebt vier Personen nach einem apokalyptischen Ereignis auf dem Weg zum Ende der Welt. Alle sind körperlich oder geistig versehrt und als Individuen nicht überlebensfähig. Nell und Negg haben ihre Beine verloren und sitzen in zwei Mülltonnen; ihr Sonn Hamm ist erblindet und an den Rollstuhl gebunden und der  Diener Clov hinkt und kann nicht sitzen.  Alle vier befinden sich damit mehr oder weniger im Zustand einer physischen oder psychischen Abhängigkeit voneinander und hoffen, dass der aktuelle Zustand vorübergeht, ohne dass sie etwas beitragen könnten. 

Trotz dieser bedingungslosen Verbundenheit begegnen sich die Personen mit Verachtung und Hass. Es kommt zu Versuchen der Individuen, Macht über mindestens eine der anderen Personen aufzubauen und auszuüben, bzw. diese ihre Unterlegenheit spüren zu lassen. In gewisser Weise entsteht eine Bindung durch die gegenseitige Abscheu und den Hass.   

Für den Regisseur Johannes Erath geht es in der Entwicklung des Stücks nicht nur um die düsteren Elemente, die ohnehin vorhanden sind, sondern insbesondere auch um die glücklichen Erinnerungen und Tage, die die vier Personen der Handlung offensichtlich auch erleben durften und durch welche erst ein Spannungsverhältnis zu der aktuellen aussichtslosen Situation entsteht. Dazu sehen wir – wie in einem Rahmenbild - zu Beginn und am Schluss Nell wie die Winnie aus Becketts „Glückliche Tage“ aus einem Erdhügel schauen und scheinbar in aller Glückseligkeit das Leben genießen und erinnern.   

Das Bühnenbild von Kaspar Glarner mit den Kostümen von Birgit Wentsch (Lichtkunst Olaf Freese) und die Videokunst von Bibi Abel kreieren einen phantastischen Orbit von realen und irrealen Ansichten und dynamischen Erlebniswelten, die im weiteren Verlauf den Betrachter kurzfristig an seinem eigenen Seh- und Wahrnehmungsfähigkeiten zweifeln lassen. Auch hier prägen – immer stärker ineinander verschwimmende  – Erinnerungsfetzen an vorangegangene aktive und immer wieder glückliche Lebenswelten das Bild. Manchmal gar scheint das Fest gar nicht zu Ende zu sein. Elemente aus dem Zirkus, Varieté und vom Jahrmarkt prägen das Bild.        

Auch bei der Sängerbesetzung – alle vier Protagonisten geben ihre Rollendebuts - besteht das Glück oft im hier und jetzt. Der grandiose Hamm von Laurent Naouri besticht durch eine klangschöne Stimmbeherrschung der intrikaten und schwierigsten Partie des Werkes. Nicht trostlose, depressive Verschattung prägt seine stimmliche und darstellerische  Rollendarstellung, sondern melancholisches, heiteres Loslassen von den Zwängen des Tagesgeschehens, der Erinnerungen im Diesseits. Bei aller machtheischenden Boshaftigkeit existieren ganz offensichtlich Rückbezüge zu lebenswerten Momenten oder Phasen in den vorangegangenen Lebensphasen.   

  Die Partie des Clov schreit geradezu nach einem expressiven Sängerdarsteller wie Bo Skovhus. Mal unterwürfig, mal herausfordernd begegnet er seinem Herren Hamm und kann sich doch nicht lösen aus dieser Abhängigkeit. Der Sänger wird der mit oft rezitativischer Stimmführung mit großen Tonsprüngen und anspruchsvollen rhythmischen Herausforderungen gekennzeichneten Partie glanzvoll und mit seiner üblichen, höchsten Intensität gerecht.        

Die Nell von Dalia Schaechter und der Nagg von Stephan Rügamer haben Gelegenheit, ihre komische, ja clowneske Darstellungs- und Gesangskunst unter Beweis zu stellen. Indem auch sie die glücklich-melancholischen Erinnerungselemente hervorgehoben gestalten, können sie die gesamte Palette ihrer stimmlichen Möglichkeiten bei diesen schwierigen Partien ausspielen – dies gelingt ihnen mit Bravour.   

Der Musikstil ist minimalistisch, bei insgesamt großem Orchesterensemble mit ca. 60 Musikern. Die Partitur ist rhythmisch eigenwillig und mit vielen Taktwechseln versehen. Ein sehr spezifischer Sprechgesang orientiert sich gestisch genau am Text, welcher etwa 60% des Originals von Beckett übernimmt. Die Tonsprache entwickelt sich sodann in weitergehende atmosphärische und psychologische Farben und Deutungen, die dem Zuhörer die individuelle Deutung letztlich selbst überlässt.

Die Staatskapelle Berlin mit Alexander Soddy bewährt sich in ihrer anscheinend unbegrenzten Meisterschaft auch bei den sehr speziellen Anforderungen der Partitur dieses Werkes und glänzt in äußerst differenzierten Klangdetails mit vielen Solo-Instrumentalelementen, wozu auch der Einsatz von Cimbalon und Celesta gehören. Soddy führt das Ensemble mit höchstem Einfühlungsvermögen durch die rhythmisch komplexe Struktur.

Das Publikum reagierte mit großer Begeisterung, langem Applaus und vielen Bravorufen für das gesamte künstlerische Team.      

 

Achim Dombrowski

Copyright: Monika Rittershaus

 

 

 

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