Roméo et Juliette
(Charles Gounod)
Staatsoper Unter den Linden, Berlin
Premiere am 10.11.2024
besuchte Aufführung am 24.11.2024
Die bekannteste Liebesgeschichte der Welt, eine großartige Sängerin als Juliette, ein brillierendes Orchester - warum kommt diese Aufführung der Neuproduktion von Gounods Oper Roméo et Juliette an der Staatsoper Unter den Linden nicht in Fahrt?
Die weltweit vielbeschäftigte Regisseurin Mariame Clément lässt durch Julia Hansen, ihre Bühnen- und Kostümbildnerin eine erdrückend langweilige Welt der Capulets auf die Szene bringen. Als Farben überwiegen beige-grün oder beige-rosa.
Die Bühne zeigt die bedrückende Perspektive Juliettes, die an der Enge ihres Elternhauses, der Spießigkeit der sie umgebenden Gesellschaft leidet. Die Schule des Lehrers Frère Laurent erscheint ebenso öde wie der öffentliche Sportplatz, auf dem sich die Capulets und die Montaigus ihre tödliche Auseinandersetzung liefern.
Die Montaguis werden in der Oper im Gegensatz zu Juliettes Familie weniger detailliert dargestellt. Roméo und seine junge Entourage laufen mit gefärbten Haaren und bunt-poppigem Outfit auf, um ihre Distanz zur Gesellschaft zu zeigen, wirken jedoch in Gestik und Gehabe ein wenig wie die bunten Abbilder der Erwachsenenwelt der Capulets - da hilft auch die non-binäre Figur Stéphanos wenig. Die Regisseurin vermutet einen sozialen Konflikt zwischen den Familien, ohne diesen bühnenwirksam umsetzen zu können.
Eine Gegenwelt entsteht in den Nachtwelten der Liebenden im dunkel-getönten Fantasie-Licht von Ulrik Gad und der Video-Kunst von Sébastien Dupouey. Diese trägt jedoch nicht den zukunftsfähigen Optimismus einer ersten unwiderstehlichen Liebe in sich, sondern gemahnt im Zweifel atmosphärisch an Ängste, vielleicht konkret angesichts der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen oder abstrakter aus Todessehnsucht im Angesicht der Überwältigung durch die Transzendenz der Liebe.
Juliette insbesondere handelt widersprüchlich, nicht vornehmlich wie eine moderne junge, in Haltung und Selbstbewusstsein erstarkende Frau, sondern gibt sich oft eher wie ein ungezogenes Kind in wenig attraktiver Kleidung und blauen Haaren. Clément vermutet im Interview des Programmheftes bei ihr ein „...ambivalentes Verhältnis zu Leben und Tod...“.
Die Rolle von Frère Laurent ist umgedeutet. Anders als in der Vorlage ist er kein Pater, sondern ein Religionslehrer, der irgendwie Frieden stiften will, allen Konflikten aus dem Weg zu gehen versucht und auf Ruhe und Abwarten dringt, wodurch er ungewollt zur Eskalation beiträgt. Ein letztlich verantwortungsloser Mensch, der durch sein Weggucken die Situation erst in die Katastrophe treibt – Sinnbild eines schwachen, konfliktscheuen, heutigen Erziehers, der Mitschuld trägt.
Was sich als theoretisches Konzept interessant anhört, besteht den realen Bühnentest ganz und gar nicht: der Betrachter leidet den gesamten Abend an der trostloser Ausstattung und nicht vorhandener Personenführung.
Ein überflüssiges Ballett in der wenig begeisternden Choreographie Mathieu Guilhaumon verlängert den bereits mühsamen Abend.
Spannung kommt trotzdem immer dann auf, wenn Elsa Dreisig als Juliette auf der Bühne ist, und mehr noch: wenn sie singt. Die Partie sitzt ihr perfekt in der Stimme, ihre jugendliche Ausstrahlung überträgt sich auch in ihr charismatisches Spiel. Es entsteht ein immerwährender Spannungsbogen zwischen der Dreisig und dem Orchester, wann immer sie auf der Bühne ist. Die optisch trauersame Sichtweise der Regie wird durch ihre physische Erscheinung nachgerade konterkariert.
Der Roméo von Petr Nekoranec gibt ein zwiespältiges Bild. Der Auftritt macht nicht den Eindruck, dass der Tenor diese Partie schon oft gesungen hat. Die Höhen sind angestrengt und der Zusammenklang der Stimme mit derjenigen der Juliette klingt nicht nach der Entdeckung einer perfekten Klangstruktur wie sie das bekannteste Liebespaar der Welt verdienen würde.
In den weiteren Partien kann die Staatsoper auf ihr Ensemble vertrauen. Die Gertrude wird von der in Darstellung und Stimme immer überzeugenden, fast überbesetzten Marina Prudenskaya verkörpert. Tybalt ist Johan Krogius, Pâris David Oštrek und Vater Capulet wird als eine übereifrige Vaterfigur von Arttu Kataja verkörpert. Stéphano kommt in einer non-binären Rolleninterpretation von Ema Nikolovska daher – alle mit besten Leistungen, aber angesichts des matten Konzepts schwacher Gesamtwirkung.
Der Staatsopernchor unter der Leitung von Dani Juris überzeugt in seinen Aufgaben und die Staatskapelle Berlin beweist einmal mehr, mit welcher Stilsicherheit sie sich die verschiedensten Musikstile zu eigen machen kann. Unter der Leitung von Stefano Montanari entsteht ein klangschöner, fein abgestufter, leuchtender – im wahrsten Sinne französischer - Orchesterklang, bei dem viele Instrumentengruppen und -solisten auch makellos individuell brillieren.
Die Balance zwischen Graben und Bühne stimmt und die orchestrale Klangwelt vermag denn doch immer wieder eine einnehmende Atmosphäre zu kreieren.
Das Publikum feiert Elsa Dreisig, applaudiert den weiteren Solisten und feiert zu Recht das Orchester unter Montanari. Allerdings verließen kurz vor dem Ende der Vorstellung nicht wenige Zuschauer auf allen Rängen das Haus, was die sensiblen musikalischen Klänge des tragischen Ausgangs empfindlich störte.
Achim Dombrowski
Copyright: Monika Rittershaus
27. November 2024 | Drucken
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