Staatsoper Hamburg: Scheitern am Troubador bringt Publikum in Rage

Xl_02_il_trovatore_c_brinkhoff-moegenburg © Brinkhoff/Mögenburg

Hamburgische Staatsoper

 

Il trovatore

(Giuseppe Verdi)

 

Premiere am 17. März 2024

An Verdis Troubador zu scheitern ist OK – fast möchte man sagen: der Normalfall  – die Frage bleibt, ob ehrenhaft oder nicht so ehrenhaft. 

Von Anfang an wachte kein guter Stern über der Neuinszenierung des trovatore der Staatsoper. Die ursprünglich vorgesehene Regisseurin Annilese Miskimmon sagte nur wenige Monate vor der Premiere ihre Mitwirkung ab. Gründe wurden nicht genannt, aber die Künstlerin ist im Leitungsteam der English National Opera in London, die durch schwere Zeiten geht, u.a. mit einem stark umstrittenen Umzug aus der Hauptstadt nach Manchester. 

Der Regisseur Immo Karaman übernahm. Es fing gar nicht so schlecht an. Karaman fokussierte auf die die Jahrhunderte durchziehende Geschichte der Bürgerkriege in Spanien, beginnend mit der Handlung des Librettos im 15. Jahrhundert bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts.

Die Konflikte werden auf den Kampf zwischen den gesellschaftlichen Schichten konzentriert. Keine Zigeuner, keine Nonnen. Stattdessen trifft die herrschaftliche Elite auf die Gruppen von Dienern und Untergebenen oder Außenseitern.    

Die Handlung spielt im Einheitsbühnenbild eines zerfallenden Palazzo (Bühne: Alex Eales). Dazu wird allerlei Feuerzauber (Video: Philipp Contag-Lada) geboten, die Kostüme aus den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts verantwortet Herbert Barz-Murauer. 

Der Regisseur ist nicht nur auf der Suche nach den Grausamkeiten und den Folgen der Kriegshandlungen über die Generationen, sondern entschieden auch nach toxischer Männlichkeit. Da wird schon mal eine Dienerin von Männern zum Spaß angezündet, und Graf Luna – der Schlimmste von allen – vergewaltigt eine Bedienstete vor versammelter Mannschaft. Dass er während des Miserere vor den Augen Leonoras  sich zum großen Essen (besser: Fressen) setzt, ist da nur eine Bagatelle. 

Leonora erscheint im zweiten Teil plötzlich hochschwanger auf der Bühne, was bei der unendlichen Anzahl jetzt schon existierender, blödelnder Troubador-Witze zusätzlich die Frage provoziert, von wem denn das Kind wohl ist, nachdem sie zuvor in der Nacht ja schon einmal kurz Luna mit Manrico verwechselte...       

Manrico mit den beleidigten Macho-Ausbrüchen seiner gebrochenen, sterbenden  Leonora gegenüber, der er ganz offensichtlich jeden Verrat zutraut, bevor er erfährt, dass sich diese selbst vergiftete, um ihm treu zu bleiben, kommt hingegen ganz ohne korrekten Zeigefinger und den Vorwurfs der Toxik davon, vermutlich vor dem Hintergrund der Gnade seiner (vermeintlich) niederen gesellschaftlichen Position.

Alles ganz toll und ganz korrekt zeitgeistig.

Die musikalische Seite präsentierte sich schon besser: 

Grandios das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter der Leitung von Giampaolo Bisanti. Präzise, zupackend, jede dreiviertel-Takt-Seligkeit meidend, durchhörbar und in guter Balance zu den Sängern. Ein packendes, mit exaktem Rhythmus dem Geist und der Geste des mittleren Verdis entsprechendes, äußerst engagiertes Spiel – musikgewordene Italianità wie lange nicht mehr am Hamburger Haus.

Die Leonora von Guanqun Yu besticht vor allem im ersten Teil durch makellose, nachgerade akrobatische Gesangslinien und Koloraturkunst.  

Graf Luna von Aleksei Isaev bietet klangschönes Belcanto, wenn auch gesangliche Pointierungen an entscheidenden Stellen markanter und differenzierter klingen könnten. 

Die Azucena von Elena Maximova besticht durch makellose Technik, geschmackssichere Stimmführung ohne jede übertriebene Geste der verzweifelten Außenseiterin. 

Ein nachgerade tragisches Schicksal - wie in einem Albtraum für Tenöre - überkam den Manrico von Gwyn Hughes-Jones. Nach einem soliden Beginn, in dem das Organ mitunter leicht monochrom klang, arbeitete sich der Sänger zu schönen, auch leisen Phrasen vor. Doch später - während der Arie di quella pira  brach die Stimme bereits in den höheren Lagen und der Künstler konnte schließlich die so berühmt-berüchtigten hohen Spitzentöne kaum mehr markieren. Was für ein Gefühl muss es sein, auf der Bühne zu stehen, und schon zu wissen, dass die Stimme versagen wird? Den wütenden Buhrufen von Teilen des Publikums stand der gemeinschaftlich demonstrative Applaus der Sängerkollegen am Schluss gegenüber.  

Eine untadelige und äußerst spielfreudige Leistung erbrachte Alexander Roslavets als Ferrando. 

Der Chor der Staatsoper Hamburg unter der Leitung von Christian Günther brachte sich exzellent in das vom Orchester vorgegebene Brio ein. Lediglich die wie eine Art Traumwandelei wirkende, unmotivierte Choreographie von Fabian Posca hätte man sich ersparen können.     

Viel Applaus für die Sänger, Proteste für den gebeutelten Tenor. Viele Bravorufe für das Orchester und seinen Dirigenten.

Als das Regieteam vor das Auditorium tritt, um die aufgeheizten Missfallenskundgebungen des Publikums entgegenzunehmen, zeigt sich eine Gruppe ausschließlich weißer und alter Männer, die aber die hippen Regeln aktueller gesellschaftlicher Korrektheit ganz offensichtlich schon gut verinnerlicht haben. So bleibt für die nächste Produktion die Hoffnung auf eine begabtere Frau als Regisseurin.  

Achim Dombrowski

Copyright Fotos: Brinkhoff/Mögenburg

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