Staatsoper Hannover
Messa da Requiem
(Giuseppe Verdi)
Szenische Aufführung
Premiere am 31. Mai 2024
Die Totenmesse Giuseppe Verdis hat noch lange nicht den Reiz für szenische Umsetzungen in der Oper oder im Ballett verloren. In Hannover stellt sich ein Team um die Regisseurin Elisabeth Stöppler mit Katja Haß für die Bühne, Gesine Völlm für die Kostüme sowie Elana Siberski für die Lichtregie dieser Aufgabe.
In einem Eissport-Sportstadium, das seltsam entfremdet wirkt, treffen Menschen aller Art zusammen, wie sie sich zufällig auf den Straßen der Stadt begegnen können. Sie alle gedenken auf unterschiedliche Weise der Begegnung mit dem Tod. Sie sind als Individuen präsent und doch in stiller Gemeinschaft. Vielen – nicht nur den Sängern der Solo-Partien – sind Elemente zu Narrativen aus ihrem Leben zugeordnet, wenn auch nur bruchstückhaft nachvollziehbar. Angesichts der Gewalt der Begegnung bleiben sie in dieser undefinierten Gemeinschaft und Solidarität einsam – jeder auf seine Weise – und doch erfahren sie durch Zuhören und Sich-Hineinversetzen in die anderen auch Erleichterung, vielleicht gar Erlösung in ihrem Schrecken, in ihrer Trauer.
Unmerklich fast beginnt Heinrich Horwitz als non-binäre Sprecher:in, einen Text vorzutragen, ein Monolog des Tabubruchs im Angesicht des Todes – die anderen hören zu, vollziehen einen – fast unbewussten - Ritus seiner Verkleidung mit einem roten, bunten und schrillen Kostüm zu den Worten, mit welchen dieser Mensch seine Transzendenz umkreist. Es klingt nicht verzweifelt, es klingt wundersam neugierig, befreiend und gleichsam bereit für einen Übergang. Diese Szene mündet in eine Schweigeminute, die zugleich Auslöser für die anderen Solisten wird, ihre eigenen Gefühle, Ängste und ihre Wut zu artikulieren.
Die Kostüme der Gesangs-Solisten tragen die Grundfarben des niederländischen Malers Piet Mondrian – dazu sprechen sie in den Sprachen ihrer Herkunftsländer Texte von Martin Mutschler, die auf dem Charakter der Musik basierend den Sängern individuelle Psychogramme ganz unterschiedlicher Art zuordnen.
Die Sopranistin Barno Ismatullaeva spricht den Text in ihrer usbekischen Heimatsprache, in der Darstellung eine Sängerin, ursprünglich inspiriert durch das Bild der erkrankten, hochbegabten Cellistin Jacqueline du Pré. Ihr ist die Farbe Gelb zugewiesen. Die Altistin Monika Walerowicz, in blau gekleidet, eine Diakonissin, die ihren Text in der Muttersprache polnisch vorträgt. Der schwarz gekleidete Bass von Shavleg Armasi aus Georgien, der als Intellektueller hilflos und wütend seinen eigenen Verfall erleben muss. Rein äußerlich leichtgewichtiger, der in weiß-schimmerndem Kostüm tänzelnde, verzweifelt sein Ego feiernde, gegen den Tod verteidigende spanische Tenor José Simerilla Romero.
Die naturgegebene Verfremdung durch die in den verschiedenen Landessprachen vorgetragenen Texte wird durch die Menschen auf der Bühne auf geheimnisvolle Weise konterkariert – sie alle finden zu einer im Schmerz vereinten Gemeinschaft zusammen. Dazu bei trägt auch die fantasievolle Lichtregie von Elana Siberski, die wiederholt mit blendenden Scheinwerfern in das Publikum weist, wodurch der Blick des Betrachters unscharf wird.
Barno Ismatullaeva vermag ihrem ausdrucksstarken Sopran alle Schattierungen und dynamischen Steigerungen dieser herausfordernden Partie zu meistern. Man kann nicht immer unterscheiden, ob ihre große Ausstrahlung mehr durch ihr mutiges Spiel oder die überwältigende Spannkraft ihrer Stimme getrieben wird.
Ganz anders die Altistin Monika Walerowicz, die mit feiner, samt-weicher Modulation und Innerlichkeit die Rolle einer hingebungsvollen, liebenden und fürchtenden Frau verkörpert.
Der spanische Tenor José Simerilla Romero scheint nur anfangs ein ganz leichtlebiger Charakter zu sein. Schnell wird seine scheinbar lockere Geste durch übermotorisches und übereifriges Spiel entlarvt. Das tendenziell leichte Tenor-Timbre seiner schönen Stimme bildet dazu eine ideale Verbindung.
Shavleg Armasi spielt seinen dunkel-grundierten Bass mit aller Macht aus, um die Verzweiflung eines Intellektuellen im Angesicht des Todes zu personifizieren. Seine flexible Stimmführung ermöglicht ihm dabei jedwede Regung, wie Angst, Wut, Zweifel unmittelbar und authentisch umzusetzen.
Der Chor und Extrachor der Staatsoper Hannover steht unter der bewährten Leitung von Lorenzo da Rio. Vom Beginn mit leisesten, aber exakt gesungenen Pianissimi bis hin zu den großen, mächtigen Forte-Ausbrüchen bietet dieses Kollektiv eine beeindruckende und teilweise erschütternde gesangliche Darstellung der so vertretenen Menschen.
Das Niedersächsisches Staatsorchester Hannover unter James Hendry spielt exakt und durchhörbar, trifft den Duktus der Verdi’schen Musik authentisch mit präziser Rhythmik und disziplinierter Taktgebung.
Das Publikum findet nach dieser Auseinandersetzung mit dem Tode wie in einer Befreiung schnell zu großem, lang anhaltendem Jubel. Ein ausdauernden Einzelgänger ruft seine Buhs für die Regie ebenso unermüdlich in den Saal.
Achim Dombrowski
Copyright Fotos: Sandra Then
03. Juni 2024 | Drucken
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