Staatstheater Stuttgart Nixon in China - Amerika, heroisch

Xl_fullsizeoutput_10c2 © Matthias Baus

Staatsoper Stuttgart

Johns Adams

Nixon in China

Premiere am  7. April 2019

Besuchte Aufführung: 9. Mai 2019

Die heroische Oper Nixon in China des zeitgenössischen amerikanischen Komponisten John Adams, Text von Alice Goodman, uraufgeführt in Houston im Oktober 1987, wurde in Stuttgart neu erarbeitet und hier erstmals überhaupt gezeigt. 

Die Handlung der Oper schildert äußerlich vereinzelte Geschehnisse auf der legendären Reise Richard Nixons zu Mao Tse-tung im Jahre 1972. Dabei wechseln Begegnungen der Politiker bei Staatsakten zum Beispiel am Pekinger Flughafen, in der Großen Halle des Volkes oder bei der Aufführung einer konterrevolutionären Muster-Ballett-Oper mit privaten Momenten der Staatsmänner oder der Gattin Nixons, Pat, beim Gang durch Peking. Das Werk mündet in eine Szenerie innerer Einkehr der wesentlichen Protagonisten mit melancholischen Selbstreflexionen über die eigene, sehr individuelle, private Vergangenheit und die Frage Chou En-Lais: Wieviel von dem, was wir getan haben, war gut?  

Wesentlicher inhaltlicher Aspekt ist auch die vom amerikanischen Präsidenten unausgesetzt angestrebte mediale Wirkung von live Fernsehübertragungen bzw. weiterer Berichterstattung zum Ereignis und seiner Person, bzw. die Wirkung auf die Zustimmungsquote seiner Wählerschaft zuhause in den USA. Letztlich wird die Frage nach dem Zusammenhang von Motivation und Wirkungsgehalt politisch verantwortlicher Handlungsträger im Hinblick auf gesellschaftliche Entwicklungen berührt. 

Es gibt jedoch keine eindimensionalen Erklärungsangebote für persönliches politisches Handeln. Vielmehr wird in der Gegenüberstellung von öffentlich politischem Auftritt und ganz privater Konditionierung der handelnden Personen ein unergründlicher, nachgerade rätselhaft kosmischer Wirkungsmechanismus beleuchtet, der je mehr man ihm nachforscht, desto unergründlicher verbleibt. Ein so in vielerlei Hinsicht schwacher, medienabhängiger, später innenpolitisch skrupelloser Mann wie Richard Nixon führt die Öffnung zwischen den beiden Nationen USA und China, und damit indirekt Chinas Aufstieg zu einer wirtschaftlichen, politischen und militärischen Großmacht herbei? Ein philosophierender, leisetretender Mörder wie Mao Tse-tung erwidert den Handschlag des Vertreters der kapitalistischen, gegnerischen, soeben noch bekämpften Großmacht? Was bewegt diese Politiker im Moment des Handelns und was bewirkt dies für die Glaubwürdigkeit der politischen Systeme?  

Die post-minimalistisch geprägte, musikalische Struktur der Partitur tut ihr Übriges: in einer Mischung aus monotoner, modulierender Rhythmisierung und changierender melodischer Klangfarbenentwicklung gerät der Zuhörer in eine Art Betäubung, welche die Handlungselemente und Motivationen verschwimmen lassen. Adams ergänzt diese Klangcluster immer wieder mit romantischen z B auf Wagner und Richard Strauss basierenden, wie auch aus dem Jazz stammenden Motiven und Elementen. Man kann sich die Faszination der Musik auf die Zeitzeugen in den achtziger Jahren im damaligen Kosmos vielseitiger Lebensexperimente und politischer Bewegungen gut vorstellen, auch wenn man heute die monotonen, repetierenden und in Teilen langen musikalische Entwicklungsbögen ermüdend empfinden mag. 

Hinsichtlich des inhaltlichen Bedeutungsgehaltes drängen sich heute jedoch Parallelen auf. Handlungsweisen und Rhetorik von amerikanischen, asiatischen oder anderen Politikern werden heute mindestens so unerklärbar und traumwandlerisch empfunden wie in den 80er Jahren. Die unkalkulierbaren Wirkungen der fortgeschrittenen Medien- und Informationsgesellschaft mit einer sich weiter verstärkenden System- und Demokratiemüdigkeit erzwingt geradezu eine erneute Hinterfragung des Werkes.     

Der Regisseur Marco Štorman und sein Team lassen sich nicht auf eine zeitbezogene, platte Aktualisierung ein. In der Bühnengestaltung von Frauke Löffel, den traum-fantastischen Kostümen von Sara Schwartz, der Lichtregie von Reinhard Traub bewegen sich die Figuren der Handlung in einem unwirklich Kosmos, den sie durch eigene Handlungsanstöße bewegen, ohne die weiteren, langfristigen Wirkungen absehen zu können. Aktuelle Politik vertagt zunächst die Frage der Verantwortung.  

Die Regie steigert die betäubende Wirkung noch, z T durch mechanistische, traumwandelnd anmutende Bewegungsabläufe der Statisterie als Parteisoldaten und der Protagonisten und die irisierende Wirkung der Videoprojektionen von Bert Zander auf dem Zwischenvorhang vor der Bühnenhandlung der Ballettaufführung im zweiten Akt.  Während in den ersten beiden Akten äußerlich eine starke Abgrenzung im Gestus der amerikanischen und asiatischen Protagonisten vorherrscht, versiegt die Handlung ins fast nur noch Private im dritten Akt. Momente der höchsten Eigenverzückung der Politiker angesichts der heroischen Großtaten ihres Tuns versickern in nachgerade intimen, kindlichen – der Regisseur nennt es dementen – Erinnerungen an ihre Vergangenheit und Herkunft. Diese Entrückung wird im dritten Akt durch das Verschwinden von Orchester und Chor auf die Spitze getrieben. Wir erleben den Dirigenten und die Souffleuse Jana Frank zusammen mit wenigen Solisten auf einer gänzlich leeren, schwarzen Bühne mit leichten Rauchwolken, die durch den hochgefahrenen Orchestergraben vorne vor dem Publikum agieren. Das Orchester wird über Lautsprecher zugespielt.  

In einem vorsichtigen Vergleich zwischen der Handlung im Jahre 1972 und heute sehen wir: das Spiel geht weiter und wird rätselhaft bleiben. Es besteht jedoch die Notwendigkeit, das Rätsel nicht für sich stehen zu lassen, sondern Erkenntnisse zu den Mechanismen des  Geschehens und den handelnden Individuen sowie die Wirkung politischen Handelns unausgesetzt zu hinterfragen. Gerade weil sie sich uns zunehmend weiter zu entziehen scheinen. Die Frage Chous: Wieviel von dem, was wir getan haben, war gut? und damit nach der Verantwortung politischen Handelns muss immer wieder neu gestellt werden. 

Das herausragende Sängerensemble wird angeführt von Matthias Klink, der die anspruchsvolle und kräftezehrende Partie Mao Tse-tungs mit Verve und einer nachgerade tänzelnden, tiefgründigen Freude am mephistophelischen Gestus des großen Führers gibt. Gan-ya Ben-gur Akselrod weiß den teilweise aberwitzigen stimmlichen Sprüngen und darstellerischen Anforderungen der Partie von Maos Frau Chiang Ch’ing mitunter auch durch ironische Gestaltung Durchschlagskraft zu geben. Ebenfalls auf der Seite der chinesischen Handlungsträger agiert und singt Jarrett Ott mit großer Wirkungskraft einen sehr eigenständigen, intellektuellen, hinter der Maske der Freundlichkeit zurückhaltenden, nicht durchschaubaren Chou En-lai. Michael Mayes als Richard Nixon, Katherine Manley als seine Frau Pat und Shigeo Ishino als Henry Kissinger vervollständigen die amerikanische Delegation gesanglich und darstellerisch perfekt.      

Der Staatsopernchor Stuttgart unter der Leitung von Bernhard Moncado überzeugt als Volk und Parteisoldaten in mannigfachen Bildern und umfangreichen Aufgaben, die mit großem Engagement bestens erfüllt werden.

Das Staatsorchester Stuttgart unter André de Ridder spielt mit großer Spielfreunde und Akribie die teilweise intrikaten rhythmischen und farblichen Vexierspiele der Partitur. Das spezielle Klangbild des Abends wird außerordentlich wirkungsvoll vom Raschèr Saxophone Quartett unterstützt, einem seit 50 Jahren erfolgreichen Saxophonensemble aus Freiburg mit dem Schwerpunkt in der klassischen Musik. 

Das Stuttgarter Haus knüpft mit der Produktion insgesamt sehr erfolgreich auch an die 80er Jahre an, in denen man die minimalistischen Werke von Phillip Glass in der Zusammenarbeit mit Achim Freyer so spektakulär wie erfolgreich umgesetzt, teilweise zur Uraufführung gebracht hat. Die Wirkung erscheint heute intellektuell nicht weniger packend, wenngleich musikalisch nicht mehr ganz so faszinierend. Nicht wenige Besucher verließen das Haus nach dem zweiten Akt. 

Alle anderen spendeten langen Beifall für alle Solisten, den Dirigenten, mit vielen bravi insbesondere für Matthias Klink, Michael Mayes, und Gan-ya Ben-gur Akselrod. 

Achim Dombrowski

Copyright Fotos: Matthias Baus, http://www.matthiasbaus.com

 

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