Staatsoper Unter den Linden Berlin
Camille Saint-Saëns
Samson et Dalila
Premiere am 24. November 2019
Bei der Neuinszenierung einer Oper stellen sich zwei Fragen. Welche neue Sicht eröffnet eine szenische Neuproduktion zum heutigen Verständnis und zur aktuellen Interpretation des Werkes und mit welcher Qualität kann die musikalische Qualität des Abends mitreißen.
Die unterdrückten Hebräer werden von Samson im Aufstand gegen die Philister geführt. Samson, im Konflikt zwischen seiner Liebe zu Dalila und seiner Verpflichtung, die Hebräer zu befreien, verfällt Dalila, die ihn verführen kann und ihm das Geheimnis seiner Kraft entringt. Verspottet und gedemütigt gewinnt er seine Kraft zurück und bringt den Tempel der Philister zum Einsturz.
Was hat sich der Regisseur Damián Szifron wohl gedacht beim wolfshundartigen, lebendigen Schäferhund, der zu Beginn über die Szene irrt, dem kitschig-wandelnden Lichteffekten inklusive Postkartenmond, den unendlichen Pappmaché-Aufbauten auf der Bühne (Ausstattung von Étienne Pluss, Licht von Olaf Freese und Videos von Judith Selenko), der nicht vorhandenen Personenführung sowie den lächerlichen Tanzübungen (Choreographie Tomasz Kajdański) im letzten Akt? Eine Reprise auf das Hollywood der 50er Jahre im Ben Hur Stil? Eine Opernpersiflage im Stile eines Vorstadttheaters aus dem 19. Jahrhundert? Oder eine neuzeitliche Trash-Performance im zynischsten Stil?
Die Kostümbildnerin Gesine Voellm liefert dazu eine veritable Sandalen-Schau mit Bärenfällen, eine Ästhetik wie man sie heute auch im Kindertheater kaum mehr erlebt.
Keine inhaltliche Deutung, nicht einmal der Versuch eines zeitgemäßen, womöglich gesellschaftlichen Bezugs in der gesamten Bebilderung. An der Staatsoper nicht mehr notwendig, nicht mehr gewünscht? Oder hat uns das Werk nichts mehr zu sagen außer einer vagen Ben Hur Reminiszenz?
Vielleicht eine klug kalkulierte Methode einer Kulturinstitution, den in Deutschland sich abzeichnenden konservativen kulturpolitischen Veränderungen durch meinungsfreie oder angepasste Position bewusst oder unbewusst gerecht zu werden? Teile der Beobachter bescheinigen dem Regisseur, dass er von der Textvorlage etwasverstanden habe, geben sich angesichts einiger komisch wirkender Szenen verständig und begrüßen die neue Rückwärtsgewandtheit der Szene. Endlich keine echten Flüchtenden oder Hitlergrüße mehr auf der Bühne. Das ist genauso verbohrt wie Castorfs Macht des Schicksals Desaster an der Deutschen Oper Berlin. Beide Produktionen bedienen die isolierten Echokammern ihrer Anhängergruppen. Ein Abbild des geistigen Zustands und der Haltung in diesem Land?
Die musikalische Seite ist in weiten Teilen grandios. Die Dalila der Elīna Garanča überzeugt durch makellose Stimmführung und eine scheinbar unbegrenzte Kontrolle ihrer tief liegenden Mezzosopran-Stimme. Ihre große Arie singt sie spielerisch im Liegen auf dem Bärenfell. Die ungeheure Disziplin und Beherrschung verbreitet allerdings auch eine gewisse Kühle und Distanz. Man mag empfinden, dass diese Ausstrahlung die Charakterisierung der femme fatale, die diese Rolle beinhaltet, noch steigert. Es entsteht so die Wirkung einer gewissen außer- oder übergeschlechtlichen Ausstrahlung.
Der Amerikaner Brandon Jovanovich ist Samson. Das eher tiefliegende metallische Leuchten seiner Tenorstimme ist eine Idealbesetzung. Zusammen mit seiner imposanten, großen Erscheinung vermag er auch darstellerisch in der Zerrissenheit zwischen politischen Auftrag und als liebender Mann vollumfänglich zu überzeugen.
Michael Volle als Oberpriester des Dagon weiß insbesondere in der Begegnung mit Dalila uneingeschränkt zu überzeugen. Sein geschmeidiger Bariton vermag ohne Brüche sowohl eindringlich melodische Bögen zu formen wie auch in der Einflussnahme auf Dalila suggestive Kraft zu entfalten. Kwangchul Youn als Abimelech und Wolfgang Schöne als Alter Hebräer runden das Ensemble der großen Solopartien perfekt ab.
Der Staatsopernchor unter der Leitung von Martin Wright singt und spielt die nicht kleinen Partien mit großem Einsatz und runder, klangschöner Wirkung. Daneben gibt es barbusige Tänzerinnen und grimmige Stuntmen für den Versuch einer grausamen Anmutung, insbesondere im dritten Akt.
Die Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim wird dem samtenen Wohlklang der Partitur außerordentlich gerecht. Die Instrumentengruppen schwelgen in den Melodiebögen und sind ausnahmslos frappierend durchhörbar und im Verhältnis zueinander optimal ausgewogen. Dabei gelingt zudem eine durchgehend energiegeladene Dynamik, die keinerlei Spannungsabfall erlaubt. Grandios!
Die Oper ist und bleibt jedoch der Versuch eines Gesamtkunstwerkes, das in einer Realisierung in einem Opernhaus auch einer angemessenen szenischen Umsetzung bedarf.
Das Publikum bejubelt die Sänger und die Staatskapelle mit Daniel Barenboim lange und herzlich. Das Regieteam entfacht einen im Hause der Staatsoper lange nicht erlebten Buh-Sturm, der auch nicht nachlässt, als Daniel Barenboim dem Regisseur Damián Szifron den Rücken stärken will, indem er mit ihm zusammen in demonstrativer Geste mit erhobenen Armen vor das Publikum tritt.
Achim Dombrowski
Copyright Photos: Matthias Baus
26. November 2019 | Drucken
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