Traumerlebnisse in der toten Stadt

Xl_c87a6629-345e-4dda-988e-d2fd8bbd1ccb © Paul Leclaire

Oper der Stadt Köln

Erich Wolfgang Korngold

Die Tote Stadt

Premiere am  5. September 2021

Besuchte Vorstellung am 7. September 2021

Die Tote Stadt basiert auf dem Roman Bruges-la-Mort von Georges Rodenbach, welchen der Komponist zusammen mit seinem Vater Julius zu einem dreiaktigen Libretto geformt hat. Der als Wunderkind gepriesene Korngold beginnt mit 19 Jahren die Arbeit an der Partitur. Die Doppel-Uraufführung findet am 4. Dezember 1920 in Hamburg und Köln statt. 

Die Oper glänzt mit Musik einer überreifen Spätromantik sowie Arien-Hits von Wunschkonzertqualität und nicht wenigen Genreüberschreitungen zur Operette. Die Uraufführungen waren große Erfolge. Es kam in der Folge zu vielen weiteren Produktionen. Ab etwa der Mitte der 20er Jahre war die Rezeption der Musik von Korngold zurückhaltender, sein Stil schien seine große Faszination in Europa verloren zu haben. Nachdem er 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten mit Aufführungsverbot belegt wurde, ging er nach Hollywood, wo er als anerkannter und gefeierter Filmkomponist dazu beitrug, die künstlerische Reputation amerikanischer Filme zu steigern. In jenen Jahren wurden ihm zwei Oscars von der Academy zuerkannt. In den letzten Jahrzehnten wurden gar nicht so wenige Werke wieder häufiger in Europa mit großer Wirkung gespielt.

Nach einer online-Produktion zum hundertjährigen Jubiläum der Kölner Uraufführung im letzten Jahr kommt das Werk in der Kölner Oper nun live auf die Bühne.     

Die Handlung beschreibt den scheiternden Versuch Pauls, nach dem Tod seiner Frau Marie ins Leben zurückzukehren. Während seine Haushälterin Brigitta und sein Freund Frank mit ihm Wege in ein neues Leben zu finden suchen, erstarrt Paul zunächst gänzlich in seinem Trauma verhaftet, ohne sich psychisch befreien zu können. Auch der Verführungsversuch der lebensfrohen Tänzerin Marietta vermag das nicht zu bewirken. Paul sieht sie ausschließlich als Marie, er kann ihr keine eigene Persönlichkeit zuerkennen. Marietta wehrt sich schließlich gegen eine solche Vereinnahmung Pauls, die in ihr nur das Wesen seiner verstorbenen Frau, nicht ihre eigene Persönlichkeit, zulässt. Als Marietta immer stärker die Anerkennung ihrer Person einfordert, wird mehr und mehr deutlich, dass Paul und Marietta sich aus gänzlich gegensätzlichen Welten zu erreichen versuchen, und daran scheitern. 

Als Marietta mit ihrer Tanzgruppe bei einer Begegnung immer ausschweifender, dionysischer, erotisch herausfordernd tanzt, weiß sich Paul nicht anders zu erwehren als sie in einem Verzweiflungsakt zu töten. Er will nun Fritz Vorschlag aufgreifen, ein neues Leben zu versuchen und Brügge zu verlassen. 

Roman und Libretto sind geprägt durch die Zwischenwelten von Realität und Vision. Es gibt keine eindeutigen Wahrheiten. So bleibt verborgen, woran Pauls junge Frau Maria verstorben ist. Ebenso bleibt bei vielen Ereignissen des Geschehens unklar, ob sie real oder nur in Pauls obsessivem, rückwärtsgewandtem Wahn stattfinden. Bei aller Magie und Bewusstseinstrübung durch die disparaten Handlungselemente verbleibt eine unheimliche Logik: Paul selbst könnte seine Marie ermordet haben. An Marietta vollzieht er dann die zwanghafte Wiederholung seiner Tat und Schuld. 

Aber was ist daran Traum, was Realität? Der Zuschauer muss letztendlich selbst entscheiden, seine Schlussfolgerungen müssen sich in der eigenen Imagination abspielen.

Die Regisseurin zusammen mit dem Bühnenbildner Stefan Heyne, den Kostümen von Silke Willrett sowie der Videokunst von Sandra van Slooten und Volker Maria Engel lässt die Handlung überwiegend auf einer erhöht stehenden Drehbühne stattfinden, um diese herum wie in Barbestuhlung immer wieder Leute sitzen, die wie in bekannten Bildmotiven von Edward Hopper trinken und die handelnden Personen unauffällig zu beobachten scheinen. Diese Anordnung setzt die handelnden Charaktere psychisch unter Druck. In Spiel und (Video-)Bild wird eine Atmosphäre von Traum, Verwandlung, Irrealität und Verunsicherung geschaffen. Im Gegensatz zu anderen Produktionen bleiben - wie in der Vorlage - viele Elemente dezidiert offen und es werden keine Angebote einer zu-Ende-gedachten äußerlichen Lösung der offenen Situation gemacht. So gelingt ein stimmiges, spannendes Konzept.        

Die männliche Hauptrolle Paul singt und spielt Stefan Vinke. Die Partie erfordert immense Kraft wie in anspruchsvollen Strauss- oder Wagner-Rollen. Es fasziniert zu erleben, wie der Sänger immer wieder die hochgelegenen Teile der Tenorpartie stemmt, während andere stimmliche Regionen schwierig und angestrengt wirken. Das Rollendebut der Marietta von Kristiane Kaiser gelingt überzeugend und trifft genau den chargierenden Stil einer Charakterzeichnung zwischen den Welten.  

Der Freund Fritz wir mit kultiviertem Bariton von Wolfgang Stefan Schwaiger glaubwürdig und anrührend gegeben. Schwaiger versteht es, dem Alter-Ego von Paul menschlich mitfühlend-leidende Komponenten zu geben. Die Haushälterin Brigitta wird spielerisch überzeugend von Dalia Schaechter gespielt.

Der Chor der Oper Köln, Knaben und Mädchen der Kölner Dommusik unter der Leitung von Rustam Samedov ist stimmlich und darstellerisch bewunderungswürdig in die Traumhandlung eingegliedert.

Dem Gürzenich-Orchester Köln unter der Leitung von Gabriel Feltz war die Freude am Spiel nach der Zwangspause und besonders in der Brillanz der Korngoldschen Partitur deutlich anzuhören. Die Szene wird durch das zur rechten Seite des  Bühnenraum platzierte Orchester geprägt. Was zunächst eine Notwendigkeit im Staatenhaus ohne Orchestergraben ist, über 70 Musiker einschließlich Klavier, Celesta und Harmonium zu platzieren, bewirkte ein besonderes künstlerisches Wirkelement. Die optische Einheit unmittelbar vor dem Publikum agierender Protagonisten, der Videosequenzen, dem links auftretenden Kinderchor sowie dem rechts neben der Szene postierten Orchester, bewirken eine außerordentliche Klang- und Bildmagie. Dabei passt der durch das offen spielende Orchester unmittelbarere Klang der Instrumente bestens in das Konzept dieser hinterfragten Spätromantik als der oft wohlig-vermischte Klang aus dem Graben. Außerdem ließ Gabriel Feltz in den Zwischenspielen – ohne auf die Sänger Rücksicht nehmen zu müssen – grandios lustvoll ausspielen, was die Orchestermusiker sogar optisch nachvollziehbar genießen.

Eine lange Pause des suspense am Schluss bis die Begeisterung des noch ausgedünnten Publikums folgt: Jubel für die Sänger und lang anhaltender Beifall für alle Mitwirkenden.       

Achim Dombrowski

Copyright Paul Leclaire

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