Vom Kampf zwischen Vernunft und Exzess

Xl_fullsizeoutput_113a © Monika Rittershaus

 

Komische Oper Berlin

 

Hans Werner Henze

The Bassarids

 

Premiere am 13.Oktober 2019

 

In einem weiteren, an die großartige Produktion von Moses und Aron erinnernden Großprojekt beweist die Komische Oper Berlin ihre führende Positionierung unter den Opernhäusern der Hauptstadt. In einer mit über 200 Mitwirkenden besetzten Neuinszenierung wuchtet sie Hans Werner Henzes The Bassarids in englischer Originalsprache außerordentlich erfolgreich als erste Premiere der neuen Spielzeit auf die Bretter des Hauses. Henze hat das Werk 1966 geschrieben. Der auf Euripides‘ zurückgehende Text wurde von Wystan Hugh Auden und Chester Kallman verfasst. Man spielt die vom Komponisten adaptierte Fassung von 1992 und fügt das darin gestrichene Intermezzo in angepasster Orchestrierung wieder ein. Das fast zweieinhalbstündige, monumentale Werk wird zum Ereignis!      

Worum es geht: Pentheus hat von seinem Großvater die Herrschaft in Theben übernommen. Ein Fremder fordert die Autorität des jungen Königs heraus, indem er das Volk zu rauschhaften Festen zu Ehren des Gottes Dionysus, zu Lust und Vergnügen, verführen will. Pentheus versucht sich der unkontrollierbaren Macht der Triebe durch Verbote und Gefangennahme des Fremden entgegenzustellen. Schließlich kann er sich selbst der Faszination der Verführung nicht entziehen. Er besucht heimlich und in Frauenkleidern die Zusammenkunft der Bassariden. Angestachelt von der Verführungskraft des Fremden zerreißen die Bassariden Pentheus wie ein Tier, allen voran seine eigene Mutter Agave. Erst am nächsten Morgen erkennt Agave, dass sie ihren eigenen Sohn gemordet hat. Der Fremde ist Dionysus. Er fordert bedingungslose Anbetung.     

Speziell die Textfassung von Auden/Kallman erlaubt eine im Sozialen, Politischen und in der Tiefenpsychologie nachgerade unendliche Vielfalt an Interpretationen, die letztendlich dem Zuschauer überlassen bleiben muss. Im Mittelpunkt steht der Versuch des Pentheus, sich vergeblich durch strenge Rationalität, den Verführungen von Lust und Neigung zu versagen. Durch die Unterdrückung bzw. Verkleidung fällt er schließlich dem eigenen, unterdrückten Trieb zum Opfer. Dieses ewige Thema prägt sich über die Jahrhunderte immer wieder anders aus. Für die Entstehungszeit des Werkes in den 60er Jahre des letzten Jahrhunderts mag die Befreiung aus der restaurativen politischen und sozialen Haltung der BRD bestimmendes Thema gewesen sein. In der Tiefenpsychologie wird das Thema der Anerkennung der eigenen Weiblichkeit auch als Mann behandelt. 

Hausherr und Regisseur Barrie Kosky erarbeitet sein zwingendes Konzept im Raum und in den Kostümen von Katrin Lea Tag. Die gesamte Bühne wirkt wie eine Mischung des Stufentheaters im alten Griechenland und einem modernen Konzertsaal, in dem ein Oratorium zur szenischen Aufführung gelangt. Die Bühne ist an der Begrenzung des Orchestergrabens zum Publikum mit einem bespielbaren, intensiv genutzten Halbrund ausgebaut, welches die Handlung bis weit in den über die gesamte Aufführung hell erleuchteten Zuschauerraum trägt. Zu beiden Seiten der den Bühnenraum hochragenden Stufen sitzen die Blech- bzw. Holzbläsergruppen des großen Orchesters. Die anderen Instrumentalisten des Orchesters sind nicht zuletzt zur klanglichen Balance in einem deutlich erhöhten Orchestergraben sowie im Zuschauerraum positioniert.

Die Personenführung der Solisten und des überaus wichtigen Chores entspricht der Wucht und Monumentalität von Musik und Thematik und kommt in einfachen, gerade beim Chor oft rhythmisch geprägten Gesten und Aktionen zum Ausdruck. Bewegungen und Handlungen sind von der Musik begründet. Wucht und Unausweichlichkeit des verhandelten schicksalhaften Geschehens werden nicht zuletzt in den orgiastischen Tanzszenen durch den physisch starken Auftritt von elf Tänzern in der Choreographie von Otto Pichler dargebracht. 

Zusammen mit der Wirkung durch die Einbeziehung des Zuschauerraumes bei der Aufstellung der Instrumentalgruppen, der rauschhaften Gesten der Tänzer, die teilweise vor dem Orchester auf dem installierten Bühnensteg agieren und des fortwährend hell erleuchteten Zuschauerraums entsteht der Eindruck eines ungewöhnlich unmittelbaren Erlebnisses wie dies möglicherweise im alten Griechenland bei den sich über Tage hinziehenden Theaterfesten empfunden wurde.

Wieder gelingt der Komischen Oper eine ungemein beglückende Besetzung aller Gesangspartien, die keine Wünsche offen lässt und wieder geschieht dies in einer einzigartigen Zusammensetzung aus Gästen und Ensemblemitgliedern. Allen voran Günter Papendell  aus dem Hause der Komischen Oper als Pentheus, der sich eine große, neue Rolle erarbeitet zusammen mit dem Gast Sean Panikkar als Dionysus. Sean Panikkar, Tanja Ariane Baumgartner als erschütternde Agave sowie Vera-Lotte Boecker als ihre Schwester Autonoe haben die Partien bereits auch in der Bassariden Produktion der Salzburger Festspiele 2018 unter Kent Nagano gesungen. Panikkar vermag auch durch die Einbringung von choreographisch-pantomimischen Elementen, die aus seiner Mitwirkung in der von McDermott und Gershon stammenden Philip Glass Produktion von  Satyagraha in Los Angeles stammen mögen, zu überzeugen. 

Jans Larsen als greiser Cadmus, Ivan Turšić als blinder, zweigeschlechtlicher Seher Tiresias, Tom Erik Lie als Hauptmann sowie Margerita Nekrasova als Beroe runden das Ensemble mehr als überzeugend ab. 

Chorsolisten der Komischen Oper Berlin und das Vokalconsort Berlin, beide unter der bewährten Leitung von David Cavelius, vermögen der Monumentalität und Wucht der Partitur durch ihren perfekten und durchschlagenden gesanglichen Ausdruck sowie ihr bewegendes, oft rhythmisiertes Spiel wirkmächtig Ausdruck zu verleihen.

Das Orchester der Komischen Oper Berlin unter der Leitung von Vladimir Jurowski überzeugt in großer Besetzung und bester Balance trotz der Aufstellung in Graben, auf der Bühne und im Zuschauerraum. Speziell die auf der Bühne postierten Holz- und Blechbläsergruppen kommen klarer, durchhörbarer, weil auch in sichtbarer Form besonders zur Geltung.        

Langes Schweigen des unter der Wirkung wie erstarrten Publikums bevor sich der Jubel Bahn bricht. Eine grandiose erste Neuproduktion der Komischen Oper in der noch neuen Spielzeit.

Achim Dombrowski

 

Copyright Fotos: Monika Rittershaus

 

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