Anlässlich der Wiederaufnahme der Inszenierung von Madama Butterlfy bei den Bregenzer Festspielen 2023 hatte Opera Online Gelegenheit, mit der Sängerin der Titelpartie bei der diesjährigen Eröffnung , Barno Ismatullaeva, zu sprechen. Die Künstlerin ist außergewöhnlich offen im Gespräch und bietet sofort an, sie mit Vornamen anzusprechen.
Wie hat alles angefangen?
„Mein Vater Adiljon hatte den Traum, selbst künstlerisch zu arbeiten. Er hat dann immer versucht, diesen Traum bei seinen Kindern wahrzumachen, wie vielleicht viele Eltern. So hat er mich von früher Kindheit an ermutigt, künstlerische Fähigkeiten auszuprobieren, aber mir war bald klar, dass es für mich die Musik sein musste. Er hat meiner älteren Schwester Surayyo aufgetragen, mich auf die Musikschule mitzunehmen, damit ich auch wirklich regelmäßig hingehe und übe. Das haben wir dann fünf Jahre lang in unserer Heimatstadt Polvontosh gemacht, eine Stadt in der Andijan Region, 400 Kilometer von der usbekischen Hauptstadt Taschkent entfernt.“
Ein Wettbewerb öffnet Türen und macht Hoffnung auf eine sängerische Laufbahn
Gab es wichtige Wegbegleiter in dieser Zeit?
„Als ich dann in einem nationalen Wettbewerb in Qarshi aus dem Stand den ersten Preis machte, war das in vielerlei Hinsicht von Bedeutung für mich. Zum einen gewann ich selbst mehr Selbstvertrauen und gleichzeitig habe ich meinen ersten Lehrer Ismail Djalilov kennengelernt. Viele Leute wurden auf mich aufmerksam – und vielleicht am wichtigsten – ich erhielt mit diesem Preis automatisch Zugang – ohne Aufnahmeprüfung - zum Conservatory in Taschkent.
Ismail Djalilov hat sich dann unermüdlich und liebevoll Schritt für Schritt meiner stimmlichen Entwicklung und Ausprägung gewidmet. Wir vergaßen mitunter Ort und Zeit und arbeiteten viele Stunden am Tag. Ihm habe ich bis heute sehr viel zu verdanken“.
Erste Auftritte in den Weiten Russlands
„Ich habe nach dem Studium rasch weitere Preise in Uzbekistan und Russland gewonnen und machte meine ersten Bühnenerfahrungen für Solo-Rollen in Wladiwostok 2015 sowie im Stanislawski- Theater in Moskau 2016/17, wo ich meine erste Cio-Cio-San in Madama Butterfly gesungen habe“.
Aufbruch nach Europa: Cardiff Singer of the World
Die Teilnahme beim Wettbewerb Cardiff Singer of the World 2017 verschaffte Barno dann aus dem Stand internationale Sichtbarkeit, ein Netzwerk und den wertvollen Kontakt zu dem Dirigenten Julian Smith, der sie wiederum mit ihrem Agenten zusammenbrachte, der schnell wichtige Vorsingen an europäischen Opernhäusern organisierte.
Die ersten Stationen in Opernhäusern des deutsch-sprachigen Raums
„Nach meinem Vorsingen in Innsbruck bekam ich 2018 unmittelbar die Rolle der Amelia in Simone Boccanegra von Verdi, mein Europa-Debut. 2019 kehrte ich dann zu Suor Angelica aus Trittico dorthin zurück. Ein anderes Vorsingen in Nürnberg führte zu meinem Deutschland-Debut mit Madama Butterfly 2019 und im selben Jahr in Düsseldorf durfte ich sogar schon meinen ersten Wagner singen in der Rolle der Dritten Norn in Götterdämmerung“.
Festengagement Hannover und die Erarbeitung eines weit-gespannten Repertoires
Das Opernhaus Hannover wurde dann zu Barnos erster europäische Heimat und ermöglichte die Entwicklung eines ungewöhnlich weit-gespannten Repertoires. Seit der Saison 2019/20 hat sie u.a folgende Rollen erarbeitet und auf der Bühne verkörpert: Tatjana in Eugen Onegin, Micaela in Carmen, Rachel in La Juive, Margherita in Mefistofele, Mimi in La Boheme, Desdemona in Otello und Militrissa in Zar Saltan.
Es gibt wohl kaum eine Sängerin, die in so rascher Folge und diesem frühen Stadium ihrer Karriere ein solches Repertoire erarbeiten hat. Die Kritiken waren größtenteils hervorragend.
Wie schnell kann man Norma lernen?
Am 25. April diesen Jahres berichtete Opera Online: Glanzvolles Belcanto-Debut mit Bellinis Norma in Hamburg – wie kam es zu diesem besonderen Erfolg?
„Bei der Norma in Hamburg bin ich im April relativ kurzfristig eingesprungen. Ich habe die Rolle – meinen ersten Bellini - in rund vier Wochen nach dem Rückzug einer anderen Sängerin gelernt. Bellini schreibt aber auch so wunderbar für die menschliche Stimme… Mittlerweile habe ich so viel Zutrauen, dass ich in jeder Aufführung neue Ausdrucksnuancen hinzufüge. Hier möchte ich ein besondere Dankeschön an Maestro Giampaolo Bisanti ausdrücken für seine Unterstützung für dieses Debüt, das mich in Stimme und Ausdruck noch einmal in ganz neue Dimensionen geführt hat.“
Deutschland als Zentrum der Möglichkeiten mit anspruchsvollem Regietheater
Barno ist sich ganz sicher: „Ich werde auch bestimmt im deutsch-sprachigen Raum meinen Lebensmittelpunkt behalten, denn hier gibt es die meisten Opernhäuser überhaupt“.
Wir sprechen auch über die teilweise herausfordernden Regie- und Spielkonzepte: „Ich bin was man auch ein stage animal nennt und denke, jeder hat seine Aufgabe und wir alle wollen zusammen eine gute Arbeit leisten. Durch intensives Einfühlen in die Konzepte ist es mir bisher noch immer gelungen, auf der Bühne ein überzeugendes Ergebnis zu realisieren, wenn auch der Weg dahin inhaltlich und emotional sehr unterschiedlich verläuft“.
Immer wieder Madama Butterfly: in Bregenz zur Eröffnung 2022 sowie 2023 und anderswo
„Ein Höhepunkt meiner bisherigen Laufbahn war und ist die Titelpartie als Madama Butterfly bei den See-Festspielen Bregenz seit 2022. Vor dem ersten Auftritt vor immerhin rund 7.000 Zuschauern unter freiem Himmel hatte ich besondere künstlerisch-menschliche Unterstützung.
Da möchte ich mich bei der Intendantin Elisabeth Sobotka, dem Regisseur Andreas Homoki und Maestro Enrique Mazzola für deren Unterstützung bedanken, die mir so viel Mut und Kraft gegeben haben, Cio-Cio-San in dieser wunderbaren Produktion so erfolgreich auf die Bühne zu bringen. Ein besonderes Dankeschön geht auch an die ehemalige künstlerische Betriebsdirektoren in Bregenz, Susanne Schmidt“.
Barno hat die Premierenvorstellungen in den Jahren 2022 und 2023 gesungen. Die nationale und internationale Presse überschlug sich mit Lob und Bewunderung in einem Ausmaß, dass auch die Reputation der Bregenzer Festspiele weiter wuchs. Die Produktion ist auf DVD erhältlich und wurde auf mehreren Fernsehsendern übertragen.
Mit Cio-Cio San gastierte Barno inzwischen auch am Nationaltheater Polen in Warschau und feierte am Teatro Regio Torino ihr Italien-Debut, in einer Produktion von Damiano Michieletto.
Nächste Meilensteine
Im Herbst geht es zurück nach Hannover mit vertrautem Repertoire, wo im Mai 2024 neu auch die Sopranpartie im Verdi-Requiem in einer szenischen Realisation des Werkes folgen wird.
Welche weiteren neuen Rollen oder Opernhäuser stehen im Kalender?
„Der Dirigent der Butterfly in Bregenz, Enrique Mazzola, hat in meinem Gesang besondere Möglichkeiten erkannt und mir zu einem Vorsingen verholfen, wodurch ich die Rolle der Elisabetta in Roberto Devereuxsingen werde. Darauf bin ich sehr stolz, es wird mein erster Donizetti sein. Die Produktion wird im April 2024 in der Amsterdamer Oper auf die Bühne kommen“.
„So führe ich eine Wanderleben mit immer neuen, aufregenden Herausforderungen und Rollendebuts sowie Kollegen, die mir Wärme, Wertschätzung und Vertrauen vermitteln. All diese Aufgaben und die künstlerische Unterstützung und Anerkennung – auch beim Publikum und der Presse - geben mir das notwendige Zutrauen, meinen Weg weiter zu gehen“.
Träume
„Ein Traum von mir ist ein Haus in freier und ungestörter Natur in Deutschland und ein Elektrosportwagen“.
Achim Dombrowski
16. August 2023 | Drucken
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