Zeitfenster ins Barock

Xl_tivedo_berlin_ohp0453 © Matthias und Clärchen Baus

Ti Vedi, Ti Sento, Mi Perdo

In Attesa Di Stradella

von Salvatore Sciarrino

Staatsoper Unter den Linden, Berlin

Premiere der Deutschen Uraufführung am 7. Juli 2018

Salvatore Sciarrino ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten Italiens. Seit 1973 hat er nicht weniger als dreizehn Opern geschrieben, wovon die Staatsoper Unter den Linden in Berlin nunmehr sechs Werke zur Aufführung gebracht hat. Das Haus nimmt damit für sich in Anspruch, die meisten Bühnenwerke des Künstlers überhaupt realisiert zu haben, und dabei selbst die Scala in Mailand zu übertreffen.

Als Auftragswerk und Ko-Produktion mit dem Mailänder Haus kam nunmehr in Berlin die deutsche Erstaufführung des neuesten Musiktheaterwerkes von Sciarrino Ti Vedi, Ti Sento, Mi Perdo im Rahmen ihres diesjährigen Festivals Infektion! für Neue Musik und zeitgenössisches Musiktheater zur Aufführung. Die Scala hatte die Produktion bereits im letzten November gezeigt.

Die Oper entführt den Betrachter in ein Spiegelkabinett von Handlungselemente und Sinnempfindungen. Eine Gruppe von Theaterleuten probt in einem römischen Palazzo zu Zeiten des Hochbarock ein Werk des Komponisten Allessandro Stradella. Während der Probe erfährt man durch das Gespräch der Teilnehmer immer mehr Details aus dem wilden Abenteuererleben des Komponisten. Die Gruppe erwartet jeden Moment sein persönliches Erscheinen. Der Künstler erscheint jedoch nicht.Die Atmosphäre erinnert an die Vergeblichkeit bei Beckets Warten auf Godot

Die biographischen Details lassen ihn fortwährend wie hinter einem Schleier erscheinen. In Fortspinnung des Mythos zu seiner Person machen schließlich Gerüchte über seine Ermordung die Runde. Das wilde Leben Stradellas hat bereits andere Komponisten zu Opernwerken inspiriert, so zum Beispiel auch Friedrich von Flotow.

Gleichzeitig werden Kernelemente der Kunstform Oper auf einer Metaebene reflektiert. Der Komponist Stradella wird mit dem Ehrentitel des Orpheus (wie Purcell als Orpheus britannicus) bezeichnet und es entwickelt sich eine klassische Auseinandersetzung des Apollinischen mit dem Dionysischen in der Kantate der geprobten Oper sowie parallel in den biographischen Elementen aus dem Leben des Komponisten. Wie schon oft in der Oper wird die Ebene des Adels mit der Welt der Dienerschaft kontrastiert. Nicht zuletzt ergänzen viele typische, teilweise liebenswerte, teilweise exaltierte Verhaltensweisen des beteiligten Opernpersonals diesen Blick durch das Fenster in die Vergangenheit. 

Die musikalische Sprache von Sciarrino ist für solche Spiegelreflektionen besonders geeignet. Oft entsteht der Klang der Stimme aus dem Nichts und schwillt vorsichtig an, um sich ebenso wieder im Orbit zu verlieren. Streichinstrumente werden häufig im Flageolett und Blechblasinstrumente gestopft gespielt. So entsteht ein artifizielles und nicht immer sehr pointiertes Klangbild.

Regisseur der Produktion ist wiederum Jürgen Flimm, der in den vorangegangenen Jahren in der Staatsoper bereits zwei weitere Opern des Komponisten, Macbeth(2014) und Luci Mie Traditrici(2016), in Szene gesetzt hatte. Flimm unterstützt in Gestik und Personenführung den Diskurs des Opernpersonals mit einer tendenziell zurückhaltenden Personenführung und vermeidet so jede Überzeichnung der Figuren. 

Die Kostüme von Ursula Kudrna und das Bühnenbild von George Tsypin zeichnen sich durch barocke Farbenpracht und zusammen mit der Lichtregie von Olaf Freese und der Choreographie von Tiziana Colombo durch eine gewisse künstliche Brillianz aus, die die barocke Sinnenfreude mit einer gewissen Kühle unterlegt. Damit gelingt eine eindrucksvolle optisch-atmosphärische Umsetzung der Begegnung von barocken Handlungselementen mit den strukturierten Klangschöpfungen der Musik von Salvatore Sciarrino.

Die Sänger sind in den Hauptrollen bereits in der Mailänder Produktion mit von der Partie gewesen. Laura Aikin als Sängerin gibt ein eindrucksvolles Rollenportrait. Ihre große Erfahrung und Kunst im Koloraturgesang kommt ihr dabei nachhaltig zugute. In der Gestalt der Sängerin treffen sich die emotionalen Strömungen dieses Spiegelkabinetts der Zeiten und Emotionen wie in einem Prisma und Laura Aikin kann diese zentrale Funktion durch ihre Kunst wirkungsvoll auf den Punkt bringen. 

Daneben agieren eine Reihe von Sängern, die bereits Erfahrung mit den Werken des Komponisten hatten: dazu gehören in erster Linie Charles Workman als Musiker und Otto Katzameier als Literat. Weitere Mitglieder dieses Ensembles sind darüber hinaus  Sónia Grané, Lena Haselmann, Thomas Lichtenecker, Christian Oldenburg und Emanuele Cordaro. David Oštrek als Mitglied des Internationalen Opernstudios der Lindenoper überzeugt in der Partie des jungen Sängers. Ein kleiner Chor mit sechs Solisten rundet das Ensemble ab.  

Das Orchester mit über 50 Musikern bestand aus Mitgliedern der Staatskapelle Berlin, des Opera Lab Berlin und der Orchesterakademie bei der Staatskapelle. Unter der engagierten musikalischen Leitung von Maxime Pascal, der auch schon die Produktion an der Scala musikalisch leitete, entfalteten die Musiker wirkungsvoll die Klangwelten Sciarrinos.   Die Musiker waren zum Teil im Graben, zum Teil an den Seiten der Proszeniumslogen auf der Bühne positioniert.

Das Publikum folgte mit großer Spannung der Oper, wenn auch nicht jeder an diesem sehr warmen Sommertag nach der Pause in den Saal zurückfand. Großer Applaus für die Beteiligten, viele bravifür Laura Aikin, den Regisseur und den anwesenden Komponisten. 

 

Achim Dombrowski

 

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