Zum Geheimnis der Liebe in der Oper Köln

Xl_b5431ed7-9dd4-47fd-af90-0f69e969735e © Paul Leclaire

Oper der Stadt Köln

Kaija Saariaho

L’Amour de Loin

Premiere am  24. Oktober  2021

In der Kölner Erstaufführung kommt Kaija Saariaho’s Oper überwältigend zur Geltung.

Kaija Saariaho ist eine der erfolgreichsten und vielfach ausgezeichneten Komponistinnen der Gegenwart. Die Finnin hat ihre Studien bei prägenden finnischen Lehrern aufgenommen, in Deutschland und beim IRCAM in Paris fortgesetzt und lebt heute in Paris. Ihre meist gespielte Oper ist das im Auftrag u.a. der Salzburger Festspiele 2000 uraufgeführte Werk L’Amour de Loin, das bereits in verschiedenen Theatern neu produziert wurde. Weitere Bühnenwerke der Künstlerin sind Adriana Mater (2006), Émilie (2010) sowie nicht zuletzt Innocence, welches im Rahmen der Festspiele in Aix-en-Provence 2021 uraufgeführt wurde.    

Die Handlung der Oper, ist im Prinzip schnell erzählt: Jaufré Rudel, ein südfranzösischer Adliger und Troubador, überdrüssig der Sitten am eigenen Hofe, steigert sich in die künstlerische Idealisierung eines menschlich vollkommenen Frauenbildes. Ein Pilger berichtet ihm von Clémence, Gräfin von Tripolis, die diesem Ideal nahe kommen soll. Der Pilger bewährt sich als Bote zwischen den beiden Verliebten. Schließlich bricht Jaufré auf, um sein Ideal mit der Wirklichkeit zu konfrontieren. Durch Selbstzweifel gerät er an die Grenze des Todes. Er stirbt nach kurzer Begegnung mit Clémence in ihren Armen.   

Das Werk basiert auf den Gesängen La vida breve des Troubadors Jaufré Rudel aus dem 12. Jahrhundert. Der französisch-libanesische Autor Amin Maalouf hat auf dieser Basis das Libretto der Oper kreiert. 

Fast eingeschüchtert betritt der Zuschauer die Spielstätte: so überwältigend ist die Anordnung auf der Bühne. In der Mitte zentral und auf gleicher Ebene mit den Sängerdarstellern ist das mit großer Besetzung vertretene Gürzenich-Orchester platziert. Es gibt nicht nur eine differenzierte Streichergruppe, Holz- und Blechbläser, sondern auch ein die gesamte Breite des Hintergrundes einnehmendes Schlagzeugensemble, das die ausgefallensten Instrumente aufweist: Marimba, Vibraphon, Cortales, japanische Odaiko-Trommel und manches mehr. Weiterhin ist am äußeren Rand der Spielfläche der Chor der Oper Köln postiert. Die Spielfläche ist untergliedert in einen mit Lichtstreifen begrenzten Kasten, in welchem die meiste Zeit Jaufré agiert, während Clémence zumeist jenseits des Orchesters auf einer in Wellenform gestalteten Drehbühne positioniert ist. Dazwischen bewegt sich der Pilger, 

Das Werk bietet wenig Aktion im Handlungsverlauf und der Schwerpunkt ist auf die traumgeprägte Erforschung der menschlichen Psyche mit sich selbst und anderen fokussiert. Die Bühne von Bernhard Hammer sowie Kostüme von Katharina Tasch zusammen mit der Videokunst von Bibi Abel unterstreichen den der Wirklichkeit entrückten Charakter der Erzählung. 

Dazu verwendet die Komponistin die genannten großen Kollektive, drei Sänger sowie auch den oft nur indirekt hörbaren oder spürbaren Einsatz elektronischer Musik. Die Musik selbst ist neben den exotischen Schlaginstrumenten geprägt durch eine oft ungewöhnliche Behandlung der Instrumentengruppen, die einerseits filigrane Klangexerzitien bietet, andererseits neben wenigen markanten Klangballungen vor allem in ein mit Geräuschen durchsetztes, changierendes Kontinuum einer Litanei mündet.  

Die Einheit einer hochabstrakten, psychologisch-traumhaft basierten, minimalen Aktion mit den irisierenden Klängen bewirkt trotz der physischen Präsenz dieser großen Zahl von  Mitwirkenden eindrucksvoll eine unwirkliche Atmosphäre, die der nicht greifbaren, rätselhaften Sphäre eines Traumes entspricht. Daran ist der Klang des nicht in einem Graben versenkten Orchesters ganz maßgeblich beteiligt. 

Der Regisseur Johannes Erath arbeitet zudem mit zwei stummen szenischen Doubles (Silke Natho und Daniel Calladine). Diese spielen entweder unmittelbar als traumverwandter Doppelgänger von Jaufré und Clémence, oder als imaginierter Partner des jeweils anderen Akteurs. Jaufré durchlebt in seinen Ängsten immer wieder Phantasien, in denen er der Partnerin Gewalt antut oder diese damit zumindest bedroht. Könnte es auch Gewalt sein, die er anderen Partnerinnen in der Vergangenheit angetan hat? Er erscheint von Anbeginn kaum mehr zu einer angstfreien Begegnung fähig. Clémence ruht mehr in sich selbst, sie scheint nicht von Traumata gequält. Die Realität oder ihre Ängste können sie nicht in gleichem Maße aus der Bahn werfen. Jaufré geht letztlich durch seine eigenen Ängste in den Tod, Clémence verlässt die Welt ins Kloster.

An der Schwelle zur Transzendenz verlassen beide Protagonisten ihre Positionen rechts und links des Orchesters und finden zu einem Tanz der Liebenden zusammen, der ganz zart die einzige kurze Begegnung des Pares markiert. Am Ende verstreut Clémence die Asche des Geliebten in den Wellen. Es ist bemerkendwert, dass ein solches Bild, das leicht unter Kitschverdacht stehen könnte, überzeugend wirken kann. Der Zuschauer ist zu dem Zeitpunkt soweit in die entmaterialisierte Sphäre entführt worden, dass er diese Umsetzung annehmen kann.

Die musikalische Fraktur der Partitur bietet wenig Orientierungspunkte für die gesangliche Umsetzung, so dass die Sängerdarsteller wiederholt auf wichtige Markierungen und Einsatzunterstützungen der Souffleusen angewiesen bleiben. 

Alle drei großartigen Sänger geben ihr Debut in den Rollen. Clémence wird dargestellt und gesungen von der amerikanischen Sopranistin Emily Hindrichs, die für die Anforderungen in den Höhenlagen der Rolle auf ihre stimmlichen Erfahrungen als Königin der Nacht zurückgreifen kann und vielfältig mit der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts vertraut ist. Der Bariton Holger Falk als Jaufré ist neben seiner Verankerung im klassischen Repertoire  ein leidenschaftlicher Vertreter der zeitgenössischen Musik. Bedeutende Komponisten haben Partien für den Sänger kreiert. Falk ergreift mit einem stimmlich und darstellerisch erschütternden Ausdruck für die Unsicherheiten, Ängste und letztlich der Todessehnsucht des Troubadors. Der Pilger wird ausdrucksstark gesungen und gespielt von der kolumbianischen Mezzosopranistin Adriana Bastidas-Gamboa. Die Künstlerin bringt ihre weite Repertoireerfahrung in die Darstellung des Pilgers ein, eine Partie, die zwischen den Welten agiert, die dennoch mehr geerdet ist als die Liebenden und trotz geheimnisvoller Elemente eine wichtige unschuldige Komponente in sich trägt. Genau diese Gratwanderung gelingt der Sängerin perfekt.    

Chor der Oper Köln meistert die vokal-fließenden Klanggebilde unter klarer Zeichengebung ihres Leiters Rustam Samedov

Das Gürzenich-Orchester hat sich offenbar in einer langen und intensiven Vorbereitungsphase auf die Sonderheiten der Partitur einstellen können, anders ist die souveräne Beherrschung der komplexen Partitur nicht denkbar. Der Dirigent Constantin Trinks versteht es, die Beiträge aller Beteiligten so auszutarieren, dass eine über die rund zweistündige Musik größtmögliche Durchhörbarkeit und Balance gewährleistet ist.

Angesichts des quer zum Zeitgeist stehenden Werkes mögen wir heute einen vergleichbare intensive,  geheimnisvolle Verzauberung verspüren wie die Menschen, die Tristan und Isolde oder Pelléas et Melisande zur Zeit ihrer Entstehung erleben durften. Ein Teil dieses Geheimnisses liegt womöglich in dem scheinbaren Widerspruch zwischen dem Aufwand eines solch gewaltigen Aufführungsapparates ausgerechnet für die Vermittlung von Irrealität, Traum, Psyche und Transzendenz. 

Die Oper Köln kann ihre gegenwärtig als Ausweichquartier gedachte Spielstätte im Staatenhaus bei der Kölner Messe eigentlich gar nicht mehr verlassen, solange so eindrucksvolle, auf einer traditionellen Guckkastenbühne gar nicht realisierbare Produktionen entstehen und geboten werden.  

Das Publikum feiert alle Künstler dieses großen Abends und verlässt das Haus in Nachdenklichkeit in einen spätsommerliche Herbstabend.

Achim Dombrowski

Copyright Paul Leclaire

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