Voci celesti ist das diesjährige Motto der Salzburger Pfingstfestspiele, die unter der Leitung von Cecilia Bartoli stehen. Seit 2012 führt sie das Szepter zu Pfingsten an der Salzach und wurde soeben bis 2026 verlängert. Alljährlich lockt sie ihre Fangemeinde und Musikbegeisterte mit gut strukturierten, immer unter einem Thema stehenden Programm über vier Tage zu Ihrem Festival. Mit "Himmlische Stimmen " widmet sie dieses Jahr den Kastraten und dem barbarischen Brauch, vor allem in Italien des 17. und 18. Jahrhunderts, männliche Kinder im frühen Alter zu kastrieren, um ihre hellen glockengleichen hohen Stimmen zu erhalten. Frauen durften damals in den Kirchen nicht singen, aber mehr noch eroberten die Kastraten die Opernbühnen und wurden gefeierte hoch dotierte internationale Stars. Noch heute umgibt den Kastraten ein mystischer Flair, den sich die zahlreichen Countertenöre als deren legitimen Nachfolger zu Nutze machen. Vielschichtig und breit ist die Musikliteratur, die für diese Stimmen geschrieben wurde. Dazu zählen die wohl schönsten Arien der Barockopern sowie sakrale Musik. Wahre Leckerbissen daraus dürfen die Zuhörer diese Jahr in Salzburg erleben.
Georg Friedrich Haendel ist wohl der bedeutendste Komponist dieser Zeit, der auch als Impressario in London mit seinem eigenen Opernhaus fungierte. Auf dem Höhepunkt seines Wettstreits mit Nicola Antonio Porpera, einem italienischen Opernkomponisten und Gesangslehrer entstand seine Oper Alcina. Wiederum handelt es sich um ein klassisches griechisches Drama auf der Basis von Orlando furioso, eine beliebte Geschichte, die oftmals vertont wurde. Die Titelheldin ist eine Zauberin, die sowohl ihre Liebhaber in verschiedene Gestalten verwandelt als auch sich selbst, um ihrer Vergänglichkeit zu entgehen. Ruggiero strandet auf ihrer Insel und wird von ihr zu ihrem Geliebten verzaubert, der seine Herkunft vergisst. Seine Verlobte Bradamante versucht ihn zurückzugewinnen und taucht als ihr Bruder Ricciardo auf. Nach vielen Irrungen und Verwirrungen gelingt ihr Plan, der Geliebte kehrt zurück und zerstört die böse Zauberkraft Alcinas. Alcina wird vor den Augen des Publikums der Vergänglichkeit ausgesetzt und altert wirkungsvoll in Sekundenschnelle. Stoff genug, um über vier Stunden mit zahlreichen ausgefeilten Arien und Rezitativen das Publikum zu bannen, ein erlesenes Sängerensemble vorausgesetzt.
Cecilia Bartoli übernimmt die Rolle der Zauberin und wagt mit ihrem Mezzosopran die anspruchsvolle Sopranpaetie. Vom Stimmumfang bewältigt sie die Partitur, doch fehlt die Eleganz und Klarheit in manchen Spitzentönen, dafür dramatisiert sie gekonnt in der Mittellage und in der Tiefe und verleiht der Rolle viel Charakter, auch mit ihrem schauspielerischen Talent. Philippe Jaroussky zählt seit vielen Jahren zu den besten Countertenören und zeigt wiederum in dieser Rolle eine exakte meisterhafte gesangliche Leistung. Nahezu grenzenlos bewegt er sich in den Höhen, bleibt leicht und flexibel für alle melodiösen und harmonischen Verzierungen. Seine Koloraturen intoniert er sicher und verteilt im Legato Wärme und Gefühle mit seiner hellen Stimme. In der grossen Arie "verdi prati" kann man die Faszination der Kastraten auf ihre Zeitgenossen wahrlich fühlen. Sandrine Piau glänzt als liebesbessene Morgana sowie Kristina Hammarström als liebende Bradamante und verkleideter Ricciardo, der den Verführungen Morganas zu widerstehen hat. Zum wahren Publikumsliebling mit einem sensationellen Auftritt wird der junge Wiener Sängerknabe Sheen Park, der als treu liebender Sohn Oberto seinen Vater Astolfo unter den verzauberten Gestalten sucht. Eindrucksvoll und souverän tritt der Junge mit den Stars auf, meistert fehlerlos und ausdrucksstark seine Arien und wird dementsprechend mit viel Beifall belohnt wie alle Mitwirkenden.
Musikalisch untermalt und begleitet werden die Sänger von den Musiciens du Prince Monaco. Das Ensemble wurde auf Initiative von Cecilia Bartoli 2016 in Zusammenarbeit mit der Opera Monte Carlo gegründet und tritt seither zumeist mit der quirligen Italienerin auf. Gianluca Capuano leitet derzeit das Ensemble und dirigiert auch diesen Opernabend. So gelingt auf Originalinstrumenten eine nahezu originalgetreue Wiedergabe dieses barocken Meisterwerkes und vermittelt hörbare Authentizität im Instrumentenklang, besonders bei den Bläsern. Der Dirigent führt zurückhaltend und gelassen. Er zähmt die Ausbrüche und Tempi, an manchen Stellen hätte hier mehr zur Steigerung der Spannung beigetragen.
Damiano Michieletto inszeniert die klassische Erzählung realistisch offen und transparent. Dazu macht er Alcinas Zauberinsel zu einer fahl ausgeleuchteten sterilen Hotelhalle. Hinter einem ovalen Spiegel am linken Bühnenrand ( Bühnenbild von Paolo Fantin) verschwindet sie immer wieder in ihr privates Reich. Eine drehbare Milchglaswand trennt das Geschehen in zwei Ebenen. Vorne läuft die Handlung, hinten werden von Statisten die Welt der Verzauberungen und Verzauberten dargestellt. Die beiden Ebenen sind durchlässig und kommen immer wieder zusammen. Eine weitere Doppelseitigkeit findet sich in den Kostümen von Agostino Cavalca. Nicht immer logisch erscheinen die Protagonisten in moderner Kleidung als auch mittelalterlichen Kostümen. Hinterlässt der erste Akt noch Fragen, gewinnt die Handlung im zweiten und dritten Akt merklich an Fahrt und Spannung. Am Ende herrscht grenzenlose Begeisterung für diese formschöne Reise in die barocke Opernwelt auf höchstem Niveau und ein Stück Himmel hat sich aufgetan.
10. Juni 2019 | Drucken
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