Ballettwoche München - Vom Feinsten in drei herausragenden Kreationen

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Wings of Memory Ballettfestwoche Bayerisches Staatsballett München 10.4.2025

Ballettwoche München - Vom Feinsten in drei herausragenden Kreationen

Alljährlich veranstaltet das Bayerische Staatsballett im Frühjahr seine Ballettfestwoche, mittlerweile fester Bestandteil der Saison des Nationaltheaters. Festwochen eröffnen die Möglichkeit herausragende Produktionen auf die Münchner Bühne zu bringen und so das ballettbegeisterrte Publikum mit einem intensiven Tanzprogramm über eine Woche zu konfrontieren.

Zur diesjährigen Eröffnung wird ein dreiteiliger Ballettabend mit bedeutenden Schöpfungen der modernen Tanz- und Musikgeschichte unter dem Titel Wings of Memory geboten - Vergangenes soll Zukünftiges beflügeln. Am Beginn steht die als gelungenste Choreografie von Jiri Kylian gefeierte Kreation Bella Figura aus dem Jahr 1995. Die Auftragsarbeit zum 25. Jubiläum des NEC Handelsblatt bezeichnete Kylian selbst treffend als Reise durch Zeit, Raum und Licht und wurde vom Netherlands Dans Theater in Den Haag uraufgeführt. Der gängige Begriff aus dem Italienischen übersetzt, soll die Performance „guten Eindruck zu machen“. Dies gelingt mehr als eindrucksvoll in dieser Manifestation des Könnens der Mitwirkenden in einer Paarung ästhetischer Bewegung und technische Präzision. Die Vielfalt der Figuren und die ausgeprägte Gleichstellung der Geschlechter in den Pas de Deux beleben das kluge Spiel mit Licht und Schatten. Impulsive Körperhaltungen, bis zu verkrümmten unnatürlichen Bewegungen gemischt mit klassischen Tanzschritten erfüllen ein Gleichgewicht von Innovation und Tradition. Jeder Ton der zu Grunde liegenden Musik, eine harmonische Zusammensetzung von Ausschnitten aus Werken von Pergolesi, Corelli, Vivaldi und Foss bekommt in dem halbstündigen Werk sein aussagefähiges Detail in der Körperbewegung.

Im folgenden Tanztheater Faun des französisch/ marokkanischen Choreografen Sidi Larbi Cherkaoui erlebt der Betrachter eine Hommage an das für das Ballett bahnbrechende Ereignis der Uraufführung 1912 von "L’apres midi d‘un faun"  durch den polnischen Tänzer Vaclav Nijinsky in Paris. Cherkaoui nutzt die Ambiguität der mythologischen Gestalt des Fauns bzw des Hirtengottes Pan, einem Wesen zwischen Mensch und Tier in der Wandelbarkeit und äußerlichen Zeichnung der Bewegungsabläufe. Geschildert wird das Erwachen des Fauns in einer Waldlichtung, die Sonnenstrahlen dringen durch das Geäst vor einer naturalistischen Projektion eines Waldes, und die Begegung mit einem weiblichen Wesen, in Ausdruck und Bewegung verwandt. Das triebhafte Naturwesen drückt umso intensiver Gefühle und Emotionen durch seine Bewegungen aus. Liebestoll nähern sich beide, Heil oder Unheil bringend, und verbinden sich in wagemutigen Verrenkungen. Die Figuren bleiben aber sanft der impressionistischen Musik Claude Debussys nachempfunden. Als Gegensatz werden elektronische Sequenzen von Nitin Sawhney als Begleitmusik für das Erscheinen der Fremden eingespielt, Klassik und Moderne verbinden sich, fließen ineinander wie die ausdrucksstarke Akrobatik der Tänzer.

Zum Abschluss des dreiteiligen Abends gibt es ein Wiedersehen mit Pina Bausch s berühmter 1975 entstandenen Kreation zur Musik von Igor Stravinsky Le Sacre du Printemps - Das Frühlingsopfer. Auch diese 1913 uraufgeführte Musik schrieb als Grundlage für die Aufführungen des Balletts Russes zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Paris Musik- und Tanzgeschichte. Der Ursprung der idee zur Komposition ist umstritten. Stravinsky selbst bezieht sich auf einen Traum über ein heidnisches Ritual, das in der Opferung einer Jungfrau gipfelt. Die urtümliche Unmittelbarkeit führt zu einer Handlung, die sich selbst erzählt. Ein Frühlingsfest, der Boden ist mit Erde übersät, kulminiert in einem Opfertanz. Pina Bausch lässt die Kompagnie geteilt in eine Frauen und Männergruppe einander gegenübertreten und in sakral anmutenden Handlungen korrespondieren. Ein rotes Kleid wird immer wieder weitergereicht bis das Opfer gefunden ist. Passend zur archaisch anmutenden rhythmisch geprägten Musik wird gestampft, um das imaginäre Zentrum marschiert und in Gruppen als Ritual getanzt. Es herrscht große Dynamik, die sich in voranschreitenden Bewegungen entzündet. Es mutet hektisch an, die Gruppe will zum Ziel, die Musik scheint den natürlichen Ablauf zu unterbrechen. Dies steigert die Spannungsmomente. Unweigerlich wird wie in einer sektischen Verblendung die Gruppe imaginär in der Handlung vorangetrieben bis das Opfer ihrer Erschöpfung erliegt. Auch diese Interpretation der herausragenden Ballettmusik ist mittlerweile ein vielfach gepriesenes Standardwerk und wird immer wieder zur Aufführung gebracht. In München begeistert es wieder das Publikum und reisst zu Jubelstürmen hin.

Wieder ist es gelungen die Festwoche mit Tanz der Extraklasse erfolgreich zu eröffnen.

Dr. Helmut Pitsch

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