Umberto Giordano Andrea Chenier Wiener Staatsoper 9.12.2022
Barocke Opulenz mit Starbesetzung Wiederaufnahme Andrea Chenier in Wien
Der Held ist er eine wahre Persönlichkeit der französischen Revolution. Der 1794 zum Tod verurteilte Dichter und Freiheitskämpfer Andrea Chenier widersetzte sich den Jakobinern, pflegte gute Kontakte zum Adel und verteidigte Ludwig XVI. Daraus spinnt der Librettist Luigi Illica eine packende Liebesgeschichte in den Wirren der Revolution. Die adlige schüchterne Maddalena di Coigny verliebt sich in den Außenseiter Chenier. Die Revolution macht sie zur Verfolgten, die aus ihrem Versteck heraus versucht, ihren Geliebten wiederzufinden. Der ehemalige Diener der Adelsfamilie Gerard steigt zum Revolutionsführer und verfolgt seine heimliche Liebe. Tragisch das Ende am Schafott, ein Tod, den auch der geläuterte Gegenspieler nicht mehr verhindern kann. Umberto Giordano feierte einen Triumph mit seiner musikalischen Umsetzung und führt die italienische Oper weiter in den Verismo. Der Librettist Illica war auch an der Entstehung der kurz später entstandenen Oper Tosca von Giacomo Puccini beteiligt, zu der sich sehr wesentliche Parallelen musikalisch und inhaltlich erkennen lassen.
Mit Starbesetzung ist diese Wiederaufnahme der in die Jahre gekommenen Inszenierung von Otto Schenk auf den vorweihnachtlichen Spielplan der Wiener Staatsoper gekommen. Jonas Kaufmann ist in der Titelrolle international angesetzt und erfreut wieder mit seinem erfrischenden natürlichen Spiel des eleganten Dichters am Hof der Familie di Coigny in üppiger Ausstattung. Das Bühnenbild von Rolf Glittenberg gewährt den Blick in ein plüschiges Foyer eines auf Vorhängen gemalten Barocktheaters. Nach der Revolution sitzt der nunmehrige Freiheitsfeld in einem großzügigen Pariser Innenhof, bespitzelt von den Schergen Gerards, der zuvor am Hof der Coigny diente. Am Ende bringt das Liebespaar ein Holzkarren aus dem Hof zum Schafott. Mit vielen Details in der Personenführung und kluger Verteilung der Handelnden auf der Bühne wirkt diese Inszenierung selbst in der 123. Aufführung noch frisch und mitreißend, sinnlich und ästhetisch.
Die musikalische Leitung dieser Aufführungsserie liegt in den Händen von Francesco Lanzillotti. Der Römer fordert das Orchester der Wiener Staatsoper zu einem kraftvollen, zumeist überzogenen Spiel in der Lautstärke. Die Farben der spätromantischen Passagen bis hin zum epischen Verismo lässt er nur vereinzelt aufblühen. Die Dramatik und Gegensätze der Handlungsstränge arbeitet er in einem direkten, klaren und mitunter militärisch forschen Spiel heraus. Für die Sänger ist es mitunter schwer, gefühlsbetont auszusingen und hörbar zu bleiben.
Nach einer stimmlich indisponierten ersten Aufführung und Absage der zwei folgenden Aufführungen erlebt das Publikum des vierten und letzten Abends einen auskurierter Jonas Kaufmann mit erfreulich guter Kondition und gewohnter überragender Spielleidenschaft. Optisch überzeugend im edlen historischen Kostüm drückt der sympathische Sänger als leicht angegrauter Liebhaber in seinem lyrischen Gesang ehrliche Empfindungen aus. Sein dunkel timbrierter Tenor mit satter warmer Tiefe und lyrischer Mitte zwängt sich in der Höhe, drückt in den Spitzentönen, bringt diese immer wieder klar zum Schimmern. Vollmundig erleben die Zuhörer seine gekonnt geführten Melodienbögen, intim intoniert er seine feinen Piani. In den Duetten kann er geschickt mit seiner Partnerin Maria Agresta verschmelzen. Sie ist eine schüchterne Maddalena di Coigny, zurückhaltend elegant mit Klasse auch auf ihrer Flucht. Als von der Revolution Verfolgte gewinnt sie an Persönlichkeit und erzählt ohne übersteuerte Dramatik wie ein Gebet ihr tragisches Schicksal in ihrer großen Arie „la mamma morta“ .
Mit Schmelz und düsterer Farbe präsentiert sich George Petean als gelungene Besetzung des von den Ideen der Revolution überzeugten Dieners und späteren Führer Gerard. Er wechselt unaufdringlich zwischen Politik und seiner geheimen Liebhaberrolle.
Auch die Nebenrolle sind durchgehend gut besetzt. Die treue Dienerin Bersi erfährt durch Isabel Signoret Präsenz, Stephanie Houtzeel kämpft als Gräfin von Coigny gegen das monströs aufspielende Orchester. Hier profitiert Monika Bohinec als Madelon vom vorgeschriebenen Piano in der Begleitung und kann gefühlvoll ihre Interpretation der Arie auskosten.
Unverändert begeistert die klassische Inszenierung, die das Paris des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Barock bis Rokoko plastisch erleben lässt. Viel Jubel und Beifall im ausverkauften Haus.
Dr. Helmut Pitsch
13. Dezember 2022 | Drucken
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