Philip Glass Penal Colony Justizpalast München 25.4.2024
Beklemmend ernüchternd aktuell Opera Incognita mit Penal Colony
Der Aufführungsort hat es in sich. Nicht die mühsamen Zugangskontrollen, die den Beginn der Aufführung um 30 Minuten verzögern, sondern einmal das prächtige Ambiente des barocken Stiegenhauses mit Glaskuppel das andererseits die düstere Geschichte des Gebäudes nicht zu überdecken vermag. Im Münchner Justizpalast wurden während der Diktatur der Nationalsozialisten schwerwiegende ideologische Urteile gefällt und tragische Schicksale bestimmt.
Nicht von ungefähr wählt Andreas Wiedermann, Mitgründer der privat geführten Operngesellschaft opera incognita diesen Schauplatz für seine Neuinszenierung der selten gespielten Oper Penal Colony des amerikanischen Komponisten Philip Glass. Prägnant beschreibt die Handlung als Dialog eines angesehenen Forschungsreisenden als Gast und eines Offiziers die Vorkommnisse in einem anonymen Straflager.
Franz Kafka verfasste 1914 seine Erzählung In einem Straflager, die Vorlage für das englischsprachige Libretto von Rudolph Wurlitzer wurde. Der wie ein Journalist agierende Gast, der ständig Notizen verfasst und photographiert, ist zu einer Hinrichtung geladen, dessen Ablauf vom sadistischen blutrünstigen Offizier anschaulich in blutigen Details beschrieben wird. Ein Delinquent als stumme Rolle spielt ausdrucksstark das Opfer, das mit Spritzen von den Schergen des Offiziers ruhig gestellt wird und eingeschüchtert auf der Treppe oder an der Ballustrade kauert, hilfesuchend am Boden kriecht und immer wieder drangsaliert wird. Die Hinrichtung scheitert an technischen Problemen, die eine Wende in der beklemmenden Handlung einläuten. Es geht um Recht, Justiz und Gerechtigkeit, Courage und Einstehen für sein Handeln angesichts der Brutalität von Machtinhabern, der Gast und der Offizier stellvertretend für die Gesellschaft. Der Gast bildhaft im weißen Anzug will seine weiße Weste behalten und indifferent nicht für seine Meinung zu Gerechtigkeit und Rechtsprechung einstehend. Der Offizier in strenger schwarzer blutgetränkter Uniform und schneidigen polierten Stiefeln will kein Ende seiner Macht und des martialischen Exekutionsprozesses. Zerbrochen an den geänderten Machtverhältnissen macht er sich selbst zum Opfer der grausamen Exekutionsmaschine.
Dramatisch anschaulich verpackt Philip Glass das Geschehen in eine farbenreich ungemein nuancierte stimmungsgeladene Musik, die durch seine eindringliche Monotonie von besonderer Spannkraft ist. Das fünfköpfige kleine Orchester sitzt hinter den knapp 500 Zuschauern im großzügigen Foyer des Gebäudes. Ernst Bartmann der musikalische Kopf der Operncompagnie hat die Musik wieder auf die Gegebenheiten angepasst. Er ergänzt das Werk Glass mit mehreren Chorälen von Johann Sebastian Bach, die von einem ebenso hinzugefügten Chor gesungen werden, der sonst als stumme Diener der Mächtigen in der Strafkolonie operiert..
Bildgewaltig und sehr packend ist die gut abgestimmte und in der Personenführung sehr klar gezeichnete Regie von Andreas Wiedermann. Aylin Kaip liefert wiederum die Bühnengestaltung, die von der baulichen Substanz des prunkvollen mehrstöckigen Treppenhauses - von Jo Hübner klug ausgeleuchtet- dominiert wird. Lediglich ein herunterhängender blutroter Stoffsack als Sinnbild für die grausame Tötungsmaschine und ein Tisch mit zwei Sesseln werden benötigt. Expressiv ist das Gesicht des Offiziers mit dunkelneingefassten Augen geschminkt. Gefühlt ist alles bestens abgestimmt, auch der Umgang mit der Akustik des großen Raumes birgt seine Reize, wenn das bizarre Gelächter des Deliquenten im Anbetracht der Todesqualen des Offiziers durch Mark und Bein geht.
Dan Chamandy mimt den Intellektuellen Forscher, der zwar die Situation richtig einschätzt aber sich keine Meinung bilden kann und diese auch vertritt. Sein Tenor ist kräftig und zumeist in der Mittellage im Sprechgesang gut geführt. Manuel Kundinger hat seine Rolle als bestialischer Sadist, der die Macht seiner Uniform auslebt verinnerlicht. Überzeugend ist seine Begeisterung für die blutrünstige Exekution als öffentliches Ereignis, sicher fühlt er sich im Recht und konsequent in seiner Aufgabe. Stimmlich vermag er das überzeugend umzusetzen..
Den Delinquent spielt Stefan Boschner, der mit Mimik und Gesten, die Todesangst, Verzweiflung und innere Selbstaufgabe in ausgefeilter Pantomine herausarbeitet.
Ein außerordentlicher Abend, ein außergewöhnliches Stück und eine durchdringende Inszenierung wird vom ergriffenen Publikum groß bejubelt und noch lange im Gedächtnis bleiben. Die Aktualität gibt dem Ganzen wühlt schwer im Gewissen.
Dr. Helmut Pitsch
26. April 2024 | Drucken
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